Gericht spricht Stephan Ernst vom versuchten Mord an Ahmed I. frei

Betroffene von Rassismus anzuhören und ihre Perspektiven ernst zu nehmen – das ist in Deutschland leider noch lange nicht selbstverständlich

Die Teilnehmer*innen der WDR-Sendung "Die letzte Instanz" waren sich einig: Rote Paprikasoße solle bitte weiterhin nach einer diskriminierenden Bezeichnung für Sinti und Roma bezeichnet werden. Rassismuskritische Einwände wurden als lächerlich abgetan. Kaum überraschend, dass keine*r der fünf weißen Gäste selbst von Rassismus betroffen ist. In Sozialen Medien hagelte es für diese Sendung berechtigte Kritik.

Betroffene von Rassismus anzuhören und ihre Perspektiven ernst zu nehmen – das ist in Deutschland leider noch lange nicht selbstverständlich. Immer und immer wieder hat Ahmed I. diese Erfahrung machen müssen, der als Nebenkläger im Mordprozess Walter Lübcke aufgetreten ist. Der Täter wurde jetzt zwar für den Mord am Kasseler CDU-Politiker zu einer lebenslangen Haft verurteilt – im Fall des versuchten Mords an Ahmed I. aber freigesprochen.

Unsere Beratungsstelle response begleitet Ahmed I. seit dem Messerangriff vor fünf Jahren, bei dem er schwer verletzt wurde. Seitdem kämpft er mit den gesundheitlichen Folgen. Response hat ihn auch während des gesamten Prozesses am Oberlandesgericht Frankfurt begleitet. Der junge Mann fühlt sich verraten – allen voran von den Behörden, die trotz seiner ausdrücklichen Hinweise nicht gründlich in Richtung eines rechten Tatmotivs und eines rechten Täters ermittelten. Alle Hoffnungen und Erwartungen liegen nun auf dem Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags, der die Aufgabe zu bewältigen hat, die vielen offene Fragen zu rechten Netzwerken und Strukturen, zum Versagen der Behörden und zum Angriff auf Ahmed I. aufzuklären.

Während die Opfer rechter Gewalt mühsam um ihre Anerkennung ringen müssen, bringt der hessische Landtag dieser Tage einen Opferfonds auf den Weg, der allen Gewaltopfern zugute kommen soll, unabhängig vom Motiv. Die Opfer und Angehörigen der Toten des rechten Terroranschlags von Hanau "konkurrieren" hier gewissermaßen mit den Opfern der Amokfahrt im Drogenrausch im hessischen Viersen. Es ist schwer verständlich, dass die Politik die Spezifika rechter Gewalttaten – und ihrer Folgen – komplett ausblendet.

Kurz vor dem Jahrestag des Anschlags von Hanau am 19. Februar treten umso deutlicher die teils beträchtlichen Langzeitfolgen für die Opfer und Angehörigen zutage. Bitter, wie schwer es den Betroffenen gemacht wird, Hilfe zu bekommen.

Zum Jahrestag des Anschlags legen wir zusammen mit zahlreichen Akteur*innen aus Politik und Zivilgesellschaft den Schwerpunkt unseres Programms auf die Perspektiven der Betroffenen – etwa im Rahmen der Veranstaltungsreihe "(M)Ein Beitrag gegen das Vergessen", die vom hessischen Sozialministerium gefördert wird. Hier bringen wir bei Podiumsdiskussionen, Workshops und Spoken Word-Performances Betroffene und Unterstützer*innen zusammen, geben Raum, um Erfahrungen sichtbar zu machen und zu zeigen, dass rassistische Vorfälle keine Einzelfälle sind. Und dass wir als Zivilgesellschaft uns am besten gegen Rassismus einsetzen können, wenn wir denen zuhören, die ihn täglich erleben.

Bildungsstätte Anne Frank, Informationen im Februar 2021