Zur Debatte um den Familiennachzug

erstellt von Pro Asyl — zuletzt geändert 2017-12-28T19:15:16+02:00
PRO ASYL: Härtefallregelung nicht ausreichend

Familiennachzug: Laschet-Vorschläge für Zehntausende nicht erfüllbar. Pro Asyl zum sogenannten Kompromissangebot der Union

Nach Medienberichten fordert der Unionsvize Laschet seine Partei zu Kompromissen beim Familiennachzug auf. Die Vorschläge laufen aber auf eine weitere jahrelange Trennung der Familien hinaus. Den Nachweis von Wohnung und Arbeit können zehntausende Flüchtlinge nicht erbringen: geflohen ohne Kenntnisse der deutschen Sprache, in Angst um die Angehörigen, isoliert durch die bis zu 2 jährige Zwangsunterbringung in den Großlagern der Erstaufnahme, Verhinderung des Umzugs innerhalb Deutschlands in Gebiete mit besseren Lebensperspektiven durch die Wohnortzuweisung: Unter diesen Bedingungen stellt die Union unerfüllbare Anforderungen. „Dieser Kompromiss ist keiner, er ist ein Ausdruck des Rechtsrucks in der Union. Grund und Menschenrechte geraten in Vergessenheit. Die Union betreibt eine knallharte Desintegrationspolitik und fordert nicht erfüllbare Integrationsleistungen. Familien dürfen nicht noch länger getrennt werden“ forderte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.

Pro Asyl fordert die Gleichbehandlung von subsidiär geschützten mit Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention. GFK-Flüchtlinge können nicht zurück, weil sie Furcht vor Verfolgung z.B. aus Gründen der Religion, politischen Überzeugung oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben. Subsidiär Schutzberechtigte können nicht zurück, weil ihnen im Herkunftsland ein sogenannter ernsthafter Schaden droht, beispielsweise Folter oder aber ernsthafte individuelle Bedrohungen von Leib und Leben im Bürgerkriegsland. Für beide Gruppen ist die Einheit der Familie nicht im Herkunftsland herstellbar. Eine Rückkehr würde für beide Schutzgruppen automatisch zum Erlöschen des Schutzstatus führen (§ 72 Abs. 1 Nr. 1a AsylG). Das Recht auf Wahrung der Familieneinheit ist grundrechtlich geschützt: Eine noch längere Aussetzung widerspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Trennung von Familien auf lange Zeit ist unanständig, grundgesetzwidrig und verstößt gegen die Menschenrechte (Art. 8 EMRK). Sie zerstört Familien und gefährdet das Leben von Familienangehörigen, die sich zum Teil noch direkt im Kriegsgebiet Syrien aufhalten. Pro Asyl hat deshalb in den Weihnachtstagen beim Deutschen Bundestag eine Petition eingereicht. (https://www.proasyl.de/thema/familiennachzug/)

Für die subsidiär Schutzberechtigten, die bereits unter die Aussetzungsregelung bis März 2018 fallen, ist besonders zu beachten, dass sie von ihren Familien schon viele Jahre getrennt leben. Nach der Flucht waren sie von den langen – oftmals über einjährigen – Asylverfahren betroffen, für zwei weitere Jahre hat der Bundestag den Familiennachzug ausgesetzt. Damit sind sie schon heute mindestens drei Jahre ohne ihre Mütter, ihre Väter, ihre Ehegatten oder ihre minderjährigen Kinder. Die langjährige Trennung von Flüchtlingsfamilien ist verfassungswidrig (Verstoß gegen Artikel 6 GG). PRO ASYL erinnert an das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zur damaligen dreijährigen Ehebestandszeit als Voraussetzung für den Ehegattennachzug zu Gastarbeitern: »Die Beeinträchtigung der Belange von Ehe und Familie durch das Erfordernis einer dreijährigen Ehebestandszeit als Nachzugsvoraussetzung übersteigt auch im Blick auf entgegenstehende öffentliche Interessen das von den Betroffenen hinzunehmende Maß.« (BVerfG, 12.05.1987 – 2BvR126/83; 2 BvR101/84;2BvR 313 /84). Und dabei hat das Gericht noch nicht die unsichere Situation der Flüchtlinge berücksichtigen müssen. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2012 entschieden, dass für einen »gewöhnlichen« Ehegattennachzug außerhalb des Asylrechts selbst eine einjährige Wartefrist zum Spracherwerb unzumutbar ist, wenn das mit einem hohen Sicherheitsrisiko verbunden ist (BVerwG, 04.09.2012 – 10 C 12.12). Dies gilt dann erst recht für subsidiäre Schutzberechtigte aus Bürgerkriegsländern wie Syrien.

Auch der Verweis auf die ohnehin geltende Ausnahmeregelung in § 22 AufenthG funktioniert nicht. Bis heute wurden gerade einmal 66 Visa erteilt. Lediglich 230 weitere Fälle befinden sich noch in Bearbeitung (Stand 04.12.2017; Antwort des Auswärtigen Amtes vom 06.12.2017 auf die schriftliche Frage Nr. 11-263).

Pro Asyl, Presseerklärung, 27. Dezember 2017

 

PRO ASYL fordert von den Sondierenden, die familienfeindliche Verweigerung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte zu beenden: »Eine Härtefallregelung ist absolut nicht ausreichend. Wer will nach welchen Kriterien auswählen, wer aus dem Kriegs- und Krisengebiet ausreisen darf und wer nicht. Das ist nebulös. So kann ein Grundrecht durch Behördenentscheidungen zum Leerlaufen gebracht werden. Wir erwarten nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung der verbrieften Grund- und Menschenrechte. Deshalb muss die gesetzliche Trennung der Familien zum 16. März 2018 auslaufen. Familien gehören zusammen«, fordert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

PRO ASYL warnt die SPD, sich auf faule Kompromisse einzulassen und erinnert, dass mit dem leeren Versprechen, eine Härtefallregelung würde funktionieren, bereits einmal die SPD eine Fehlentscheidung mitgetragen hat.

Eine Härtefallregelung nach § 22 AufenthG erfordert völkerrechtliche oder dringende humanitäre Gründe zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Während zunächst kaum ein einziges Visum nach dieser Norm erteilt wurde, sind es auch heute gerade einmal 66 erteilte Visa. Lediglich 230 weitere Fälle befinden sich noch in Bearbeitung (Stand 04.12.2017; Antwort des Auswärtigen Amtes vom 06.12.2017 auf die schriftliche Frage Nr. 11-263). 66 einzelne Visa nach knapp zwei Jahren können aber keinen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Familiennachzug ersetzen.

Die Anforderungen an § 22 AufenthG sind extrem hoch, wie das Auswärtige Amt selbst formuliert: »Er stellt keine allgemeine Härtefallregelung gegenüber den übrigen Aufenthaltszwecken dar. Eine Aufnahme aus dringenden humanitären Gründen ist eine Einzelfallentscheidung nach Abwägung aller Umstände und setzt eine besonders gelagerte Notsituation voraus, die sich von den Lebensumständen im Aufenthaltsland deutlich abhebt und aus der sich beispielsweise eine dringende Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen ergibt.«

"Diese Sätze erinnern fatal an das jetzige Scheinangebot der CSU. Wir appellieren auch an die liberalen Kräfte in der Union, insbesondere den NRW-Ministerpräsidenten Laschet, sich dem Rechtsruck in der Union entgegenzustellen", forderte Günter Burkhardt. Die Verweigerung des Familiennachzugs ist desintegrativ. Hauptbetroffene der Aussetzung sind SyrerInnen. Zwischen Januar und Oktober 2017 bekam mit rund 62 % die Mehrheit nur den subsidiären Schutz erteilt (51.607 von insgesamt 83.555 inhaltlichen Entscheidungen). Ein Großteil der syrischen Flüchtlinge wird lange auf Schutz und Verbleib in Deutschland angewiesen sein. Für subsidiär Geschützte gibt es im Hinblick auf Rückkehrmöglichkeiten nach Syrien keinerlei Unterschied zu den GFK-Geschützten. Beide sind Abweichler des Assadregimes und laufen bei Rückkehr Gefahr verfolgt zu werden.

Ein sinnvoller Nebeneffekt wäre, dass ein beachtlicher Teil der bei Verwaltungsgerichten derzeit rund 322.000 anhängigen Klagen (BT-Drucksache 18/13703, S. 8) obsolet würde. Viele SyrerInnen klagen zu Recht auf den GFK-Schutz. Bis Mai 2017 gab es bei Gerichten rund 57.000 anhängige Asylverfahren von SyrerInnen (BT-Drucksache 18/13551, S. 26) gegen die Erteilung des subsidiären Schutzes.

Pro Asyl, Presseerklärung, 28. Dezember 2017