Frankfurter Bahnhofsviertel: Protestmarsch gegen Bordell-Lockdown

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2021-02-25T19:29:29+02:00
Unter dem Motto „Solidarisch gegen Lockdown – Öffnet die Bordelle!“ bewegt sich am späten Donnerstagnachmittag (25.02.2021) ein Zug von Sexarbeiter*innen und Aktivistinnen des Vereins Doña Carmen e. V. im Gänsemarsch kreuz und quer durch das Frankfurter Bahnhofsviertel.

Sexarbeiter*innen sind zunehmend empört darüber, dass sie nun seit nunmehr 348 Tagen einem Total-Lockdown ausgesetzt sind. Mit Trommeln auf Töpfen und Pfannen verschaffen sich die Protestierenden im Viertel Gehör. Auf Flugblättern, die verteilt werden, heißt es u.a.:

„Bordelle sind keine Covid-19-Hotspots! Prostitutionsstätten sind keine Kaufhäuser mit Menschenschlangen an den Kassen, hier herrscht kein Gedränge wie in U- und S-Bahnen und sie sind im Unterschied zu Seniorenheimen, Sammelunterkünften, Fleisch- und Eisfabriken keine Covid-19-Hotspots. Prostitutionsstätten sind Einrichtungen mit überschaubaren 1:1-Kontakten. Was ansonsten legal ist, nämlich Sex, kann nicht verboten sein, nur weil Geld dazwischentritt.“ Spätestens seit den Erfahrungen mit HIV seien Prostitutionsstätten im Umgang mit Hygiene-Vorgaben äußerst erfahren.

Doña Carmen e.V. fordert von der Hessischen Landesregierung endlich „konkrete Öffnungsperspektiven“ für das Prostitutionsgewerbe und kündigt weitere Protestaktionen an, sollte die Politik sich nicht bewegen.

Doña Carmen e.V., Pressemitteilung, 25. Februar 2021

Am 23. Februar veröffentlichte Doña Carmen folgenden Appell:

Konkrete Öffnungsperspektive für das Prostitutionsgewerbe

statt Abdrängen von Sexarbeiter*innen in informelle Strukturen!

In einem Schreiben an den Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier und den Hessischen Minister für Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Tarek Al-Wazir, appelliert Doña Carmen e.V., Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten, an die beiden hessischen Regierungsparteien, CDU und Bündnis 90 / Die Grünen, ihrer politischen Verantwortung gegenüber Sexarbeiter*innen gerecht zu werden.

Dem anhaltenden Abdrängen von Sexarbeit in informelle Strukturen müsse endlich durch eine konkrete Öffnungsperspektive für das Prostitutionsgewerbe entgegengetreten werden.

In Hessen seien Prostitutionsstätten am 23.02.2021 seit mittlerweile 346 Tagen im Total-Lockdown. Diesen Spitzenwert teilt Hessen nur mit Mecklenburg-Vorpommern – mit dem Unterschied allerdings, dass allein in Frankfurt/Main zehnmal so viele Sexarbeiter*innen registriert sind wie in ganz Mecklenburg-Vorpommern zusammengenommen.

In Hessen ist Prostitutionstätigkeit jenseits konzessionierter Prostitutionsstätten nicht illegal, erfolgt aber mehr und mehr in informellen Strukturen, die für die Betroffenen mit erheblichen Risiken verbunden sind. Ohne ein berufsadäquates Setting erfolgt Sexarbeit als Gelegenheitsprostitution in Hotels, Hostels, Privatunterkünften, Kunden-Wohnungen oder im öffentlichen Raum. Angemessene Hygiene ist unter solchen Umständen nicht gegeben. Der unzureichende Gesundheitsschutz von Sexarbeiter*innen setzt sich fort in einem mangelhaften Zugang zu Beratungsangeboten der Gesundheitsämter. Durch Hartz-IV-Bezug, der mit einem Regelsatz von lausigen 446 € weit unter dem eigentlichen Bedarf liegt, sind Sexarbeiter*innen auf eine Mischfinanzierung ihres Lebensunterhalts verwiesen. Vor diesem Hintergrund sind Sexarbeiter*innen genötigt, in der Prostitution weiterzuarbeiten und vermehrt auch problematische Kunden zu bedienen, die sie unter gewöhnlichen Umständen nicht bedient hätten. Das Arbeiten in informellen Strukturen verfestige sich und werde sich auch dann nicht wie von selbst auflösen, wenn Prostitutionsstätten eines Tages wieder öffnen sollten.

Doña Carmen e.V. steht Sexarbeit in informellen Strukturen kritisch gegenüber, da sie einem professionellen Verständnis von Sexarbeit widerspricht. Doña Carmen e.V. fordert daher eine konkrete Öffnungsperspektive für Prostitutionsstätten. Sie dürften nicht wieder das Schlusslicht sein, wenn es um Stufenpläne hinsichtlich der Aufhebung von Schließungen und Kontaktbeschränkungen gehe.

Doña Carmen e.V. hebt gegenüber der Hessischen Landesregierung hervor: „Prostitutionsstätten – ob nun größere Bordelle, Etablissements der Wohnungsprostitution oder Escort-Vermittlungen - sind bekanntlich keine Kaufhäuser mit Menschenschlangen an den Kassen, hier herrscht kein Gedränge wie in U- und S-Bahnen und sie sind im Unterschied zu Seniorenheimen, Sammelunterkünften, Fleisch- und Eisfabriken keine Covid-19-Hotspots. Prostitutionsstätten sind vielmehr Einrichtungen mit überschaubaren 1:1-Kontakten. Was ansonsten nicht verboten ist, kann nicht verboten sein, nur weil Geld dazwischentritt. Hinzu kommt: Spätestens seit den Erfahrungen mit HIV sind Prostitutionsstätten im Umgang mit Hygiene-Vorgaben äußerst erfahren.“

Vom hessischen Ministerpräsidenten und seinem grünen Koalitionspartner erwartet Doña Carmen e.V. die zeitnahe Einberufung eines gemeinsamen Treffens, an dem auch Sexarbeiter*innen und Betreiber*innen hessischer Prostitutionsgewerbe teilnehmen. Dort sollten „einvernehmliche Regularien hinsichtlich der baldigen Öffnung von Prostitutionsstätten beraten und entsprechende konkrete Schritte verabredet werden.“

PS. Das Doña-Carmen-Schreiben an Herrn Bouffier und Herrn Al-Wazir finden Sie hier:
https://www.donacarmen.de/konkrete-oeffnungsperspektive-fuer-das-prostitutionsgewerbe-statt-abdraengen-von-sexarbeiterinnen-in-informelle-strukturen/#more-2638