Zur alarmistischen Debatte über die sogenannte Flüchtlingskrise

erstellt von Pro Asyl — zuletzt geändert 2017-07-24T13:16:37+01:00
PRO ASYL: »Es gibt keine Flüchtlingskrise in Europa, sondern eine Krise des Flüchtlingsschutzes und ein unerträgliches Massensterben im Mittelmeer.«

PRO ASYL warnt vor einer alarmistischen Debatte über die vermeintliche Flüchtlingskrise in Europa. Seit 2015 heißt das Dauerproblem: mangelnde europäische Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme. Heute kommen weniger Flüchtlinge nach Europa, aber es existiert nicht einmal in Ansätzen eine »Koalition der Willigen« innerhalb der EU, sie aufzunehmen.

Von daher hat sich die flüchtlings- und menschenrechtliche Situation im Vergleich zu 2015 dramatisch verschärft. »Es gibt keine Flüchtlingskrise in Europa, sondern eine Krise des Flüchtlingsschutzes und ein unerträgliches Massensterben im Mittelmeer«, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL.

Die Fakten: Es sind aktuell (Stand 23. Juli 2017) 110.950 Bootsflüchtlinge im Griechenland, Italien, Zypern und Spanien angekommen. Die Mehrheit von ihnen – 93.314 – landete meist nach dramatischen Seennotrettungsaktionen an den italienischen Küsten. Mindestens 2.365 Menschen sind seit Jahresbeginn auf dem Weg nach Europa bereits gestorben.

Es wären noch viel mehr, wenn nicht humanitäre Rettungsorganisationen maßgeblich den Auftrag der EU und ihrer Mitgliedstaaten übernehmen würden: Sie retten, sie versuchen, das Recht auf Leben auch für die Bootsflüchtlinge einzulösen. Aktuell leisten sie knapp 40 Prozent aller Seenotrettungsmaßnahmen.

Anstatt ihnen zu helfen und endlich einen robusten, flächendeckenden EU-Seenotrettungseinsatz zu organisieren, werden die humanitären Seenotrettungsorganisationen seit Monaten von Rechtsradikalen, dem österreichischen Außenminister, den deutschen und österreichischen Innenministern und dem Frontex- Chef und anderen attackiert.

Die Angriffe und Kriminalisierungsversuche gegen die Lebensretter sollen nicht nur von der humanitären Katastrophe, dem Massensterben im Mittelmeer und der EU-Politik des organisierten Sterbenlassens ablenken. Die Hilfsorganisationen sind auch die einzigen, die auf hoher See das Handeln der EU und ihrer dubiosen libyschen »Partner« zumindest teilweise kritisch beobachten können.

Bezeichnend ist, dass selbst der Kanzlerkandidat der SPD die Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme ausschließlich den anderen abverlangen will. Schulz schlägt vor, dass andere EU-Staaten Italien gegen finanzielle Unterstützung Flüchtlinge abnehmen. Deutschland will er davon aber ausnehmen.

PRO ASYL erinnert die große Koalition daran, dass sich die Bundesregierung im September 2015 verpflichtete, rund 27.500 Schutzsuchende aus Italien und Griechenland bis September 2017 aufzunehmen. Deutschland hat bis zum 19. Juli 2017 lediglich 3.026 Flüchtlinge aus Italien über das Relocation-Programm aufgenommen, 3.712 aus Griechenland. Europaweit wurden bisher lediglich 7.615 Schutzsuchende aus Italien und 16.573 aus Griechenland umverteilt.

 

Neuausrichtung der EU- Flüchtlingspolitik

Angesichts der sich zuspitzenden Lage der Flüchtlinge in Italien und in Griechenland fordert PRO ASYL die deutsche Regierung wie auch die anderen EU-Staaten auf, die schnelle und unbürokratische Übernahme von Flüchtlingen zu organisieren.

Eine verantwortliche und den Menschenrechten verpflichtete Politik muss Flüchtlinge in Seenot retten. Humanitäre Seenotrettungsorganisationen dürfen nicht diffamiert, sondern müssen unterstützt werden. Der Aufbau einer robusten europäischen Seenotrettung ist dringend geboten.

Darüber hinaus müssen die politisch Verantwortlichen in der EU Alternativen zur lebensgefährdenden Flucht über das Mittelmeer schaffen. Ohne legale und gefahrenfreie Wege zu eröffnen, z.B. durch umfangreiche Programme zur Neuansiedlung von Flüchtlingen (Resettlement), Gewährung humanitärer Visa, ungehinderten Familiennachzug etc., wird das Massensterben an Europas Grenzen weiter gehen.

Pro Asyl, Presseerklärung, 24. Juli 2017