Flughafenprotest in den Zeiten der schwersten Krise der Luftfahrt seit ihrem Bestehen

erstellt von BBI Bündnis der Bürgerinitiativen „Kein Flughafenausbau – Für Nachtflugverbot von 22-06 Uhr — zuletzt geändert 2021-01-02T13:06:44+02:00
Einige Überlegungen zur derzeitigen Situation und unseren Aufgaben - ein Diskussionsbeitrag

Die Luftverkehrswirtschaft befindet sich in der größten Krise ihrer Geschichte, die Flugbewegungen sind auf ein seit Jahrzehnten nicht gekanntes Niveau gesunken und die unmittelbaren Auswirkungen auf die Anwohner*innen der Flughäfen, insbesondere durch Lärm, sind deutlich geringer. Das wird so nicht bleiben, aber es wird auch so schnell nicht wieder wie vor Corona werden.

Das hat verschiedene Gründe: Unabhängig, aber auch jetzt offen und auf jeden Fall untergründig parallel zur Dominanz des Corona-Themas, nimmt die Klimathematik einen immer größeren Stellenwert im öffentlichen Diskurs ein. Die negativen Auswirkungen des Luftverkehrs auf das Klima werden nicht mehr bestritten, umstritten sind die Maßnahmen dagegen. Die Problematik des Fliegens während der Pandemie wird von Teilen der Bevölkerung erkannt und das Fliegen zumindest vorläufig eingeschränkt oder unterlassen.

Dies und die Einstufung vieler Länder und Regionen zu Risikogebieten sowie die wirtschaftlichen Verwerfungen und ihre Folgen für den internationalen Handel hat zum drastischen Einbruch der Flugbewegungen und damit zu schweren finanziellen Folgen bis hin zu Insolvenzen geführt. Es hat aber auch gezeigt, dass durch weniger Flüge die Gesellschaft weder ökonomisch noch sozial zusammenbricht.

Es ist zu erwarten, dass die mittelbaren Folgen der Pandemie, wie etwa Online-Konferenzen, größerer und lästigerer Zeitaufwand durch Gesundheitsmaßnahmen und -kontrollen an den Flughäfen oder verändertes Freizeitverhalten zu einem längerfristigen Rückgang der Flüge, zumindest aber nicht zu den vorher anvisierten Steigerungen führen wird.

Die wirtschaftlichen Folgen für die Luftverkehrswirtschaft werden auch nicht durch weiteres Preisdumping dauerhaft aufgefangen werden können, eher wird das Gegenteil der Fall sein.

Die veränderte Ausgangssituation unserer Aktivitäten macht einen Blick auf Wirkungsweisen von sozialen Bewegungen sinnvoll.

Die Bewegung gegen den Ausbau und die schädlichen Auswirkungen des Frankfurter Flughafens kann man in verschiedene Perioden unterteilen, die im Zusammenhang mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen gesehen und verstanden werden müssen.

Es gab Phasen, in denen die Flughafen-Bewegung als Bewegung von mehr oder weniger unmittelbar Betroffenen verstanden und auch so gesehen wurde, und es gab Zeiten, in denen sich die Bewegung - mehr oder weniger – als Bestandteil breiter gesellschaftlicher Bewegungen verstand und auch außerhalb so gesehen und verstanden wurde.

Die erste Zeit des Widerstands gegen den Flughafenausbau in Frankfurt, etwa bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre war - im Wesentlichen - eine Bewegung unmittelbar Betroffener. Kein Zufall, dass Pfarrer Kurt Oeser in Mörfelden-Walldorf lebte und wirkte. Dies änderte sich mit der Auseinandersetzung um die Startbahn West grundsätzlich.

Die späten 1970er und frühen 1980er Jahre waren geprägt durch große gesellschaftliche Umbrüche, Krise und Infragestellung der sozialen und ökonomischen Regulierungen überhaupt, geprägt durch die „Neuen Sozialen Bewegungen“, die Frauenbewegung, die Friedensbewegung, und nicht zuletzt die Anti-AKW Bewegung von Wyhl 1974 über Brokdorf 1977 bis zur WAA Wackersdorf 1986, um nur einige aufzuzählen. Aber auch Terrorismus und Aufrüstung des „Sicherheitsstaats“, mit problematischen Folgen für Polizei, Legislative und Justiz, prägten diese, Zeit, damals heftig umstritten, aber heute in der Regel als “Normalität“ wahr- und hingenommen.

Die Anti-Startbahn-West-Bewegung verstand sich als Teil dieser großen sozialen Bewegungen und ihre eigene Größe war wesentlich auch Folge dieses Zusammenhangs und ihrer Wahrnehmung.

Im Übrigen, im Vorgriff auf die Analyse der derzeitigen Situation: die meisten Aktivist*innen, auch die führenden, waren damals im gleichen jungen Alter wie die heutigen Protagonist*innen der Klimabewegung. Selbst die Älteren, wie Oeser, Schubart etc. waren jünger, als es die heutigen Aktivist*innen des BBI sind.

Die Wirkungen sozialer Bewegungen kann man nicht allein, oder überhaupt nur, an ihren unmittelbaren Erfolgen oder Misserfolgen festmachen. Die intendierten oder nicht intendierten Spätfolgen resp. Erfolge sind wesentliche Gradmesser der Wirkung einer sozialen Bewegung. So war und ist das formale und inhaltliche Vorgehen der Ausbaubetreiber von den Vorgängen um die Startbahn West geprägt. Auch wenn wir es mit
Recht abgelehnt haben, so war etwa das Mediationsverfahren eine der Reaktionen. Und auch die Nachtflugbeschränkungen sind nicht der Einsicht über die Folgen der Fliegerei für die Gesundheit geschuldet, sondern der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in dieser Frage und der Erfahrung mit Formen gesellschaftlicher Auseinandersetzung um den Flughafenausbau.

Die Periode des weiteren Ausbaus ab 1998 bis zur Zeit des Aufkommens der Klimabewegung war wiederum eher eine der unmittelbar Betroffenen. Auch wenn sie sich wie eine Massenbewegung „anfühlte“, was der hohen Zahl der Neubetroffenen und derem heftigen Widerstand geschuldet war und vielleicht auch dem Umstand, dass einige Veteran*innen wieder aktiv wurden.

Frankfurt und Mainz haben eine wesentlich höhere Einwohner*innenzahl als die bis dahin besonders stark betroffenen Gemeinden wie etwa Raunheim und in den besonders betroffenen Stadtteilen eine Bevölkerung, die sich vielfach in einer sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation befindet, die es ermöglichte, vielfältige Ressourcen für den Widerstand freizusetzen. Die aber ebenfalls auch für sich nicht die Erfahrungen der Desillusionierung in Politik und Justiz und deren Folgen für das Engagement verhindern konnte.

Kurz, durch die relative räumliche und inhaltliche Begrenztheit des Widerstands war ein allmählicher Rückgang der Beteiligung an unseren Aktivitäten unvermeidbar, aber auch keine Tragödie. Denn glücklicherweise hat uns der Widerstand gegen unsere derzeitige Produktions- und Lebensweise an anderer Stelle wieder eingeholt. Wir verstehen uns heute selbst als Teil der weltweiten Klimabewegung.

Welche Folgen hat das für unser Handeln? Wir müssen überlegen, wo die größten Schnittmengen mit klimakritischen Positionen im Allgemeinen und flughafenkritischen Positionen im Besonderen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft und darüber hinaus liegen. Die Forderung nach einer Veränderung der Produktions- und Lebensweise kann das Verbindende in der vielfältigen Kritik an der herrschenden Klimapolitik sein, sofern wir sie uns zu eigen machen.

Inzwischen ist Kritik an Luftverkehrswirtschaft und Fliegerei Bestandteil der Klimabewegung. Sie ist jedoch vielfach noch sehr allgemein, nimmt aber, auch unter dem Einfluss fliegereikritischer Teile, wie etwa Stay Grounded, konkretere Konturen an. Die Bedeutung lokaler Kämpfe gegen Flughafenausbau, die in unserem Land an vielen Orten eine lange Tradition haben, wird von der Klimabewegung teilweise nur unzureichend wahrgenommen, d.h. hier muss von beiden Seiten noch einiges geleistet werden.

In seiner Arbeit sollte sich das BBI auf Schwerpunkte konzentrieren ohne die Vielzahl unserer Forderungen aufzugeben. Einige sollten aber zu Gunsten der Schwerpunkte derzeit etwas in den Hintergrund treten. So ist etwa die Forderung nach Reduzierung auf 380.000 Flugbewegungen - eine Momentaufnahme aus der Anfangsphase des Widerstands gegen die Nordwestbahn - derzeit und vielleicht auch zukünftig anachronistisch bzw. falsch, da zu viel zu hoch. Auch die Forderung zum Stopp des Ausbaus schreit nach Veränderung, da wir nicht nur „Verhinderung des Ausbaus des Frankfurter Flughafens und anderer Flughäfen in der Region“ fordern sollten, sondern aller Flughäfen.

Ich schlage drei Schwerpunkte zu folgenden Komplexen vor:

Erstens Rückbau. Dazu zählt die Flughafeninfrastruktur, der allgemeine Charakter des Flughafens und die konkrete Nutzung. Das bedeutet: sofortiger Baustopp von Terminal 3, Aufgabe der Hubfunktion, keine Kurzstreckenflüge.

Zweitens alternative Arbeitsplätze. Das heißt, staatlich initiierte und/oder geförderte Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr, in den Bau neuer Bahnlinien und der Reaktivierung stillgelegter Verbindungen, in Herstellung, Wartung und Reparatur von Fahrzeugen und Ausrüstung der Bahn etc. pp., wie es z.B. bereits in der Lausitz passiert, um die wegfallenden Arbeitsplätze im Braunkohletagebau zu kompensieren. Mit den Forderungen zu ökologisch sinnvollen und sozial verträglichen Arbeitsplätzen drehen wir offensiv die alte Argumentationslinie der Ausbaubefürworter gegen sie selbst. Alternative Arbeitsplätze sind keine Utopie, sondern gesellschaftliche Notwendigkeit.

Drittens Fliegerei. Hier sollten das Nachtflugverbot von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr sowie konkrete Lärmminderungsziele im Zentrum stehen. Diese Forderungen betreffen die Interessen der unmittelbar Betroffenen und sind anschlussfähig mit den Vorstellungen und Interessen großer Teile der Bevölkerung auch außerhalb des umittelbaren Schädigungsbereichs des Flughafens. Kaum jemand hat ein Interesse nachts zu fliegen, auch nach Corona nicht. Nachtruhe wird als besonders schützenswertes Gut auch jenseits der Fliegerei wahrgenommen und Verstöße dagegen stoßen bei der derzeitigen geringen Zahl von Flugbewegungen auf völliges Unverständnis. Bei Lärmminderungszielen ist die Vermittlung aus genau eben dieser Situation allerdings schwieriger. Forderungen nach lärm- und schadstoffärmeren Flugzeugen brauchen wir nicht zu erheben bzw. in den Vordergrund zu stellen. Weniger Lärm und Schadstoffe ergibt sich indirekt aus den Rückbauforderungen und ist ansonsten reine „Zukunftsmusik“ und wird eben deshalb auch ohne uns gefordert. Wir müssen uns nicht in eine Ablenkungsdiskussion ziehen lassen.

Der Kampf gegen die gesundheits- und klimaschädlichen Folgen des Luftverkehrs sollte deshalb die radikale Reduzierung aller Flugbewegungen, das „Downsizing“ des Luftverkehrs in den Mittelpunkt stellen. Das ist unser Part in der Klimaschutzbewegung.   mf 27.9.20

aus: BBI-Nachrichten 12/2020