101 neue Stolpersteine für Opfer des Nationalsozialismus

by Initiative Stolpersteine Frankfurt veröffentlicht 09.06.2024

Verlegung und Enthüllung vom 16.-19. Juni 2024, darunter Frankfurts 2000. Stolperstein

Der Künstler Gunter Demnig kommt nach Frankfurt

Die große Stolperstein-Verlegung des Jahres 2024 in Frankfurt findet vom 16. bis zum 19. Juni statt. An diesen vier Tagen werden in neun verschiedenen Stadtteilen 101 neue Stolpersteine für Verfolgte des Nationalsozialismus vor deren letzten frei gewählten Wohnort eingelassen. Am Dienstag, 18. Juni, und Mittwoch, 19. Juni, wird der Künstler und Urheber der Stolpersteine Gunter Demnig die Steine persönlich verlegen. Am Sonntag, 16. und Montag 17. Juni werden weitere, einige Tage zuvor verlegte Steine feierlich enthüllt. Wie immer werden die Stolpersteine durch Spenden von Frankfurterinnen und Frankfurtern finanziert.

Gedenken an Opfer der Shoah und an nicht-jüdische Opfer

Die meisten der Gedenksteine erinnern wieder an das Schicksal Frankfurter Jüdinnen und Juden, die im Nationalsozialismus entrechtet, vertrieben, deportiert und ermordet wurden. An sie erinnern die neuen Stolpersteine an 25 Adressen. Die vielen Einzelschicksale stehen beispielhaft für das Leid der über 30.000 aus Frankfurt vertriebenen oder ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. In Zeiten eines wieder verstärkt aufkeimenden offenen Antisemitismus hat diese Erinnerung heute eine besondere Bedeutung. Einige der neu verlegten Stolpersteine erinnern aber auch an verfolgte Zeugen Jehovas, politisch Verfolgte sowie an ein Opfer aus einer lange übersehenen Gruppe.

Der 2000. Stolperstein in Frankfurt für ein Opfer aus einer lange übersehenen Opfergruppe

Frankfurts 2000. Stolperstein erinnert an das Schicksal von Lorenz Weisbrod (17.6., 10:45, Mainkurstr. 29). Er war wegen kleinerer Straftaten mehrfach verurteilt. Von den Nationalsozialisten wurde er als sogenannter "Berufsverbrecher" stigmatisiert. Er verlor dadurch alle Rechte und wurde nach vollständiger Verbüßung seiner Gefängnisstrafe nicht entlassen, sondern ins Konzentrationslager Flossenbürg verbracht. Dort wurde er mit einem "Grünen Winkel" gekennzeichnet, gequält und kurze Zeit später in der Tötungsanstalt Bernburg ermordet. Mit den Stigmata "Berufsverbrecher" oder "Asoziale" verfolgten Menschen wie Lorenz Weisbrod wurden nach dem Krieg in der Bundesrepublik lange die Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus verweigert. Überlebende waren auch nach Ende der NS-Zeit weiterhin sozial gebrandmarkt. Erst 2020 beschloss der Bundestag ihre Anerkennung als Opfer des nationalsozialistischen Unrechtssystems.

Priester, Sozialdemokratin, Jehovas Zeugen

Vor der Hochschule Sankt Georgen in Sachsenhausen (18.6., 10:00, Offenbacher Landstr. 224) werden Steine für den Jesuitenpater Kurt Dehne und den Priesteranwärter Kurt Mathias von Leers verlegt, die als Andersdenkende in Gefängnis und Konzentrationslager gequält wurden. Am 17.6., 10:00, wird in Fechenheim, Am Alten Volkshaus an die SPD-Reichstagsabgeordnete Johanna Tesch erinnert. Sie wurde infolge des Attentats auf Hitler am 20. Juli verhaftet und im KZ Ravensbrück ermordet. In der Alte Gasse 51 (16.6.) und der Habsburgerallee 17 (17.6.) gedenken wir der Familie Beilacher, die als "Bibelforscher" (heute Jehovas Zeugen) verfolgt wurden.

Zeitzeugen und Angehörige aus aller Welt kommen nach Frankfurt -

Viele der Stolpersteine wurden von Nachfahren der Opfer initiiert. Zu den Verlegungen reisen circa 80 Nachkommen aus den USA, Israel, England, Belgien und Deutschland an. Darunter haben sich auch zwei noch lebende Zeitzeugen aus den USA angekündigt, für die auch Stolpersteine vor ihrem Elternhaus verlegt werden: die 98-jährige Anneliese Lindheimer (19.6., 14:40, Wolfsgangstr. 14) und der 87-jährige Werner Gundersheimer (19.6., Leerbachstr. 27).

Frankfurter Institutionen gedenken verfolgter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Mit mehreren Stolpersteinen erinnern auch Frankfurter Institutionen an verfolgte jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Eintracht Frankfurt (17.6., 15:10, Neue Mainzer Str. 76) an Emanuel Rothschild, der versteckt in der Umgebung Frankfurts der Deportation entging, das Historische Museum und das Jüdische Museum an die Kunsthistoriker Dr. Guido Schönberger (19.6., 10:00, Höhenblick 22) und Dr. Hermann Gundersheimer, die Senckenberg Gesellschaft an die Neuro-Paläontologin Dr. Tilly Edinger (beide 19.6., Leerbachstr. 27), die Deutsche Bank an Eduard Rothschild (17.6., 14:30, Feuerbachstr. 11).

Öffentliche Zeremonien mit Beteiligung von Schülerinnen und Schülern

Die Verlegungen und Enthüllungen finden im Rahmen von musikalisch begleiteten Zeremonien statt, zu denen die heutigen Nachbarn und alle Frankfurterinnen und Frankfurter eingeladen sind. An mehreren Stellen beteiligen sich aktiv Schülerinnen und Schüler verschiedener Frankfurter Schulen.

Feierlicher Empfang "Abend der Begegnung" mit den Angehörigen der Opfer im Philanthropin

Am Dienstag findet um 17:00 Uhr an historischer Stätte des Philanthropin im Nordend ein Empfang "Abend der Begegnung" für die aus aller Welt angereisten Angehörigen der Opfer, die Stolperstein-Patinnen und -Paten, den Künstler Gunter Demnig und die aktiven Unterstützer des Stolperstein-Projekts in Frankfurt statt. Hier bietet sich in feierlichem Rahmen und mit musikalischem Rahmenprogramm die Möglichkeit zum Kennenlernen und Austausch. Das Grußwort der Stadt Frankfurt spricht Oberbürgermeister Mike Josef, das der Jüdischen Gemeinde Frankfurt Rabbiner Julian-Chaim Soussan.

Projekt Stolpersteine

Stolpersteine sind 10 x 10 x 10 cm große Betonquader mit einer auf deren Oberseite verankerten Messingplatte, auf der die Namen und Daten von Menschen eingraviert sind, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden, aus Deutschland fliehen mussten oder die Lager überlebten. Sie werden in die Bürgersteige vor den letzten frei gewählten Wohnorten der Opfer eingelassen.

Seit 2003 werden in Frankfurt Stolpersteine verlegt, insgesamt hat der Künstler Gunter Demnig, europaweit schon mehr als 110.000 Stolpersteine verlegt. Die Stolpersteine gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

Zeitplan, Biografien, Bildmaterial

Die Schicksale und Biografien der Opfer finden sich auf der Webseite der Initiative Stolpersteine unter: https://www.stolpersteine-frankfurt.de/de/aktuell

Pressemitteilung 7.6.2024