Continental Karben: Menschenkette und Kundgebung am 10.09.2020 gegen die Schließungsabsichten

Continental hat einen noch massiveren Stellenabbau bundesweit angekündigt. Für unser Werk in Karben bedeutet das, dass die Produktion bis 2023 eingestellt und das Werk bis 2024 komplett geschlossen werden soll. Das betrifft ca. 1.080 Mitarbeiter*innen. Das können und wollen wir uns nicht bieten lassen!

Stellungnahme des Betriebsrates zur beabsichtigten Werkschließung in Karben

Mit Entsetzen und absolutem Unverständnis haben wir am 1. September die Nachricht von der geplanten Schließung unseres Werkes in der Dieselstraße 6-20 in Karben vernommen.

Die großen Strategen in der Conti-Führungsriege scheinen ihrem Kurs treu zu bleiben, sich binnen kürzester Zeit möglichst vieler Mitarbeiter oder gleich ganzer Standorte in Deutschland zu entledigen. Die Begründungen für den massiven Stellenabbau in Deutschland und die Werkschließungen in Babenhausen, Nürnberg und Karben sind wenig schlüssig und werden uns als „alternativlos“ verkauft.

Entgegen anderer Unternehmen aus der Branche, wie ZF, Bosch oder Mercedes, wurde bei Continental nicht einmal der Versuch unternommen, im Dialog mit den Arbeitnehmervertretern eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Von anderen Nationen werden wir in Deutschland um Steuerungsinstrumente, wie zum Beispiel das der Kurzarbeit, beneidet. Nach der Wirtschaftskrise 2008/09 standen den deutschen Unternehmen, in der Phase des Hochlaufens, sofort die Stammbelegschaften wieder zur Verfügung. Anderswo mussten sich Firmen mühevoll das verlorengegangene Fachpersonal über lange Zeit wieder aufbauen.

Nicht anders verhält es sich heute. Wer an einer Fortsetzung der Entwicklung und Produktion in Deutschland interessiert ist, sucht nach einer Lösung zur Überbrückung der aktuellen Situation, ohne Standorte und Fachpersonal für alle Zeit fallenzulassen.

Unter der Überschrift „Standortsicherung“ haben auch die Kolleginnen und Kollegen in Karben, in den letzten elf Jahren, 52 Mio. Euro von ihren Löhnen und Gehältern geopfert. Entgeltreduzierung, Arbeiten ohne Bezahlung und letztendlich eine Delle in der Rentenbiografie wurden in Kauf genommen, um den Standort zu erhalten. Auch in den Continental-Werken im hessischen Babenhausen und in Villingen, im Schwarzwald, liefen diese „Standortsicherungen“, die sogenannten „Ergänzungstarifverträge“, bei denen vom Tarif abgewichen werden darf.

Für einen wertgleichen Betrag der eingesparten Löhne und Gehälter an den Standorten Babenhausen, Villingen und Karben wurden zeitgleich zwei neue Werke in Osteuropa aus dem Boden gestampft. Das Kapital der scheinbar erkauften Standortsicherung wurde somit einem gegenläufigen Verwendungszweck zugeführt.

Natürlich können an dieser Stelle grundlegende Fehler und Versäumnisse des Managements nicht unerwähnt bleiben. Der naive Glaube an ein unendliches Wachstum im Allgemeinen und in der Automobilindustrie im Besonderen hatte schon religiöse Züge angenommen. Bei allem, was nicht 10 % Rendite versprach, wurde die Nase gerümpft. Mit permanenten Großinvestitionen und zahlreichen Übernahmen in den letzten Jahren haben selbst Fachleute keine klare Richtung mehr erkennen können.

Dem von Arbeitnehmerseite immer wieder vorgetragenem Wunsch, die Abhängigkeit von der Automobilindustrie zu minimieren, wurde nicht ernsthaft nachgegangen. Der Aufbau eines zweiten Standbeines im Non-Automotive Bereich blieb aus. Unser Werk in Karben verfügt über eine hochmoderne Elektronikfertigung unter Reinraumbedingungen. In den vergangenen Jahren haben wir erfolgreich komplexe Produkte übernommen, an denen andere verzweifelt gescheitert sind. Continental Karben steht für hohe Automatisierung und hat einen exzellenten Ruf im Punkte Qualität und Liefertreue. Erst vor wenigen Monaten wurden wir Gesamtsieger des Manufacturing Excellence Award 2019. Unter wissenschaftlicher Leitung der Technischen Universität Berlin, wird seit 2005 der MX Award in Deutschland jährlich vergeben. Der Leitgedanke des Manufacturing Excellence Award lautet: „Stärken erkennen – Maßstäbe setzen“ und „Wertschöpfung in Deutschland erhalten und absichern“.

Unserer Meinung nach ist Continental gerade dabei einen gewaltigen Imageverlust zu verursachen. Man hat in den letzten Jahren keine Möglichkeit ausgelassen, Geld mitzunehmen, sei es vom Steuerzahler (Kurzarbeit) oder von den Mitarbeitern (Ergänzungstarifverträge). Jetzt ist man dabei, vermeintlich lästigen Ballast abzuwerfen. Eigentum verpflichtet! Gemeinwohlorientierung und soziale Verantwortung? Fehlanzeige!

Der Betriebsrat in Karben wird gemeinsam mit allen Kolleginnen und Kollegen für den Fortbestand des Standortes Karben und den Erhalt der Arbeitsplätze kämpfen. Solidarisch mit den anderen Continental-Werken und allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland fordern wir zusammen mit Gewerkschaften, politischen Parteien und anderen Organisationen endlich mehr Verantwortung und Demokratie in der Wirtschaft!
Frank Grommeck, Betriebsratsvorsitzender, 07.09.2020

Persönliche Erklärung von Michael Erhardt (IG Metall Frankfurt)

Sehr geehrter Herr Matschi, sehr geehrte Herren Stuhlmann und Sistermanns,
sehr geehrte Damen und Herren der Arbeitgeberseite im Aufsichtsrat,
zu den gestern bekannt gegebenen Restrukturierungsplanungen des Konzerns möchte ich als Mitglied unseres Aufsichtsrates Stellung nehmen. Einige von Ihnen tragen ja auch mehr, andere weniger Verantwortung für diese Planungen:

Sowohl die Dimension, als auch die Vorgehensweise sind erschreckend. Niemand leugnet, dass Corona und Transformation den Konzern und das Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellt. Es hätte die Chance bestanden, die Vertreter/-innen der Arbeitnehmerseite einzuladen, Lösungen und Wege zu Lösungen gemeinsam zu diskutieren, zu identifizieren und zu beschließen. Die Vorteile gemeinsam getragener Lösungen liegen auf der Hand. Andere Konzerne mit sehr ähnlichen Problemen gehen einen solchen Weg.

Continental agiert anders. Hinter verschlossenen Türen wird geplant. Es findet keinerlei Einbeziehung des Wirtschaftsausschusses oder der Arbeitnehmervertreter in unserem Aufsichtsrat zu einem Zeitpunkt statt, an dem die Planungen noch ein offenes Ergebnis haben und eben nicht abgeschlossen sind. Man verschanzt sich dabei hinter den Anforderungen der Börse, die zum Schutz der Aktionäre geschaffen wurden. Deren Interessen sind offenkundig mehr wert als die der Beschäftigten und die Mitbestimmungsrechte unserer Betriebsräte.

Am 30. September wollen Sie die am 01. September bekanntgegebenen Planung im Aufsichtsrat der AG beschließen. Wir haben also 28 Tage Zeit eine betriebswirtschaftliche tragfähige Alternative zum geplanten Abbau von 13 Tausend Arbeitsplätzen in Deutschland zu erarbeiten und dem Unternehmen vorzustellen. Das ist, wie Sie wissen, unmöglich.

So kann Continental nicht mit der Arbeitnehmerseite umgehen! Kehren Sie um und suchen Sie mit der Arbeitnehmerseite gemeinsame Lösungen. Wir haben gute Instrumente zur Überbrückung von Unterauslastung, die zu nutzen sind. Verlassen Sie den Weg der Konfrontation. Wir brauchen die Ideen der Beschäftigten für den Umbau im Zuge der Transformation. Mit Werkschließungen und Massenentlassungen erzeugt Continental ein Klima der Angst und schürt Großkonflikte in einem bisher nicht erlebten Ausmaß.

Wir fordern: Nutzen Sie Überbrückungsinstrumente wie Kurzarbeit. Nehmen Sie Abstand von
Verlagerungen in diesen Zeiten der Unterauslastung. Reden Sie mit der Arbeitnehmerseite über die Produkte und Dienstleistungen für die Standorte von morgen. Lassen Sie uns reden über erforderliche Investitionen, Qualifizierung und Forschung und Entwicklung. Es gibt
immer eine Alternative!

Aus persönlichen Gründen kann ich bei der morgigen Sitzung unseres Aufsichtsrates nicht teilnehmen und bitte meine Stellungnahme auch zum Protokoll zu nehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Erhardt
Mitglied des Aufsichtsrates der Continental Automotive GmbH
Frankfurt, den 03. September 2020