Frankfurter Staatsanwaltschaft hat Verfahren gegen Brandstifter Joachim Scholz bereits im April 2021 eingestellt

erstellt von RheinMain-Doku — zuletzt geändert 2021-12-10T19:54:17+02:00
Betroffene und Öffentlichkeit erfahren davon aus der Presse. Die Serie von zwölf Brandanschlägen auf linke und feministische Wohnprojekte im Rhein-Main-Gebiet zwischen September 2018 und Juli 2019 wird juristisch nicht weiter verfolgt.

 Die Serie von zwölf Brandanschlägen auf linke und feministische Wohnprojekte im Rhein-Main-Gebiet zwischen September 2018 und Juli 2019 wird juristisch nicht weiter verfolgt. Wie der Journalist Hanning Voigts in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Rundschau berichtete, stellte die Frankfurter Staatsanwaltschaft alle weiteren Ermittlungen gegen den Hauptverdächtigen und verurteilten Brandstifter Joachim Scholz bereits im April 2021 ein – ohne die Betroffenen oder die Öffentlichkeit darüber zu informieren (https://www.fr.de/frankfurt/frankfurt-ermittlungen-wegen-brandserie-an-linken-zentren-eingestellt-91169724.html).

Anita Conrad, die selbst in einem der betroffenen Projekte wohnt, macht ihrem Unverständnis darüber Luft, dass sie aus der Presse von der Einstellung des Verfahrens erfahren musste: »Dass die Frankfurter Staatsanwaltschaft es weder für notwendig gehalten hat, wenigstens uns als Betroffene über unsere Anwält*innen über die Einstellung des Verfahrens zu informieren, noch die Öffentlichkeit in Kenntnis zu setzen, macht uns fassungslos und wütend. Verwundert darüber sind wir allerdings nicht. Vielmehr passt es nur allzu gut ins Bild, das wir uns von der Arbeit von Polizei und Justiz bereits während der Anschlagsserie machen konnten.«

Schon während der Anschlagsserie hatten Betroffene immer wieder die Arbeit der Behörden kritisiert. Zur ersten Festnahme des Brandstifters Joachim Scholz kam es im Dezember 2018, nachdem er bei einem Anschlag auf das Kulturzentrum Metzgerstraße von dort anwesenden Gästen gestellt und der Polizei übergeben wurde. Die Beamt*innen hatten es nachfolgend nicht einmal für notwendig gehalten, bei anderen zuvor betroffenen Projekten nachzufragen, ob der Täter dort schon in Erscheinung getreten war. Erst die Nachforschungen des Mietshäusersyndikats, einem Zusammenschluss von bundesweit über 150 Wohnprojekten, ergaben, dass Scholz bereits ab 2015 bundesweit linke und feministische Projekte unter anderem wegen Formfehlern in öffentlich einsehbaren Bilanzen bei Behörden denunziert und so zu schädigen versucht hatte.

Für heftige Kritik sorgte außerdem, dass Scholz bis Dezember 2019 etliche weitere Brände legen konnte, obwohl er im Tatzeitraum mehrfach auf frischer Tat ertappt worden war und er bereits 2003 wegen einer Serie von Brandstiftungen verurteilt worden war. Insgesamt wurde Scholz zwischen 2018 und 2019 achtmal verhaftet und siebenmal wieder auf freien Fuß gesetzt. Erst im Dezember 2019 wurde er in Untersuchungshaft genommen.

Zwischen November 2020 und Januar 2021 wurde vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts in Frankfurt gegen Scholz verhandelt – allerdings wurden hier nur zwei der Brandanschläge verhandelt, die sich gegen Wohn- und Kulturprojekte richteten und bei denen er auf frischer Tat ertappt worden war. Außerdem 14 weitere, teils schwere Brandstiftungen, die der Täter zwischen Juli und Dezember 2019 begangen hatte und bei denen es keine Indizen für einen politischen Hintergrund gab.

Tom Schmitz, der den Prozess als Beobachter begleitete, schildert seine Eindrücke aus dem Prozess: »Die Justiz ist offensichtlich nicht Willens oder nicht in der Lage die Taten von Joachim Scholz als das zu sehen, was sie sind: Rechter Terror. Schon in den sieben Prozesstagen zwischen November 2020 und Januar 2021 hat die ermittelnde Staatsanwältin Julia Jacobi von Wangelin zunächst fast alle Anschläge, die sich gegen linke und feministische Projekte richteten, aus dem Verfahren ausgeklammert und sich im Prozess selbst alle Mühe gegeben die politische Motivation zu negieren. Dabei spricht schon die Wahl der Anschlagsziele eine eindeutige Sprache – zwischen September 2018 und Juli 2019 wurden insgesamt zwölf Brandanschläge auf linke und feministische Wohn- und Kulturprojekte in Frankfurt, Hanau und Schwalbach am Taunus verübt. Darüber hinaus legen Chatprotokolle und Bilder, die auf Scholz‘ Smartphone gefunden wurden, seinen Hass auf Linke sowie seine antifeministische und homofeindliche Weltsicht offen. Und noch im August 2018 unterstützte er die Rechtsaußenpartei AfD mit einer Spende von knapp 1.700 € – weniger als einen Monat vor dem ersten Brandanschlag.«

Anita Conrad resümiert abschließend: »Leider entspricht der gesamte Umgang von Polizei und Justiz in diesem Fall dem gängigen Muster bei rechter Gewalt und rechtem Terror: Scholz als Täter wurde pathologisiert und seine Taten entpolitisiert. Einmal mehr zeigt sich, dass es an den Betroffenen und ihren Unterstützer*innen ist, für Aufklärung zu sorgen und öffentlich auf den rechten Hintergrund der Taten hinzuweisen. Ein weiterer Beleg, dass antifaschistische Recherche und Selbstschutz das einzig wirksame Mittel gegen Nazis und Rassisten bleibt und Polizei und Justiz eher Teil des Problems als Teil der Lösung sind.«

Dokumentation der Anschlagsserie und weitere Informationen:

Die Betroffenen der Brandanschlagsserie und ihre Unterstützer*innen haben die Taten und den Verlauf der Ermittlungen auf der Website www.rheinmain-doku.org umfassend dokumentiert. Neben einer Chronologie, Informationen zum Täter und Hintergrundberichten finden sich dort auch Zusammenfassungen aller Prozesstage im Verfahren gegen Joachim Scholz.

Pressemitteilung, 10. Dezember 2021