Gold, Geld und gute Worte?

erstellt von DIE LINKE.im OBR 16 — zuletzt geändert 2017-10-26T11:07:52+01:00
Ortsbeirat beschließt Seniorinnen und Senioren mit öffentlichen Geldern durch die Finanzindustrie beschallen zu lassen

Der Stadtteil Bergen-Enkheim hat mit nahezu 16 % die höchste „Aktionärsquote“ der gesamten Stadt. Hier häufen sich überdurchschnittlich viele Aktien und Wertpapiere auf Anlagekonten und in Schließfächern vermögender Bewohner.

Mit einem offensichtlich zweifelhaften Begriff von „Bürgernähe“ sponsert der Ortsbeirat mit öffentlichen Geldern den Auftritt von Vertretern der Finanzindustrie namens und im Auftrag der Lokalpolitiker.

In einer bereits seit Monaten vertriebenen Broschüre mit dem Titel „Geld- und Kapitalanlagen im Niedrigzins- und Inflationsumfeld – Ein Mutmacher für Frankfurter Seniorinnen und Senioren“ gibt es dann auch gleich eine Empfehlung, an wen sich die Verwirrten und Gebrechlichen zu wenden haben:

Ein renommiertes, auch in Frankfurt vertretenes und auf die Beratung von Senioren spezialisiertes Unternehmen ist das schweizerische VZ Vermögenszentrum. Eine Beratung beim VZ Vermögenszentrum beginnt mit einem Gespräch, das noch kostenlos, unverbindlich und mit dem Ziel geführt wird, die Bedürfnisse und Anforderungen des Kunden zu verstehen. Erst danach werden weitere Schritte abgesprochen und die Kosten dafür benannt. Der Interessent hat dann zu entscheiden, ob für ihn der Preis für das Angebot akzeptabel ist. Eine gewisse Größenordnung – etwa im fünfstelligen Bereich – sollte schon vorhanden sein.“

Eben jenes VZ Vermögenszentrum bietet selbstverständlich auch die gezielte „Ruhestandsplanung für Ärzte und Zahnärzte“ an.

Am Schluss der vom Ortsbeirat finanzierten Broschüre werden unter der Überschrift

Wichtige Adressen für Frankfurter Seniorinnen und Senioren“ fünf Anlaufstellen benannt:

Das „Rathaus für Senioren“, die „Leitstelle Älterwerden“, das „Cafe Anschluss“, das „Internetcafe im Budgeheim“ und… natürlich das VZ Vermögenszentrum mit allen Kommunikationsdaten!

Damit nicht genug:

Am Dienstag dieser Woche beschloss der Ortsbeirat nicht nur die weitere Verteilung der vom Vertreter der LINKEN beanstandeten Broschüre, sondern auch die Durchführung einer öffentlichen Veranstaltung unter dem Titel: „Unser Geld: Keine Zinsen – wieder Inflation“.

Für das Podium werden drei Herren annonciert: Erstens, der Autor der Broschüre, nach Selbstauskunft „als Führungskraft mit dem Thema <Investmentbanking> beschäftigt“, zweitens, ein als „Börsenpsychologe“ beworbener Wirtschaftsjournalist des „Deutschen Anlegerfernsehens“ und drittens, der Vorstandsvorsitzende des Pensionsfonds eines großen Industrieunternehmens. Die Seniorinnen und Senioren werden ganz gewiss beeindruckt sein.

Davon abgesehen, dass es nach Ansicht der LINKEN keineswegs zur originären Aufgabe von Ortsbeiräten gehört Anlage- und Investitionsberatungen zu veranstalten, oder gar als Vermittler an die private Finanzindustrie aufzutreten, fehlt diesem Plenum jegliche verbraucherpolitische Orientierung und Kompetenz. Der Ortsbeirat lehnte es ab, den drei Geladenen wenigstens zwecks eigenen Alibis einen Vertreter der Verbraucherberatung oder der Stiftung Waren/Finanztest zur Seite zu stellen. Die Herren der Finanzindustrie möchten ungestört bleiben.

Aus der Sicht des Vertreters der LINKEN im Ortsbeirat Bergen-Enkheim handelt es sich sowohl bei der beanstandeten Broschüre, als auch der beschlossenen Veranstaltung um

eine - dem Jargon des Gegenstandes folgend – eklatante „Fehlallokation“ öffentlicher Mittel.

Rainer Lehmann

DIE LINKE.im OBR 16, 26.10.2017