„Bedauernde Worte reichen nicht aus. Es braucht Antworten und Konsequenzen!“

erstellt von Förderverein Roma — zuletzt geändert 2021-02-19T13:39:04+02:00
Der Hessische Landesverband Deutscher Sinti und Roma zur Jährung des Anschlags vom 19. Februar in Hanau

Am 19. Februar 2020 wurden in Hanau neun Menschen aus rassistischen Gründen ermordet und viele weitere verletzt. Der Hessische Landesverband Deutscher Sinti und Roma nimmt den Jahrestag des Anschlags zum Anlass, die Forderung nach einer lückenlosen Aufklärung zu bekräftigen und gleichzeitig der Opfer zu gedenken: „Von der Politik und den Behörden fordern wir Aufklärung, von der Gesellschaft als ganzer erwarten wir, dass sie die Opfer nicht vergisst“, so Adam Strauß, Vorsitzender des Hessischen Landesverband Deutscher Sinti und Roma.
Es gilt die Erinnerung an die Ermordeten Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin wachzuhalten und sich ins Gedächtnis zu rufen, wozu Rassismus führen kann.
Unter den neun Ermordeten waren auch drei Angehörige der Minderheit der Roma. Vili Viorel Păun ist einer von ihnen. Er wurde nur 22 Jahre alt. Am 19. Februar war Vili Viorel Păun auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Dort wollte er mit seinen Eltern zusammen Abendessen. Er parkte vermutlich gerade sein Auto, als er den ersten Anschlag mitbekam. Von dort verfolgte er den Täter zum zweiten Tatort und versuchte ihn aufzuhalten. Dabei rief er mehrere Male den polizeilichen Notruf – kam aber nicht durch. Es dauerte fast ein Jahr bis der hessische Innenminister Peter Beuth auf öffentlichen Druck hin einräumte, dass der Notruf stark unterbesetzt war.Der Hessische Landesverband Deutscher Sinti und Roma bekräftigt die Forderung der Hinterbliebenen und Angehörigen nach einer lückenlosen Aufklärung. „Nach solchen Anschlägen wird immer wieder lückenlose Aufklärung versprochen. Die Angehörigen von Vili Viorel Păun fragen jedoch seit einem Jahr, warum ihr Sohn die Notrufzentrale nicht erreichen konnte. Es ist schockierend, dass diese Eingeständnisse so lange brauchen und auch Konsequenzen auf sich warten lassen. Das Hanauer Notrufsystem ist bis heute noch nicht mit einer Anrufweiterleitung ausgestattet. Das verspielt Vertrauen in die Polizei und die Politik und nimmt den Schmerz der Angehörigen nicht ernst“, kritisiert Adam Strauß.
Die Wirkung des rassistischen Anschlags geht weit über Hanau hinaus. Sinti und Roma in ganz Hessen verunsichert der zunehmende Terrorismus in Deutschland und Hessen. Den Landesverband erreichten in den Tagen und Wochen nach dem rassistischen Anschlag in Hanau vermehrt Anfragen, wie Sinti und Roma Communities geschützt werden können. Die Angst selbst Opfer eines rechtsterroristischen Anschlages zu werden, wächst und wird durch die Enttäuschung über die schleppende Aufklärung nicht geringer.
„Derjenige der die Waffe abgefeuert hat, kann nicht mehr verfolgt werden. Das ist jedoch kein Grund die Akte zu schließen: Auch ein Jahr später sind noch zu viele Fragen offen!“, mahnt Strauß. „Was zum Beispiel ist mit dem Vater des Täters? Es ist bekannt, dass der ähnliche Überzeugungen besitzt, wie sein Sohn. Wieviel wusste er? Wie hat er das Weltbild seines Sohnes geprägt? Das sind wichtige Fragen insbesondere für die Menschen, die weiterhin ohne Schutz in seiner Nachbarschaft wohnen müssen. Erschreckend sind auch die aktuellen Vorwürfe zu behördlichem Versagen und Fehlverhalten. Warum war der Notausgang verschlossen? All diese Fragen müssen geklärt und aus den Antworten Konsequenzen gezogen werden! Es kann nicht sein, dass diese Themen nur auf massiven Druck der Hinterbliebenen und Überlebenden auf die Tagesordnung kommen!“
Um zukünftige Anschläge verhindern zu können, sei eine konsequente Aufklärung notwendig. Denn nur wenn die Bereitschaft bestehe Fehler einzugestehen, könne aus ihnen gelernt werden, so Adam Strauß. „Es geht hierbei auch um unsere ganz persönliche Sicherheit und die Sicherheit aller. Da reichen bedauernde Worte nicht aus. Es braucht Antworten und Konsequenzen“
Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen
Pressemitteilung, 15.02.2021