Börsenfusion: Senkung der Kapitalkosten angepeilt

Welche Interessen haben die Fusion der Frankfurter und Londoner Börse forciert?

In einem zweiten Anlauf nach 1998 scheint die Fusion der seit längerem unter dem Titel Deutsche Börse AG firmierenden Frankfurter Börse mit der Londoner Börse (LSE = London Stock Exchange) zustande zu kommen. Sitz der neuen europäischen Gesellschaft iX (international Exchange) soll London sein, der bisherige Vorstandsvorsitzende der Deutsche Börse AG, Seifert, ein gebürtiger Schweizer, wird Chef. Geplant ist, den Handel in Standardwerten in London durchzuführen, die Kurse sollen parallel in Euro und Pfund angezeigt werden. In Frankfurt sollen gemeinsam mit der US-Technologiebörse Nasdaq sogenannte „Wachstumswerte“, also vor allem Aktien aus dem Bereich Technologie und Medien gehandelt werden. Das elektronische Handelssystem Xetra der Deutsche Börse Systems soll auch in London eingesetzt werden, was vor allem dort zu Arbeitsplatzabbau und den von Seifert prognostizierten 140 Mio. DM Einsparungen jährlich ab 2002 führen soll.
Wenn die japanische Tochterfirma von Nasdaq einbezogen wird, rückt ein weltweit vernetzter 24-Stunden-Handel in greifbare Nähe, wie ihn vor immerhin 15 Jahren ein FAZ-Kommentator so beschrieben hat: „In London dagegen können es sich die großen Finanzhäuser nicht mehr leisten, ihre Topmanager nach Hause gehen zu lassen, wenn die Wall Street erwacht. In der City tobt ein harter Kampf um die Verwaltungsmandate für Milliardendepots ... Das Management der großen Anlagefonds muss einen Service rund um die Uhr bieten, der Sonne folgend von London nach New York, weiter nach San Francisco über Tokio nach Singapur wieder zurück nach Europa ... Am liebsten würden es die Effektenmanager sehen, wenn es eine Art ‘Weltbörse’ mit einheitlichen Konditionen rund um die Uhr gäbe.“ (FAZ 26.1.1985) Damit hatte die FAZ die Haupttriebkräfte für die Fusion der Börsen (= Großmärkte für Kapital) beschrieben: Die institutionellen Anleger wollen die Kosten der verschiedenen Börsen- und Abwicklungssysteme einsparen, die Kosten der Kapitalzirkulation sollen gesenkt werden. In den letzten Jahren hatten die großen Investmentbanken einschließlich der Deutschen Bank, die mit Breuer den Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Börsen AG stellt, sogar alternative Handelssysteme, z. B. das System Tradepoint, als Konkurrenz aufgebaut, um Druck in Richtung Zusammenschluss der Börsensysteme zu machen.
Die Abwicklungsgesellschaften Crest (Großbritannien) und Clearstream (BRD/ Luxemburg) bleiben außen vor, so dass weiterhin unterschiedliche nationale Abwicklungssysteme vorhanden sind. Dies ist auch der Hauptkritikpunkt der Financial Times Deutschland in einem Kommentar am 4. Mai. Kritisiert wird, dass eine Vernetzung der europäischen Banken auch im Interesse der Kleinanleger ausgereicht hätte, wenn Schritte hin auf eine gemeinsame Abwicklung gegangen würden. Zudem sei jetzt Europas wichtigstes Finanzzentrum sozusagen „offshore“, soll heißen, außerhalb der Eurozone.
Die seit jüngstem in der Organisation Euronext zusammengeschlossenen Börsen Paris, Amsterdam und Brüssel zeigen eine gelassene Reaktion. In Europa sei wie in Amerika Platz für verschiedene Börsen, zudem sei bereits eine nationale Fusion schwierig. „Je mehr Länder jedoch beteiligt sind, desto größer wird das Chaos. Unterschiedliche Technologien sind zu harmonisieren. Unterschiedliche Kulturen prallen zusammen und unterschiedliche Vorschriften müssen vereinheitlicht werden“, so der Sprecher der Amsterdamer Börse. Nach dem Scheitern der Fusion Deutsche und Dresdner Bank eine nicht abwegige Meinung.
In der laufenden Auseinandersetzung um die Verlängerung der nationalen Börsenhandelszeiten in Deutschland bis in die Nacht hinein entfällt jedenfalls ein wichtiges Argument der Arbeitgeberseite: die Konkurrenz mit London und den außerbörslichen Systemen. Und die Beschäftigten der Deutsche Börse Systems, früher bekannt als Börsendatenzentrale, haben auch bereits Vorschläge für eine internationale Arbeitsteilung gemacht. Im Rahmen der Kooperation mit der Chikagoer Terminbörse CBOT soll ab einer bestimmten Uhrzeit der technische Leitstand von Frankfurt nach Chikago umgeschaltet werden, damit die Beschäftigten in Frankfurt Feierabend und Nachtruhe genießen können. gst
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