Deckelung des Familiennachzugs aus Griechenland ist rechtswidrig

erstellt von Pro Asyl — zuletzt geändert 2017-09-19T17:40:09+01:00
VG Wiesbaden verpflichtet Bundesamt die Überstellungsfristen einzuhalten

PRO ASYL: Bundesinnenministerium muss illegale Praxis beenden.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in einem gestern übermittelten Beschluss das Bundesamt verpflichtet, die in der Dublin-Verordnung geregelten Überstellungsfristen von 6 Monaten bei Familienangehörigen einzuhalten. In dem vorliegenden Fall hat ein minderjähriger Flüchtling aus Syrien einen Eilantrag gestellt. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird nun das Bundesamt verpflichtet, zu gewährleisten, dass die Eltern und die drei jüngeren Geschwister bis zum 30. September 2017 von Griechenland nach Deutschland überstellt werden.

Dies ist der erste Gerichtsbeschluss, der sich mit dem leidvollen Thema der gedeckelten, verschleppten Familienzusammenführung aus Griechenland befasst. Das Gericht folgt der Rechtsauffassung von PRO ASYL und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Deutschland und Griechenland: Das Recht auf Familienzusammenführung im Rahmen der Dublin-Verordnung ist innerhalb der festgelegten 6- Monatsfrist zu gewährleisten.

Aus Sicht von PRO ASYL, muss nun das Bundesinnenministerium umgehend die rechtswidrige Praxis der Deckelung der Familienzusammenführung beenden. »Der »Deal« zwischen dem Bundesinnenministerium und dem griechischen Migrationsministerium ist illegal«, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Die Familienzusammenführungen müssen wieder rechtskonform und zügig ermöglicht werden.

»Eine Kontingentierung des Familiennachzugs sehen weder das deutsche noch das europäische Recht vor« so der Rechtsanwalt des Antragstellers, Jonathan Leuschner. Das Verwaltungsgericht hat mit Verweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes festgestellt, dass Schutzsuchende das subjektive Recht auf Einhaltung der Dublin-Fristen besitzen. Ein späterer Überstellungstermin würde das Recht des Antragstellers auf rechtzeitige Überstellung missachten.

Hintergrund: Im Mai 2017 war bekannt geworden, dass auf Druck des deutschen Bundesinnenministeriums hin die Zahl der monatlichen Familienzusammenführungen auf rund 70 Personen begrenzt wurde. Ein am 4. Mai 2017 öffentlich gewordenes Schreiben des griechischen Migrationsminister Iannis Mouzalas an Bundesinnenminister de Maizière belegt, dass entgegen der Angaben des Bundesinnenministeriums diese Vereinbarung existiert, in der unmissverständlich eine Deckelung der Familienzusammenführungen nach der Dublin III-Verordnung festgelegt wurde. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken geht hervor, dass das BAMF vom 1. Januar bis 15. August 2017 insgesamt 4.560 Zustimmungen zur Überstellung nach Deutschland erteilt hat, jedoch bis Ende August nur 221 Schutzsuchende nach Deutschland überstellt wurden. Mindestens 4.339 Schutzsuchende mit einem Anrecht auf Familienzusammenführung harren immer noch in Griechenland aus. Die monatelange Trennung von Familien hat dramatische Folgen. Der Projektpartner von PRO ASYL in Griechenland, Refugee Support Aegean (RSA), dokumentierte mehrere Fälle, in denen Familienangehörige in der Zeit der Trennung verstarben, weil ihnen die dringend benötigte medizinische Versorgung, die nur in Deutschland erhältlich gewesen wäre, verwehrt wurde.

Pro Asyl, Presseerklärung, 19. September 2017