Broschüre “Hochschule im Neoliberalismus”

erstellt von bildungsstreik ffm — zuletzt geändert 2010-08-17T16:50:27+02:00
Die im Juni 2010 erschienene Broschüre “Hochschule im Neoliberalismus” versammelt in zwölf Beiträgen Analysen über den gegenwärtigen Zustand der Hochschule. Sie ist ein Gemeinschaftswerk von Frankfurter Studierenden und Lehrenden und thematisiert nicht nur ein Studium nach Bologna, sondern ebenso den Wissenschaftsbetrieb, Arbeitsverhältnisse, Hochschulstruktur, das „Sicherheits“management – bis hin zur Bedeutung von Bildung und Wissenschaft in einer kapitalistischen Gesellschaft. Zudem gehört der Blick auf den Frankfurter Campus-Umzug, eine selbstkritische Betrachtung des Protests im letzten Semester, ein historischer Rückblick auf 68 sowie die Überlegungen zur Emanzipation der Hochschule dazu.

Die Broschüre ist hier online als PDF verfügbar:

[Die Broschüre liegt auch in den selbstverwalteten Cafés und den jeweiligen politischen Projekten rund um die Unis und darüber hinaus aus].

INHALTSVERZEICHNIS DER BROSCHÜRE:

Einleitung 4

I. Stellung und Funktion des Bildungswesens in der kapitalistischen Gesellschaft 5

1. Bildung und Wissenschaft im Kapitalismus: von Emanuel Kapfinger und Thomas Sablowski 5

II. Historische Entwicklung der Universität 18

2. Über die Grenzen der Bildung. Anmerkungen zu ihrem bürgerlichen Charakter: von Thomas

Gehrig 18

3. 1968 zwischen Bildungskatastrophe und Bildungsreform, oder: von Picht zu Pisa, von Margit Rodrian-Pfennig 29

III. Hochschule im Neoliberalismus 37

4. Neoliberale Hochschulpolitik, oder: wie die Hochschulen durch umfassende Etablierung

eines Pseudo-Wettbewerbs zugrunde gerichtet werden: von Oliver Brüchert 37

5. Kritische Anmerkungen zum Hessischen Hochschulgesetz: von Juliane Hammermeister 45

6. Paradigmenwechsel. Anmerkungen zum Umzug der Uni Frankfurt: von Charly Außerhalb 48

IV. Lehr- und Forschungsbedingungen heute 53

7. Prekäre Arbeitsbedingungen in Lehre und Forschung: von Christoph Bauer 53

V. Studienbedingungen heute 63

8. „Und ständig gibt es noch zusätzliche Mechanismen, wie man Studierende hier unter Druck

setzt. . . ” Interview mit Benjamin Ortmeyer 63

9. Die Enteignung der Bildung durch den Bologna-Prozess: von Emanuel Kapfinger 66

10.Universität in Sicherheit. Um wessen Sicherheit geht es eigentlich, wenn von Sicherheit in

der unternehmerischen Hochschule die Rede ist? Von Anna Kern 68

VI. Bildungsproteste und ihre Kritik 72

11.Kritik und Protestformen im Bildungsstreik 2009/10: von Corina Färber 72

12.Über die Schwierigkeiten basisdemokratischer Selbstorganisation: von Carolin Mauritz 75

VII. Anhang 81

GESCHICHTE UND ARBEIT DER PROJEKTGRUPPE HOCHSCHULE IM NEOLIBERALISMUS:

Aus dem Bildungsstreik an der Universität Frankfurt ist im letzten Herbst 2009 eine Arbeitsgruppe entstanden, die sich mit den aktuellen Bedingungen von Lehre und Studium auseinandergesetzt hat. Der entsprechende ursprüngliche Workshop hieß “Kritik der Lehre und der Forschung aus der Sicht von Lehrenden”, wobei schnell eine Öffnung für Studierende stattfand. In dieser Arbeitsgruppe sind in den letzten Monaten eine Reihe von Texten entstanden, die sich mit der aktuellen bildungspolitischen Situation an Hochschulen auseinandersetzen, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf die Universität Frankfurt gelegt wurde. Es konnten auch Texte Dritter gewonnen werden. Die beteiligten Personen sind Mitglieder des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften, tlw. auch des Fachbereichs Erziehungswissenschaften der Universität Frankfurt. Studierende wie Lehrende sind in den Texten etwa anteilig vertreten.

Ein gutes halbes Jahr ist es nun her, dass der Bildungsstreik des vergangenen Herbstes seinen Höhepunkt erreichte. Im Mittelpunkt stand dabei bundesweit die Besetzung von Hörsälen, die den Studierenden als Mittel diente, ihrem Protest an den Verhältnissen des Bildungssystems oder aber auch nur den Bologna-Reformen Ausdruck zu verleihen.[1]

Auch in Frankfurt wählte ein Teil der Studierenden den Weg der Besetzung – unter dem Motto „Bildung braucht Zeit und Raum” wurde am 30.11.09 das „Casino” des IG-Farben-Gebäudes besetzt. Hier sollte die Möglichkeit geschaffen werden, die Entwicklung der Hochschule und der Proteste zu reflektieren, wozu im Alltag der Universität zu wenig Möglichkeiten existieren (Zeit-, Lern-, Konkurrenzdruck, zu wenig kritische Seminare etc.) Zu diesem Zweck wurde ein Programm von über 70 Workshops organisiert, an dem sich Studierende und Lehrende beteiligten, „um sich auszutauschen und um [...] praktische Handlungsmöglichkeiten [entwickeln zu können]. Es [ging] um die Formulierung konkreter Kritik, Formen von Organisation und politischer Arbeit an der Universität, Erarbeitung alternativer Bildungskonzepte und Strukturen im Bildungssektor”.

Nach der Räumung des Casinos durch die Polizei am 02.12.09 – zu der sich das Präsidium der Goethe-Universität auf Grund von „zunehmendem Vandalismus” und „hohe[n] Sachschäden [...] am Gebäude selbst, aber auch an Mobiliar [und] Inventar” genötigt sah[2] – geriet die inhaltliche Diskussion zunehmend in den Hintergrund. Vielmehr konzentrierte sich die öffentliche Wahrnehmung auf die Sachbeschädigungs- und Gewaltdebatte sowie die Diskussion um die im Rahmen der Räumung gestellten Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.[3] Der studentische Protest wendete sich im Folgenden insbesondere der Kritik am Vorgehen des Präsidiums zu, versuchte aber im Rahmen der „Norbert-Wollheim-Universität”[4] die inhaltliche Arbeit in Form von Workshops fortzusetzen.

Vor diesem Hintergrund der Ereignisse des letzten halben Jahres ist die Arbeit dieser Gruppe von Frankfurter Studierenden und Lehrenden zu sehen. Ausgehend von einem während des Streiks gehaltenen Workshop einer Gruppe Lehrender unter dem Titel „Kritik der Lehre und der Forschung aus der Sicht von Lehrenden”, entstand der Wunsch nach einer Zusammenarbeit von Lehrenden und Studierenden, um sich gemeinsam mit der aktuellen bildungspolitischen Situation an den Hochschulen allgemein sowie speziell in Frankfurt zu befassen. Die hier vorliegenden Texte können als – wenn auch nur vorläufiges – Ergebnis des Prozesses dieser Auseinandersetzung stehen und setzten sich insbesondere mit der Frage nach dem Zusammenhang von Bildungssystem und Gesellschaft, den Arbeits- und Studienbedingungen, der Situation an der Frankfurter Goethe-Universität (die durch den anstehenden Umzug sowie die Gründung der Stiftungsuniversität eine besondere ist), sowie den vergangenen und aktuellen Bildungsprotesten auseinander.

Für die Unterstützung beim Druck bedanken wir uns beim Asta der FH Frankfurt (Main), beim Landesvorstand der GEW Hessen und bei der Fachschaft des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften, Goethe-Universität Frankfurt (Main).

Frankfurt im Mai 2010

Christoph Bauer
Simon Burkhardt
Oliver Brüchert
Corina Färber
Juliane Hammermeister
Emanuel Kapfinger
Thomas Sablowski
Nils Schlesinger

Fußnoten:
[1] Aufruf zu den Workshops auf http://www.bildungsstreik-ffm.de
[2] Vgl. Pressemitteilungen der Goethe-Universität vom 01.12.09 und 03.12.09, http://www.muk.uni-frankfurt.de/pm/pm2009/ 1209/index.html
[3] Von ursprünglich 176 Anzeigen zog das Präsidium 70 zurück, 106 stehen zum jetzigen Zeitpunkt noch im Raum.
[4] Benannt nach dem ehemaligen Zwangsarbeiter Norbert Wollheim, der nach Ende des zweiten Weltkrieges den IG-Farben Konzern auf Entschädigung verklagte. Vgl. http://norbertwollheimuniversitaet.blogsport.de