Das Areal der Naxos selbst ist eigentlich
klein, und tatsächlich nur eine Art Vorposten zu einem großen
Industrieareal, dass insgesamt Anfang der 90er entschwand, die
Metallverarbeitung und Apparatefertigung des Frankfurter Ostens. Dieser
metallene Frankfurter Produktions-Osten ist fast völlig vergessen, und
das obwohl er bis zu 15.000 Leute in unzähligen Mittelbetrieben
beschäftigte und bis heute die große Struktur des östlichen Frankfurts
prägt.
Am Montag beginnt wie alljährlich die Woche der “Route der Industriekultur RheinMain”.
Sie kennt zwar unzählige Plätzchen in und vor Frankfurt, und seien die
Industrie-Objekte auch noch so klein, nicht aber den Frankfurter Osten.
Er ist halt nicht so leicht zugänglich, erfordert Kenntnis,
Aufmerksamkeit und Erkundungswillen, geriert sich weniger offen für
Eventbesuche, zeigt allerdings besonders interessante Komponenten
unserer Stadtgeschichte und Stadtstruktur. Im Folgenden wird das ein
Stück weit erschlossen.
Der industrielle Osten hatte als Hauptachse die Hanauer Landstraße
und wurde im Nordosten von Seckbach begrenzt: Ostend, Riederwald,
Fechenheim, Bornheim und Enkheim waren die weiteren bewohnten Grenzen
des Gebiets. Neben der Hanauer war die zweite Achse der Betriebe die
Borsigallee mit den großen alten Namen westlicher Industrialisierung:
Friesstrasse, Flinsch, Krupp, Edison, Mergenthaler. Sie sprechen für
sich, die Premier League der technischen Unternehmer. Entsprechend sahen
die angesiedelten Unternehmen aus, im Riederwald nebenan wohnten viele
Leute daraus. In der Mitte des Areals dann die Wächtersbacherstrasse,
parallel zur Hanauer, tiefer rein die Orber entlang stehen noch viele
alte Gebäude – wie in der Friesstrasse mit den Backsteinbauten und dem
Kopfsteinpflaster. In der Gwinnerstrasse haben sich immerhin Reste von
Lurgi erhalten, einem Überbleibsel der zerfallenen legendären
Frankfurter Metallgesellschaft des Wilhelm Merton (ja, genau der mit der Uni und dem neuen Viertel).
Zurück zur Hanauer: den Eingang zum Industriegebiet bildete die
Großmarkthalle, gegenüber auf der anderen Mainseite lag der Schlachthof.
Hier wurden die “Solitäre” mit den gehobenen Eigentumswohnungen –
“Wohnen am Main” – zuerst gebaut, nach dem Offshore der
Fleischproduktion ins klandestinere und billigere Umland. In der Mitte
steht noch heute die damals errichtete Güterzug-Gleisanlage, am
südlichen Rand ergänzend der Ost-Hafen: entsprechend gestaltete sich die
Infrastruktur und die betrieblichen Anschlüsse für Rohstoffe und
Fertigprodukte, Gleise gingen quer bis zum Main und nach Fechenheim,
aber auch nördlich in den Riederwald, Reste gibt es heute noch. Von der
Großmarkthalle aus nach der Brücke zum Ostbahnhof steht etwas verloren
das Hochhaus: “Mannesmann” hieß der Eingang ins Produktionsparadies, die
riesigen Lettern entfernte man erst nach der Vodafone-Übernahme vor
einem Jahrzehnt.
Dahinter zum Hafen hin lagen die Firmen mit der Rohstoffverarbeitung,
Thyssen Recycling wurde erst vor ein paar Jahren geräumt. Dann folgte
grobe Blechverarbeitung hinter der Honsellbrücke, zuletzt stand dort die
Halle von British Steel. Auf der Hanauer selbst, gegenüber des
unvermeidlichen Gref Völsing
mit seinen Rindswürsten, waren die Metallhändler, mittlere
Apparatebauer für medizinische Geräte, daneben das grosse Siemenswerk
für Schaltanlagen, bis in die 70er. Das alte Eingangsgebäude steht auch
noch, jetzt bietet Karcher dahinter Rohstoffe für den Hausbau. Die
Brauerei ein Stück weiter steht immer noch, sie präsentiert neben Gref
Völsing den einzigen markanten Ort der Route der Industriekultur im
Frankfurter Osten. Diese Auswahl passt vermutlich am besten zur heutigen
Wahrnehmung des Gebiets.
Hinter dem Kreisel zur Autobahn kam rechts das große Werk von Messer
Griesheim, Behälter- und Maschinenbau, abgerissen zu Beginn des New
Economy Hypes der 90er. Die ehemalige Konzernzentrale steht immer noch:
das triste Hochhaus an der nächsten Querstrasse; die Familie Messer
beherrschte jahrzehntelang die städtische Firmenpolitik, mit Messer als
IHK-Vorsitzender. Die ganze Reihe gegenüber waren Metallhalbzeug-Händler
und Kleinfertiger, genau da, wo jetzt die Metall-Kunststoffprodukte,
die Autos in den Autohäusern Spalier stehen. Am Ende dieser Reihe war
die Fertigung von Golde (Rockwell), ironischerweise ein
Fahrzeugzulieferer. Der Betrieb wurde noch in den 80ern von Arbeitern
besetzt (ja, das gab es mal in Deutschland, gar in Frankfurt), als seine
vorletzte Schließung angekündigt war, auch hier war Ende der 80er
Schluß. Allein diese beiden Betriebe beschäftigten weit über 1000 Leute,
Jahrzehnte lang, selbst im Web kann man jetzt keinen Hinweis mehr
darauf finden. Deren Produkte braucht man immer noch, sie kommen aber
heute von Offshore, dem Industriegebiet im Nirgendwo. Danach, hinter
Neckermann das große Casella-Werk mit ehemals mehreren 1000
Beschäftigten. Heute gibt es noch Reste der Produktion, zusammengelegt
mit Offenbach (!), verbunden über eine eigene Mainbrücke.
Als eine der ganz wenigen Fertigungs-Firmen steht noch Samson in der
Mitte der Hanauer und einige Unternehmen in der Parallele zur Hanauer,
besonders in der Orber Strasse.
Was kam danach? Konsum, Dienstleistung und
Events prägen die Hanauer, Konsum und Dienstleistung mit wenigen
Ausnahmen die anderen Gebiete. Dazu Logistik in großem Umfang. Die Waren
von Offshore müssen schließlich rein, damit wir drankommen. Die
Güteranlagen der DB haben also noch Verwendung gefunden. Sonst
hauptsächlich Märkte, Baumärkte, Autohäuser und Clubs aller Art,
Speditionen zuletzt ein Einkaufszentrum.
Die Stadtteile drum herum, besonders Riederwald und
Fechenheim liegen wie verlorene, ausgetrocknete Inseln im
Konsum-Paradies, haben ihre Funktion als richtige Kommunen der
Fabrikarbeiter verloren. Viele der Jobber in den Märkten werden von
ausserhalb reingekarrt, in den Kneipen arbeitet man auf die Hand, die
Putzkolonnen wie Kassiererinnen haben sowieso Minijobs. Dem entspricht
eine individualisierte, fragmentierte Öffentlichkeit, die zum jetzigen
Osten passt, aber dort nicht die Ressourcen für laufenden Konsumzugang
hat. Die Stadtteile am Rande sind nicht so heimelig wie das nette
Nordend oder Bornheim, keine Kneipen, kein Bermemer Mittwoch, wenig
Zusammenhalt, aber oft billiger zu mieten.
Der Frankfurter Osten wälzte sich in
den letzten 30 Jahren von “primärer Produktion” um zu Konsum,
Dienstleistungen und Events, sie wirken als “sekundäre Produktion”
einer Stadt wie Frankfurt. Sekundäre Produktion bietet die notwendige
Ergänzung, einen mittelständischen Boden zum schönen Finanzspektakel der
Innenstadt und Frankfurts Westen. Deshalb passt es ausgezeichnet, dass
in Zukunft die Europäische Zentralbank anstelle der Großmarkthalle
sowie die Solitär-ETWs das Eingansgportal von der Innenstadt zum Osten
bilden. Sie symbolisieren angemessen den Übergang von Geld und
Immobilien zu Einkauf und Event, verbunden durch die Werbewirtschaft in
der Hanauer als “kultureller” Dienstleistungssektor.
Eine kritische Frankfurter Route müsste solche Dynamik der Stadt, ihre
unterirdischen Ströme erkunden und nicht zu viel auf Konsum und Events
setzen wie es gängige bildungsbürgerliche Besichtigungen anbieten. Die
auf regionale Eigenwerbung im modischen Städtewettbewerb setzende “Route
der Industriekultur” ist dazu vermutlich prinzipiell nicht in der Lage.
Vielleicht bleibt das Naxosgelände eine kleine, sprudelnde Quelle nahe
der Innenstadt, die jetzige Hanauer verspricht wenig Erfindung in
solchem Geist – entgegen all dem “Creative” Hype. Sie kann sich dann
weiter auch den tiefer liegenden Schichten der Stadt widmen, besonders
wenn sie im Web unerreichbar sind und in offiziösen Routen nicht
vorkommen. Das Team um Willi Praml zum Beispiel bietet dafür sicher gute Voraussetzungen.
von gaukler am 08.08.2010
Quelle: Frankfurter Gemeine Zeitung
bebilderter Text mit Kommentarfunktion unter http:///kwassl.net/?p=2861