Politmobbing gegen Doña Carmen

Nachdem Doña Carmen vom "Runden Tisch Prostitution" ausgeschlossen wurde, wendet sich die Selbsthilfeorganisation von Prostituierten mit einem Offenen Brief an die Stadtverordneten.

Aus Anlass des Ausschlusses Doña Carmens vom "Runden Tisch Prostitution", der unter Bruch der vereinbarten Grundsätze der Zusammenarbeit, mithin zu Unrecht und allein aus politischen Motiven erfolgte, wendet sich Doña Carmen nun in einem "Offenen Brief" an die Frankfurter Stadtverordneten mit dem Appell, sich dafür einzusetzen, dass am "Runden Tisch Prostitution" die Probleme der Betroffenen nur unter Einschluss ihrer Interessens-vertretung behandelt werden. Als die von den Bordellprostituierten anerkannte Interessens-vertretung müsse Doña Carmen auch zukünftig der von den Stadtverordneten beschlosse-nen Fachkommission angehören, ihr Ausschluss also zurückgenommen werden.

Dem Schreiben an die Stadtverordneten sind mehr als einhundert Unterschriften von Prostituierten beigefügt, die sich für einen Verbleib ihrer Interessensvertretung am Runden Tisch Prostitution aussprechen. Sie verdeutlichen, dass es nicht allein um Doña Carmen, sondern vor allem um die Berücksichtigung der rund 800 in Frankfurt arbeitenden Prostitutionsmigrantinnen geht.

Schwere Vorwürfe richtet der Offene Brief an die von Dezernent Schwarz eingesetzte und mit der Moderation betraute Beratungsfirma Profile. Damit der richtige Schritt der Einrichtung des Runden Tisches zum Thema Prostitution nicht weiter durch eine unprofessionelle Um-setzung diskreditiert und gefährdet wird, seien vier Veränderungen hinsichtlich Arbeitsweise und Zusammensetzung des Runden Tisches für eine erfolgversprechende Weiterarbeit erforderlich:

(1) Eine Moderation, die entgegen ihrer öffentlichen Ankündigung weder "Neutralität" wahrt, noch sich einer "konsensorientierten Kommunikation" verpflichtet fühlt, gehört entweder aus dem Vertrag entlassen oder ist eindringlich zu ermahnen, entsprechend diesen Grundsätzen auch zu handeln.

(2) Die vom Stadtverordnetenbeschluss vorgesehene Hinzuziehung von "Experten aus anderen Fach- und Rechtsgebieten" darf sich nicht länger auf Vertreter der städtischen Ämter, Behörden und Dezernate beschränken, wie es gegenwärtig der Fall ist. Auch unabhängige Experten und Fachleute, die nicht durch politische und persönliche Rücksichtnahmen eingeschränkt sind, gehören an den "Runden Tisch Prostitution".

(3) Die gegenwärtige Beteiligung der Vertreter von 4 Parteien (CDU, SPD, Grüne, FDP) entspricht weder dem Stadtverordnetenbeschluss, noch der gegenwärtigen Zusammensetzung des Stadtparlaments. Wir fordern daher die Stadt Frankfurt auf, entweder zu ihrer Beschlusslage zurückzukehren ("zwei Stadtverordnete") oder aber die Zusammensetzung des Runden Tisches Prostitution zu demokratisieren und alle im Stadtparlament vertretenen demokratischen Parteien am Runden Tisch zu beteiligen.

(4) Wir fordern, dass entsprechend dem Stadtverordnetenbeschluss "Vertreterinnen und Vertreter der Selbsthilfegruppen" an diesem Runden Tisch teilnehmen - und zwar ohne Ausnahmen. Der auf Politmobbing beruhende Ausschluss von Doña Carmen muss umgehend zurückgenommen werden. Eine im Interesse der Sache liegende Rückkehr von Doña Carmen an den Runden Tisch Prostitution setzt allerdings eine Klarstellung der in den Punkten 1 bis 3 genannten Probleme voraus.

Offener Brief an die Frankfurter Stadtverordneten

Prostitutionsmigrantinnen in Frankfurt - Politmobbing gegen Doña Carmen

Sehr geehrte Damen und Herren,

auf Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 8. Juni 2000 ist eine Fachkommission ("Runder Tisch") eingesetzt worden, die sich mit der "aktuellen Situation" der Prostitution befassen und dazu Konzepte erarbeiten soll. Der im Dezember 2000 erstmals einberufene "Runde Tisch Prostitution" konnte zwar in den bisherigen neun Monaten seines Bestehens keine substanziellen Ergebnisse vorlegen, hat aber immerhin durch den Ausschluss von Doña Carmen auf seine Existenz aufmerksam gemacht.

Doña Carmen e.V. hat sich stets engagiert für einen Interessensausgleich im behördlichen Umgang mit Prostitutionsmigrantinnen eingesetzt und hat neun Monate konstruktiv an der Arbeit des Runden Tisches mitgewirkt. Unter dem Vorwand "unvereinbarer Arbeitsstile" und "Differenzen bezüglich der Öffentlichkeitsarbeit" (FR, 15.09.01) wurde Doña Carmen am 14. September 2001 von der weiteren Teilnahme am Runden Tisch ausgeschlossen. Dieser Ausschluss erfolgte zu Unrecht und unter Bruch der Grundsätze, die sich die Mitglieder dieses Gremiums auferlegt haben. Man verübelte Doña Carmen, dass sie auch weiterhin öffentlich für die Interessen der Prostituierten Partei ergreift und zu öffentlich gemachten Äußerungen auch öffentlich Stellung nahm. Deshalb, so hielt man uns vor, könne man kein Vertrauen in Doña Carmen haben. Den Nachweis eines Bruchs der vereinbarten "Vertraulichkeit" blieb man schuldig und setze uns stattdessen dem Generalverdacht eines "mangelnden Vertrauens" aus. Allein: wechselseitiges Vertrauen wurde nie als ausschlussrelevanter Grundsatz der Zusammenarbeit beschlossen und kann vernünftigerweise auch gar nicht per Beschluss hergestellt werden. Schon deshalb ist es unmöglich, wegen eines angeblichen "Mangels an Vertrauen" vom Runden Tisch ausgeschlossen zu werden. Die Moderationsfirma Profile hat den zu Unrecht und allein aus politischem Kalkül erfolgten Ausschluss von Doña Carmen nicht nur geduldet, sondern befördert und damit die von ihr öffentlich proklamierte "Neutralität" mit Füßen getreten.

Der geschilderte Vorgang ist nur Ausdruck einer insgesamt unprofessionellen Arbeitsweise der Moderation von Profile: das Hinzuziehen unabhängiger Experten wurde systematisch hintertrieben zugunsten einer extensiven Beteiligung von Mitarbeitern der städtischen Ämter, der Dezernate und der Strafverfolgungsbehörden; zeitweilig existierten nur noch zwei der am 7. 3. von Profile öffentlich angegebenen sechs Projektgruppen; Protokolle von Sitzungen dieser Projektgruppen werden in der Regel nicht verfasst; Informationen werden hierarchisiert; die Arbeit von Projektgruppen wird in Abwesenheit von daran Beteiligten bis auf weiteres eingestellt; geschönte Selbstdarstellungen gegenüber der Öffentlichkeit (Profile-PM vom 7.3.01 / Bericht gegenüber dem Frauenausschuss am 14.08.01); sollte die Berichterstattung der FR vom 15.08.01 zutreffen, so ist der Frauenausschuss von Stadtrat Schwarz bzw. Herrn Böcker (profile) sogar belogen worden;

Manch einer mag sich von dem Ausschluss Doña Carmens einen politischen Vorteil versprechen. Für die Frauen in der Bordellprostitution, die uns als ihre Interessensvertretung betrachten, ist diese Entwicklung jedoch ein großer Nachteil. Sie sind die eigentlichen Verlierer eines intriganten und unwürdigen Politmobbings gegen Doña Carmen.

Doña Carmen ist die einzige Organisation in Frankfurt, die vor Ort im Bahnhofsviertel - in der Elbestraße 41 - eine von den betroffenen Frauen zahlreich frequentierte Anlauf- und Beratungsstelle vorhält. Wir machen Betreuungs- und Sozialarbeit in sämtlichen Frankfurter Bordellen - übrigens ohne finanzielle Unterstützung seitens der Stadt Frankfurt/Main. Dass sich spontan mehr als 100 Prostituierte mit ihrer Unterschrift für einen Verbleib von Doña Carmen am Runden Tisch einsetzten, zeigt deren enge Verbundenheit mit uns und die Akzeptanz unserer Arbeit unter den betroffenen Frauen.

Vor diesem Hintergrund ist der Ausschluss von Doña Carmen ein alarmierendes Signal dafür, dass am Runden Tisch Prostitution Konzepte entwickelt werden, die an der realen Situation der betroffenen Frauen vorbei gehen, und dass deren Umsetzung vor Ort deshalb keineswegs gewährleistet sein wird. Die Befürchtung, dass der Runde Tisch Prostitution lediglich darauf zielt, unbequeme Kritiker einzubinden, mundtot zu machen und Zeit zu gewinnen, scheint sich zu bestätigen. Statt Alternativen zur menschenunwürdigen Politik der Razzien und ständigen Polizeikontrollen zu entwickeln, wird nach dem Motto "Unser Bordellviertel soll schöner werden" auf eine Politik der schleichenden Verdrängung der in der Prostitution tätigen Frauen gesetzt. Sollte sich diese Richtung weiter bestätigen, wird der dem Stadtverordnetenbeschluss vom Juni 2000 zugrunde liegende Auftrag verfehlt.

Der Ausschluss von Doña Carmen ist nur Symptom einer Entwicklung, die zu Sorge Anlass gibt und die wir bedauern. Denn sie wird weder für die Betroffenen noch für die Stadt Frankfurt zu einer der gegenwärtigen Situation angemessenen Verbesserung führen. Wir möchten Sie deshalb hiermit auffordern, dem Gang der Dinge nicht tatenlos zuzusehen und zu verantworten, dass eine gute Idee - nämlich der "Runde Tisch Prostitution" - durch eine unprofessionelle Umsetzung weiter diskreditiert wird. Vier Dinge sind aus unserer Sicht notwendig:

(1) Eine Moderation, die entgegen ihrer öffentlichen Ankündigung weder "Neutralität" wahrt, noch sich einer "konsensorientierten Kommunikation" verpflichtet fühlt, gehört entweder aus dem Vertrag entlassen oder ist eindringlich zu ermahnen, entsprechend diesen Grundsätzen auch zu handeln.

(2) Die vom Stadtverordnetenbeschluss vorgesehene Hinzuziehung von "Experten aus anderen Fach- und Rechtsgebieten" darf sich nicht länger auf Vertreter der städtischen Ämter, Behörden und Dezernate beschränken, wie es gegenwärtig der Fall ist. Auch unabhängige Experten und Fachleute, die nicht durch politische und persönliche Rücksichtnahmen eingeschränkt sind, gehören an den "Runden Tisch Prostitution".

(3) Die gegenwärtige Beteiligung der Vertreter von 4 Parteien (CDU, SPD, Grüne, FDP) entspricht weder dem Stadtverordnetenbeschluss, noch der gegenwärtigen Zusammensetzung des Stadtparlaments. Wir fordern daher die Stadt Frankfurt auf, entweder zu ihrer Beschlusslage zurückzukehren ("zwei Stadtverordnete") oder aber die Zusammensetzung des Runden Tisches Prostitution zu demokratisieren und alle im Stadtparlament vertretenen demokratischen Parteien am Runden Tisch zu beteiligen.

(4) Wir fordern, dass entsprechend dem Stadtverordnetenbeschluss "Vertreterinnen und Vertreter der Selbsthilfegruppen" an diesem Runden Tisch teilnehmen - und zwar ohne Ausnahmen. Der auf Politmobbing beruhende Ausschluss von Doña Carmen muss umgehend zurückgenommen werden. Eine im Interesse der Sache liegende Rückkehr von Doña Carmen an den Runden Tisch Prostitution setzt allerdings eine Klarstellung der in den Punkten 1 bis 3 genannten Probleme voraus.

Wir appellieren an alle Frankfurter Stadtverordneten - ganz gleich welcher Parteizugehörigkeit - sich dafür einzusetzen, dass die Probleme der Prostituierten unter Einschluss der Betroffenen und ihrer Interessenvertretung behandelt werden. Wir appellieren, dass dies im Interesse der Betroffenen wie der Stadt Frankfurt sachkundig, konstruktiv und transparent erfolgt und dass den Methoden des Politmobbings Einhalt geboten wird.

Für Gespräche und weitere Informationen stehen Ihnen die Mitarbeiter/innen von Doña Carmen gerne zur Verfügung. In der Hoffnung, dass Ihnen das von uns vorgetragene Anliegen nicht gleichgültig ist, verbleiben wir mit freundlichen Grüßen,

Juanita Henning
(i.A. von Doña Carmen)

Frankfurt, den 4. Oktober 2001

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Repression