Bordellrazzien & Einkesselung: Frankfurter Bahnhofsviertel erneut als Trainingslager der Polizei missbraucht

Gestern, in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni, hat die Frankfurter Polizei in der Zeit von 21 Uhr bis 2 Uhr erneut das Bahnhofsviertel für anlassunabhängige Kontrollen missbraucht. Durch Absperrung der Taunusstraße, aber auch durch Abstellen von annähernd 30 Polizeifahrzeugen in der Moselstraße / Taunusstrasse waren beide Straßen nicht mehr passierbar. In Landsknechtsmanier zogen die beigekarrten Polizeitruppen durch sämtliche Häuser, insbesondere Bordelle und Spielhallen, und durchsuchten sie.

In mindestens vier Bordellen wurden nach Informationen von Doña Carmen sämtliche Zimmer von rund 200 Polizisten durchsucht. Dadurch wurden die Frauen in den Häusern in ihrer Berufsausübung massiv behindert und mussten erhebliche Verdienstausfälle in Kauf nehmen, die ihnen kein Polizist ersetzt.

Auch auf den Straßen wurden Menschen kontrolliert. Zu später Stunde sammelten sich Polizeitrupps in ausgelassener Stimmung in den abgesperrten Straßenzügen und genossen ganz offensichtlich ihre Machtdemonstration als willkommene Abwechslung in ihrem ansonsten vermutlich drögen Berufsalltag.

Doña Carmen protestiert dagegen, dass das Frankfurter Bahnhofsviertel wieder und wieder in ein Polizei-Trainingslager umfunktioniert wird. Das Bahnhofsviertel ist kein Übungscamp, in dem die Polizeitruppen des Herrn Thiel das Einkesseln ganzer Straßenzüge sowie der dort lebenden und arbeitenden Bevölkerung am lebenden Objekt trainieren können. Derart schikanöse Machtdemonstrationen sind unzumutbar und zudem eine nicht zu rechtfertigende Verschleuderung von Steuergeldern.

Frankfurt, den 28.06.2013

Dona Carmen e.V.
Elbestr. 41
60329 Frankfurt
www.donacarmen.de

 

HINTERGRUND:

(Pressemitteilung von Dona Carmen e.V. vom 28.6.2013)

Anti-Prostitutionsgesetz verabschiedet –  Das Ende der Heuchelei

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat der Deutsche Bundestag am gestrigen späten Abend den von CDU/CSU und FDP vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten“ verabschiedet. Die Umsetzung der prostitutionsfeindlichen EU-Richtlinie 2011/36/EU war der willkommene Anlass für eine massive Einschränkung des grundgesetzlich geschützten Rechts auf freie Berufsausübung in der Prostitution.

Entgegen der offiziellen Sprachregelung geht es bei dem Gesetz nicht um eine „gewerberechtliche Gleichstellung“ von Prostitution, sondern um eine gewerberechtlich kaschierte Fortsetzung und Ausweitung der Diskriminierung von Sexarbeit in der Prostitution. Statt auf mehr Rechte für Sexarbeiter/innen setzt man ohne sachlichen Grund auf mehr behördlich-polizeiliche Kontroll- und Überwachungsbefugnisse gegenüber den Betroffenen.

Entgegen der offiziellen Sprachregelung geht es auch nicht um den Schutz von Opfern des so genannten „Menschenhandels“, sondern um eine Kombination von Prostitutionsgegnerschaft mit Migrationsabwehr. Im Vorfeld der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU für Rumänien und Bulgarien wird die Bekämpfung der so genannten Armutsmigration  und der Migrantinnen auf allen Ebenen forciert.

Die Verschärfung der Prostitutionsgesetzgebung im Namen der Kriminalitätsbekämpfung und des „Opferschutzes“ ist blanker Hohn. Denn laut offizieller Kriminalstatistik sinkt die Zahl der Opfer kontinuierlich: von 776 (2002) auf 58 (2012) mutmaßliche Opfer jährlich bei §180a StGB „Ausbeutung von Prostituierten“; von 793 (2002) auf  267 (2012) mutmaßliche Opfer jährlich bei §181a StGB („Zuhälterei“); von 988 (2002) auf 642 (2012) mutmaßliche Opfer bei §232 StGB („Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung“). Von real gestiegenen „kriminellen Begleiterscheinungen“ der Prostitution, die eine Verschärfung des Umgangs mit Prostitution rechtfertigen würden, kann mithin keine Rede sein. Die Opferschutz-Rhetorik wird instrumentalisiert zum Zwecke des Abbaus der Rechte von Sexarbeiter/innen in der Prostitution. Denn die verschärfte Überwachung der Prostitutionsstätten zielt auf die Registrierung der Sexarbeiter/innen.

Dass die Einstufung von Prostitutionsstätten als „überwachungsbedürftige Gewerbe“ eine „Verbesserung der Rahmenbedingungen für in der Prostitution tätige Personen“ zur Folge haben soll, entspricht der Logik eines autoritären Überwachungsstaates. Mit dem neuen Anti-Prostitutionsgesetz werden nicht mehr Opfer von „Menschenhandel“ identifiziert, wohl aber Prostitutionsstätten in die Knie gezwungen und geschlossen.

Nach bloß 11 Jahren ist damit das Versprechen einer „Anerkennung von Prostitution“ vom Parlament gebrochen worden. Das Prostitutionsgesetz von 2002 erweist sich als Betriebsunfall in der deutschen Prostitutionspolitik. Die Heuchelei hat ein Ende.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Partei Bündnis 90 / Die Grünen, die am gestrigen Abend ihr konservatives Coming-Out in der Prostitutionspolitik hatte. Mit weitergehenden Anträgen zur Genehmigungspflicht von Prostitutionsstätten sowie zur Freier-Bestrafung haben die Grünen den Wettlauf um die schärfsten Regelungen gegen Prostitution und die dort tätigen Frauen populistisch befeuert und versucht, die Regierungsparteien noch rechts zu überholen.

Die jetzige Bundesregierung liefert mit ihrer unsäglichen Anti-Prostitutionspolitik ein starkes Argument für die Schaffung einer selbständigen, parteipolitisch unabhängigen und kämpferischen Organisation von Sexarbeiter/innen.

Doña Carmen e.V. wird den Prozess der Organisierung der Sexarbeiter/innen auch weiterhin unterstützen, um das beschlossene Anti-Prostitutionsgesetz samt allen sonstigen, die Prostitution diskriminierenden Rechtsbestimmungen zu Fall zu bringen.