Rhein-Main-Organisationen für Solidarität mit Afrin

erstellt von Friedens- und Zukunftswerkstatt — zuletzt geändert 2018-02-11T20:17:55+01:00
In Frankfurt a.M. fand am Freitag nachmittag eine Solidaritätskundgebung für die Kurden in der nordsyrischen Region Afrin statt.

Im Unterschied zu den gerade in Frankfurt bereits mehrfach erfolgten kurdischen Demonstrationen gegen die türkische Aggression hatte diesmal ein Bündnis von einem Dutzend deutscher Organisationen bzw. der regionale Gruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet dazu aufgerufen, wie z.B. der IPPNW und pax Christi.

Insofern stellte diese Kundgebung tatsächlich ein Novum dar. Unter den fast 500 Anwesenden waren zwar die deutschen Teilnehmer vor der Frankfurter Katharinenkirche erkennbar in der Minderheit, nicht jedoch bei den zahlreichen Redebeiträgen. Das wurde bereits bei der vor der Kundgebung angesetzten Pressekonferenz ersichtlich. Dort berichtete Bernd Eichner von Medico International über die Bemühungen zur humanitären HIlfe mit Partnern vor Ort und die laufende Online-Petition gegen den Panzer-Deal mit der Türkei. Der anwesende Arzt und Hochschullehrer Prof. Dr. Gerhard Trabert konnte seine Erfahrungen von mehreren Aufenthalten in Nordsyrien und seine Planung für eine neue Reise in die Region darstellen. Begleitet wurde dieses von einer Telefonschaltung nach Afrin zu Dr. Nuri Kanbar, der über den weitestgehenden Zusammenbruch der normalen medizinischen Versorgung berichtete, da mittlerweile fast alle Ressourcen für Notfälle durch Kriegsverletzte eingesetzt werden müssten.

Mit dem Notarzt Dr. Michael Wilk war ein weiterer Arzt bei der anschließenden Kundgebung präsent, der die Situation vor Ort gleichfalls durch eigene Aufenthalte kennt. In weiteren deutschen Redebeiträgen wurde auch die Rolle deutscher Waffenexporte von dem Vertreter der IG Metall in Frankfurt angesprochen. Es bleibt zu hoffen, dass der mit dieser Kundgebung gestartete Schulterschluss mit der deutschen Friedensbewegung und Initiativen gegen rechts Früchte trägt in gemeinsamen Folgeaktionen. Dabei geht es nicht nur um internationale Solidarität, sondern auch darum, dass das türkisch-kurdische Problem als Problem der deutschen Politik wahrgenommen wird.

Einzelne Kundgebungsbeiträge:

Grußbotschaft der GEW Hessen

Die GEW Hessen beobachtet den aktuellen Militäreinsatz der türkischen Armee im Norden Syriens mit großer Sorge und großer Betroffenheit. Die zunehmend autoritäre Entwicklung des Erdogan-Regimes im Inneren geht nun offensichtlich auch mit militärischer Aggression nach außen einher.

Tausende unserer Kolleginnen und Kollegen aus dem türkischen Bildungssystem, an Schulen wie Hochschulen, wurden seit dem sogenannten Putsch-Versuch 2016 vom Dienst suspendiert, mit Berufsverboten belegt, willkürlich verhaftet und ins Exil gezwungen. Viele von ihnen haben inzwischen in Deutschland Asyl beantragt und werden hier auch von der GEW tatkräftig unterstützt.

Die Bundesregierung darf vor den Verletzungen der Menschenrechte durch die türkische Regierung nicht länger die Augen verschließen. Dieser völkerrechtlich unzulässige Angriffskrieg, der offensichtlich gegen die kurdische Bevölkerung der gesamten Region gerichtet ist, muss von Deutschland klipp und klar verurteilt werden.

Der Einsatz von deutschen Kampfpanzern in diesem Konflikt belegt einmal mehr, dass Rüstungsexporte humanitär nicht zu verantworten sind. Waffen führen nie zum Frieden. Waffen führen immer zum Krieg.

Bildung muss für uns als Bildungsgewerkschaft immer Friedensbildung sein. Daher lehnen wir es auch ab, dass die Bundeswehr zunehmend in die Schulen drängt, um Nachwuchs zu gewinnen.

Wir sehen aber auch mit großer Sorge, dass die türkische Regierung durch die Entsendung von Konsulatslehrkräften unmittelbaren Einfluss darauf nehmen kann, was an hessischen Schulen im Rahmen des Herkunftssprachlichen Unterrichts geschieht.

Unter dem Einsatz der türkischen Armee in Nordsyrien leidet in erster Linie die Zivilbevölkerung, darunter ganz besonders Kinder als die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Das können und wollen wir nicht hinnehmen! Daher spricht auch die GEW Hessen heute ihre Solidarität mit den Menschen in Afrin aus.

In Solidarität und Betroffenheit sagen wir: Ihr seid nicht allein! Wir sind an eurer Seite!

Birgit Koch, GEW Hessen, Vorsitzende

 

Dr. Michael Wilk (Arzt, Psychotherapeut und Notarzt in Krisengebieten, u.a. in Rojava)

Liebe Anwesende, Freundinnen und Freunde,

Seit drei Wochen führt der türkische Staat einen Angriffskrieg gegen die Region Afrin in Nordsyrien. Angegriffen wird ein Gebiet, das bis zuvor noch weitgehend vom Krieg verschont geblieben war. Eine mehrheitlich von Menschen kurdischer Herkunft bewohnte Region, in dem sich viele Hunderttausende Flüchtlinge (350-500 000) sicher glaubten- bis Erdogan seinen Angriffskrieg begann. Bei dieser militärischen Aggression wurden bis heute weit mehr als hundert Zivilisten getötet, darunter viele Frauen und Kinder, mehrere hundert wurden verletzt. Dazu kommen die Getöteten und Verletzten jungen Menschen der YPG, der Volkverteidigungskräfte, die sich gegen die Aggression stellen.

Anders als von türkischer Seite behauptet, geht es bei der Militäraktion nicht darum eine Bedrohung abzuwehren: Die Türkei musste sich zu keinem Zeitpunkt gegen Angriffe von kurdischer Seite aus Nordsyrien verteidigen. Besonders perfide ist zudem die Behauptung der türkischen Propaganda, die Aktion richte sich auch gegen den IS. Es gibt keine IS Einheiten in Afrin, Afrin ist der westlichste Teil Rojavas, die Selbstverteidigungseinheiten Rojavas waren und sind die aktivsten Kämpfer und Kämpferinnen in der Auseinandersetzung mit dem IS.

Erdogan spricht von Terroristen- Wir wissen jedoch: Nicht die Menschen von Afrin sind Terroristen – der Terror geht eindeutig von der türkischen Regierung aus.

Worum geht es Erdogan wirklich? Warum bezahlt und mobilisiert er fundamental-islamistische Söldnertruppen, warum setzt er das Leben türkischer Soldaten aufs Spiel?

Erdogan hat ein autokratisches Regime in der Türkei errichtet, er führt seit langen Krieg gegen große Teile der kurdischen Bevölkerung, er ließ wiederständige Städte in Schutt und Asche legen. Seine Politik ist autoritär und menschenverachtend. Der Krieg ist einerseits der durchschaubare Versuch von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken, anderseits kann er soziale Veränderungen an der Südgrenze der Türkei nicht hinnehmen, die seiner autoritären Politik diametral entgegenstehen.

Seit 2014 ist Rojava, die demokratische Föderation Nordsyrien, gewachsen, (der Kampf gegen den IS begann in Kobane und ist mit der Befreiung von Rakka noch nicht zu Ende gegangen.) Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten kämpfen dabei schon seit geraumer Zeit Seite an Seite mit Menschen arabischer, assyrischer, und armenischer Herkunft. Dieser gemeinsame Überlebens-Kampf gegen den Terror des islamischen Staates ist jedoch vor allem auch ein Kampf für etwas: Es geht um Selbstbestimmung und um die Durchsetzung basis-demokratischer humanitärer Prinzipien, genauso wie um die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Bei dem Aufbau eines Autonomiegebiets und dem Versuch neue soziale Strukturen zu etablieren, geht es nicht – wie gerne propagandistisch behauptet wird – um die Schaffung eines neuen kurdisch dominierten Staates. Es geht jedoch sehr wohl darum, Basisdemokratie und Gleichberechtigung einen Raum zu geben, ein Gebiet das legitimer Weise verteidigt werden muss und verteidigt werden wird. Egal ob es sich bei der Bedrohung um den Terror des IS, das Regime Assads oder nun Erdogan handelt, dem genau diese Strukturen ein Dorn im Auge sind und der deshalb Efrin angreift.

Die jungen Männer und Frauen, die sich nun gegen die türkische Aggression stellen, sind die gleichen, die den IS aus Nordsyrien vertrieben haben.

Ich habe die Opfer dieser Auseinandersetzung gesehen, Tote, Schwerverletzte, Verstümmelte, Gelähmte. Ob Kobane, Minbij und auch Rakka- überall wurde und wird die Hauptlast der Kämpfe von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten getragen. Sie stellen den aktivsten und größten Teil der Bodentruppen, ohne die die Luftschläge der USA nicht wirklich etwas gegen den IS ausrichten könnten.

Ich- und ich denke wir alle hier- haben tiefsten Respekt und Hochachtung vor den Menschen, die in dieser Auseinandersetzung im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf hinhalten.

Ganz anders jedoch die Politik der deutschen Regierung : Die BRD ist Mitglied im Bündnis der Anti-IS Koalition- zusammen mit den USA, die nach einer desaströsen Nahostpolitik, nunmehr klar kurdische Einheiten als engste Verbündete betrachtet. Trotzdem sind Symbole der PYD und der YPG hier umstritten, oder auch verboten und auch das PKK-Verbot besteht weiter, obwohl sich die Politik dieser Organisation deutlich geändert hat und neu bewertet werden müsste.

Die Anpassungspolitik der deutschen Regierung gegenüber dem türkischen Machthaber Erdogan und seiner Regierung ist katastrophal. Hofiert wird ein Regime, das Menschen ermordet, foltert und unbequeme JournalistInnen ins Gefängnis wirft. Deutsche Waffen werden geliefert an ein Regime, das Bomben auf kurdische Gebiete der Türkei und auf Rojava abwirft, das Menschen tötet, weil es die demokratische Selbstorganisierung dieser Menschen fürchtet.

Einmal mehr stimmt die Parole „Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt“! Russland, die USA und auch Europa lassen die Menschen Afrins im Stich. Das ist keine Enttäuschung- das war nicht anders zu erwarten. Alle am Krieg beteiligten Großmächte folgen ihren ökonomischen und strategischen Interessen. Die Politik der deutschen Regierung folgt den gleichen Prämissen und macht sich nun zum Komplizen Erdogans. Sie fördert durch die Unterstützung der Türkei erneut Krieg, Flucht und Vertreibung.

Es ist zu befürchten, dass eine Ausweitung des Krieges von Afrin auf die Regionen der Demokratischen Föderation Nordsyrien um Kobane und Cizire stattfinden wird. Das ist was Erdogan erklärtermaßen vorhat. Er beschwört den umfassenden Vernichtungsfeldzuges gegen die gesamte Demokratische Konföderation Nordsyrien.

Das dürfen und werden wir nicht zulassen!

Wir hier stehen dagegen und fordern konsequenterweise: eine klare Verurteilung des türkischen Angriffskrieges gegen Afrin und anderer Selbstverwaltungsgebiete unter kurdischer Kontrolle – Stopp jeglicher Rüstungszusammenarbeit mit der Türkei und anderen diktatorischen Regimen, die sich an völkerrechtswidrigen Kriegen beteiligen – Unterstützung der Selbstverwaltung der Demokratischen Föderation Nordsyrien beim Wiederaufbau und Beteiligung an der Nothilfe für Afrin!

 

Karl-Heinz Peil, Friedens-und Zukunftswerkstatt e.V.:

Liebe Friedensbewegte,

gegen den Angriffskrieg der türkischen Armee in Afrin wird in diesen Tagen an vielen Orten in Deutschland protestiert. Dieses hier ist nicht die erste und auch nicht die letzte Kundgebung dieser Art in Frankfurt.

Es ist aber die erste Kundgebung, bei der überwiegend deutsche Organisationen die Initiative ergriffen haben. Ich selbst spreche hier als ein Vertreter der deutschen Friedensbewegung, bei der wir immer noch darum ringen müssen, dass das türkisch-kurdische Problem als ein deutsches Problem wahrgenommen werden muss. Dazu muss man einen Blick auf die traurige Kontinuität der deutschen Geschichte werfen.

Erinnern wir uns: Als vor drei Jahren dem hundertsten Jahrestag des türkischen Genozids an den Armeniern gedacht wurde, war zwar auch von einer gewissen deutschen Mitverantwortung, nicht jedoch von der historisch belegten deutschen Komplizenschaft als Beihilfe zum Völkermord die Rede, denn das damalige osmanische Reich hatte für das deutsche Reich geopolitisch große Bedeutung. Heute ist es leider nicht viel anders und die deutsche Politik könnte großen Einfluss darauf nehmen, den Völkermord gegenüber den Kurden zu stoppen.

Stattdessen wird auch in der neuen Koalitionsvereinbarung in Berlin festgelegt, dass man ein besonderes Interesse an einem guten Verhältnis zur Türkei habe. Zur Lage von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei ist nur kurz und knapp von einer Verschlechterung die Rede - das ist schon alles, zeugt von Unterwürfigkeit und nicht mehr zu überbietender Peinlichkeit. Und der Grund dafür? Deutschland exportiert Fluchtursachen und verweigert sich mit türkischer Komplizenschaft den Menschen, die dadurch zur Flucht getrieben werden.

Wir haben es in den letzten Jahren immer wieder erleben müssen, dass Demonstrationen unserer kurdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen kriminalisiert wurden. Dabei beruft man sich auf das vor fast 25 Jahren vom damaligen CDU-Innenminister Kanther erlassene PKK-Verbot. Zuletzt gab es vor drei Jahren den vergeblichen Versuch im Bundestag, diesen Anachronismus zu beseitigen, der dafür sorgt, dass Menschen, die für ein friedliches Zusammenleben und Demokratie in der Türkei eintreten, als Terroristen denunziert werden.

Diese Situation in Deutschland bedeutet eine direkte Unterstützung für den Despoten Erdogan, der den völkerrechtswidrigen Angriff gegen Afrin jenseits der türkischen Grenze mit dem Etikett Terrorbekämpfung versieht, obwohl er damit eine bis dahin friedliche Region mit Terror überzieht.

Die Kriminalisierung kurdischer Proteste in Deutschland müssen wir aber auch als Türöffner zur Kriminalisierung anderer zivilgesellschaftlicher Bewegungen sehen, weshalb wir unsere deutsche Solidarität auch in besonderem Maße als Engagement zur Nutzung demokratischer Rechte ansehen.

Wenn wir die politischen Verhältnisse in Deutschland betrachten, so gibt es bei aller Kritik auch positive Beispiele. Ich nenne hier die föderale Struktur, die man auch als Antwort auf neue nationalstaatliche Bestrebungen sehen kann, die sich insbesondere in Europa immer mehr ausbreiten.

Hier sollte man die Kurden im Norden Syriens als beispielhaft dafür ansehen, innerhalb bestehender nationalstaatlicher Grenzen regionale Selbstverwaltung zu praktizieren - auch wenn diese Grenze vor 100 Jahren willkürlich von europäischen Imperialmächten gezogen wurde.

Wir müssen als deutsche Organisationen nicht nur hier und heute, sondern in Zukunft verstärkt eine Rückbesinnung auf humanistische Werte in der Politik einfordern. Der Umgang mit der Türkei und den Kurden innerhalb und außerhalb der türkischen Staatsgrenze steht für eine Verletzung aller Prinzipien von Völkerrecht, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Und dieses erfolgt auch im Namen der deutschen Politik unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung.

Wir stehen deshalb für humanistische Werte und für friedliche Konfliktlösungen. Wir stehen damit auch gegen den in Deutschland sich ausweitenden Rassismus, der nicht nur durch eine AfD, sondern durch menschenverachtende Flüchtlingsabwehr mit Erdogans Hilfe geschürt wird. Deshalb bekunden wir hier an dieser Stelle unsere Solidarität gegenüber unseren kurdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, denen wir zurufen: Eure Visionen und multikulturellen Werte sind auch die unsrigen.

 

Rede von Dr. Christa Blum anlässlich der Pressekonferenz am 8.2. 2018

Dr. Christa Blum ist Ärztin für Allgemeinmedizin und Mitglied der IPPNW (internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs und in sozialer Verantwortung. Die IPPNW macht seit 20 Jahren Delegationsreisen, die in den Heften IPPNW akzente dokumentiert werden.) Christa Blum war seit 2010 regelmäßig mit einer Delegation der IPPNW* in der Osttürkei und einmal im Nordirak.

Der Einmarsch in den kurdischen Teil Syriens wurde lange angekündigt:

Schon bei den zweiten Friedensverhandlungen zwischen kurdischer Seite und der türkischen Regierung seit 2012 wurde klar ausgesprochen, dass für Erdogan und die AKP kurdische Kantone in Syrien auf keinen Fall hingenommen werden würden. Ebenso war klar, dass Öcalan, der ja am Friedensprozess beteiligt war und die kurdischen Verhandler Rojava nicht aufgeben würden.

Ich war dabei, als in Diyarbakir auf dem Newrozfest 2013 die historische Rede von Öcalan vorgelesen wurde, in der er das Ende der Kämpfe und ein Leben in Geschwisterlichkeit und gegenseitigem Respekt unabhängig von Religion oder Ethnie ankündigte. Wir haben erlebt, wie die Bevölkerung den Frieden herbeisehnte, hoffnungsvoll war und gleichzeitig skeptisch nach allen Erfahrungen. Die PKK hat damals ihre Waffen niederlegt aber schon bald wurden neue zusätzliche Militäranlagen im Osten der Türkei errichtet und die Repressionen nahmen ihren Lauf.

Eines verbindet in meinen Augen die Kurden in der Türkei mit denen in Syrien: sie versuchen mit erstaunlichen Erfolgen seit Jahren basisdemokratische Strukturen zu praktizieren – eine Art Rätesystem – das Öcalan von einem amerikanischen Philosophen Murray Bookchin entlehnt hat und das versucht, alle gesellschaftlichen Gruppen an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen. Eine besondere Rolle spielt dabei die Forderung nach Gleichberechtigung der Geschlechter und Einbeziehung aller Ethnien,  Umweltschutz, religiöse Toleranz, politischer und kultureller Pluralismus – und Selbstverteidigung.

Frauen sollen in allen Bereichen der Gesellschaft gleichberechtigt sein.

Eine diesbezügliche Verfassung gibt es in Rojava seit 2014.

Das ist einmalig im Nahen Osten und steht in totalem Kontrast zur Politik der Regierung Erdogans. Und auch wir mit der bei uns verbreiteten Politikverdrossenheit könnten davon lernen.

Der Stolz darüber ist überall zu spüren. Aber auch die Enttäuschung ist groß, dass dies in den westlichen Medien so wenig wahrgenommen wird, ebenso wie die massiven Menschenrechtsverletzungen die es seit Jahrzehnten in der Osttürkei gibt weitgehend untergehen, - man hat von wenigen Ausnahmen abgesehen den Eindruck, dass die Türkei sozusagen östlich von Ankara aufhört - das gilt auch für die TürkInnen im Westen der Türkei.

Wir haben das nie verstanden. Die Erklärung dass dies eine innertürkische Angelegenheit sei und man einen Natopartner nicht kritisieren darf befriedigt überhaupt nicht. Immer wieder die Frage: „warum hört Europa uns nicht ?“

Diese demokratischen Strukturen sind in der Türkei weitgehend vernichtet worden, die gewählten PolitikerInnen MenschenrechtlerInnen und so viele andere sind im Gefängnis oder „nur“ entlassen, aufgebaute Strukturen zerschlagen. Jede Person, die öffentlich für Frieden spricht - zuletzt 11 Ärztevertreter werden der Unterstützung des Terrorismus angeklagt und werden inhaftiert.

Nun der Einmarsch des türkischen Militärs in Syrien; er ist eine Katastrophe, die nicht nur weitere Tote, Verletzte und Traumatisierte zur Folge hat, sondern die droht eine politische Struktur, die auf Menschlichkeit gegründet ist zu zerschlagen.

Ich erinnere mich gut, als zu Beginn des Krieges in Syrien über die dort lebenden KurdInnen berichtet wurde: sie versuchten sich nicht am Krieg zu beteiligen sondern die Zeit zu nutzen, ihre kommunalen Strukturen aufzubauen.

Der IS und die weitere Entwicklung haben dies zunichte gemacht.

Die Enttäuschung und Wut gegenüber Deutschland, dessen Repräsentanten sich nicht äußern und deren Rüstungsindustrie im Gegenteil mit deutschen Waffen diesen Krieg mit ermöglichen ist nur zu verständlich.

Und nicht nur das, eine Regierung, die die Fahnen der sog. Selbstverteidigungskräfte auf den hiesigen Demonstrationen verbietet mit den immergleichen Floskeln „dass die YPG ein Ableger der in Europa verbotenen PKK sei“ ist ignorant und konfliktscheu.

Der Personenkult um Öcalans mag uns befremdlich erscheinen, aber er symbolisiert für die meisten Kurdinnen Stolz und Suche nach Demokratie und Frieden. Dass bei uns sogar ein Foto von Öcalan auf Demonstrationen verboten ist, ist eine für KurdInnen grobe Missachtung ihrer durch Öcalan symbolisierten Zukunftsvisionen.Zumal an einem Bild von Erdogan kein Anstoß genommen wird.

Die Kriminalisierung kurdischer Organisationen in Deutschland die sich für einen säkularen und demokratischen Wiederaufbau in der Region einsetzen, muss beendet werden. Ich bin persönlich auch für die Aufhebung des PKK-Verbots.

Das Hinnehmen der exorbitanten Rüstungsexporte nicht nur in die Türkei ist in meinen Augen ein extremes Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Was Erdogan angeht: spätestens nach diesem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Syrien müsste er vor ein Kriegsverbrechertribunal des internationalen Gerichtshofes gestellt werden.

Wir haben uns hier zusammengeschlossen, um eine deutliche Botschaft an unsere Regierung zu senden: wir fordern unsere Regierung mit aller Intensität auf, Stellung zu beziehen gegen diesen verbrecherischen Einmarsch in Syrien mit der Aufforderung, alles in ihrer Macht stehende zu tun, diesen Krieg zu beenden, den Menschen so schnell wie möglich humanitäre Hilfe zukommen zu lassen, deutsche Rüstungsexporte zu stoppen und sich dafür einzusetzen, dass die Sanktionen gegenüber Syrien beendet werden.

 

Weitere Infos:

https://www.medico.de/das-dringlichste-ist-dass-die-tuerkei-ihre-angriffe-stoppt-16975/

http://www.frieden-und-zukunft.de/?Aktivitaeten/Aufruftexte/Aufruf-Solidaritaet-Afrin-2018-01

http://www.fr.de/frankfurt/demo-gegen-tuerkei-der-terror-geht-von-der-tuerkei-aus-a-1445177