Geschäfte mit der Angst: Wie Rechte an und in Krisen Geld verdienen

erstellt von Aufklärung statt Verschwörungsideologien! — zuletzt geändert 2022-03-20T14:01:05+02:00
Unsere Betrachtung der „Geschäfte mit der Angst“ konzentriert sich auf Beobachtungen im Frankfurter Raum. Die Serie gliedert sich in fünf Teile, die wir in Abständen von mehreren Wochen veröffentlichen. Der erste Teil beschäftigt sich mit dem betrügerischen Geschäftsmodell der Reichsbürger-Organisation „Königreich Deutschland“ und mit selbsternannten Gesundheitsexpert*innen, die dem „Königreich“ angehören oder nahe stehen.

Eine vollständige Betrachtung von rechter Esoterik, Reichsbürgern und Verschwörungsideolog*innen im Frankfurter Raum, ihren Gruppen, Läden, Verlagen, Medien- und Beratungsangeboten können wir im aktuellen Zusammenhang nicht leisten. Es wäre ein Projekt von vielen Monaten. Wir haben uns darauf beschränkt, zu relevanten Themen Beispiele herauszugreifen.
Wie immer sind wir dankbar für weitergehende Informationen, schreibt uns an!
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Esoteriker*innen, Crash-Propheten, Reichsbürger und völkische Sekten: Unter den Corona-Rechten im Raum Frankfurt agieren Gruppen und Personen, die neben politischen auch lukrative finanzielle Interessen verfolgen. Sie arbeiten mit Heilsversprechen und bedienen die Sehnsucht der Menschen Geltung, Gemeinschaft und einfachen Lösungen.

Am 14. Februar 2022 versammelten sich 60 Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen in Frankfurt am Römer. Eine Ecke weiter am Paulsplatz fanden sich weitere 30 ein. Die Gruppe am Paulsplatz reklamierte lautstark, „die wahre Bewegung“ zu sein, die einzig und allein für die Sache stehe. Den Organisator*innen des Treffens am Römer ginge es hingegen nur „um die Finanzen“.

Da „Corona-Proteste“ ein Magnet für Wichtigtuer*innen sind, sind derartige Streits und Spaltungen nicht unüblich. Der Vorfall zeigt: Selbst unter gerade mal 100 Personen, die gegen Impfungen und Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, zankt man sich wegen des Geldes.

„Jede neue Kultur beginnt mit einem eigenen Markt“ – das sagt Jens Becker, der von Frankfurt aus einen Onlineshop der Reichsbürger-Gruppe Königreich Deutschland (KRD) betreibt. Er hat Recht. Es liegt im Wesen des Kapitalismus, dass jede Kultur, die in neuen Szenen und Bewegungen entsteht, umgehend kommerziell erschlossen wird. Und doch ist bemerkenswert, wie ungeniert sich (rechte) Geschäftemacher*innen von Anfang an am „Corona-Protest“ bedienten.

Ein Beispiel ist der Stuttgarter Unternehmer Michael Ballweg, der die Querdenken-Bewegung aufbaute und bis 2021 anführte. Er besaß die Chuzpe, „Querdenken” als Marke auf sich persönlich eintragen zu lassen und zu vermarkten. Mehrere hunderttausend Euro aus Spenden und dem Querdenken-Merchandise landeten auf seinen Konten, eine nicht genau feststellbare Summe davon verschwand in undurchsichtigen Transaktionen.

Krisen befeuern Ängste. Damit nimmt die Bereitschaft zu, neue Weltdeutungen wahr- und anzunehmen. Davon profitieren jene, die einfache (vermeintliche) Wahrheiten verkaufen und neue Erkenntnishorizonte oder ein neues Leben fernab von Gefahren und Ängsten versprechen. So wird die Krise zum Geschäftsmodell.

Historisches Vorbild: Lebensreform-Bewegung

Im „Corona-Protest“ verbinden sich zwei Stränge, die nur auf den ersten Blick widersprüchlich zueinander zu stehen scheinen. Zum einen versammelt sich dort eine antimoderne Strömung, die sich mit der Lebensreform-Bewegung Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts vergleichen lässt. Zum Zweiten findet sich ein ultra-neoliberaler Zeitgeist, der sich gegen jeden staatlichen Eingriff ins Private und Wirtschaftliche wendet. Ihn treibt kein antiautoritärer Freiheitsgedanke, sondern die grundsätzliche Ablehnung gesellschaftlicher Verantwortlichkeit. Die Klammern, die diese Strömungen zusammenhalten, sind reflexhafte Ressentiments gegen „die da oben“, Sozialdarwinismus und das Bedürfnis, sich Krisen durch einfache Gut-Böse-Schemata und Verschwörungsmythen zu erklären – oft antisemitisch konnotiert und bisweilen offen antisemitisch.

Ein Blick auf die historische Lebensreformbewegung trägt zum Verständnis des einen Teiles dieser Bewegung bei. In seinem aktuellen Buch „Verqueres Denken – Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“ bezeichnet der Autor Andreas Speit die „Corona-Proteste“ als einen „Ausdruck einer dritten Lebensreform-Bewegung“.

Die erste Lebensreformbewegung entstand Mitte des 19. Jahrhunderts als Reaktion auf die gesellschaftlichen Umbrüche ihrer Zeit. Sie sah in der Technisierung und Industrialisierung, im Konsumismus und in der Verstädterung eine Entfremdung des Menschen vom „wahren“ Leben. Sie ging davon aus, dass es einen idealen und irgendwie ursprünglichen Zustand des Daseins gäbe und ignorierte, dass Menschen, Ökosysteme und Gesellschaften sich nicht statisch verhalten, sondern sich fortlaufend verändern. Motive von Reinheit und Natürlichkeit wurden für die Bewegung prägend, die gesunde Ernährung, Umweltschutz, Tierschutz, Vegetarismus und Freikörperkultur propagierte. Und sie glaubte, einen Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu finden, idealisierte Handwerk, Kleinbauerntum und zinsfreie Geldwirtschaft.

Die Bewegung war heterogen und trat nicht geschlossen auf. Große Teile von ihr waren völkisch ausgerichtet. Als idealtypisch galt der „nordische“ (später auch arische) Mensch, man propagierte „Rasseschutz“ und sah im Judentum die Wurzel allen Übels. In diesem Antisemitismus und den Vorstellungen der Natürlichkeit gründet die Feindschaft der Bewegung gegen das Impfen. In der Schulmedizin und im Impfen glaubte man eine Waffe von Jüd*innen zu erkennen, mit der Menschen manipuliert und beherrscht werden können. Dem setzte man eine „Naturheilkunde“ entgegen. Die Parallelen zur Corona-Rechten sind in der Tat auffällig.

Zu viele, als dass man sie ignorieren könnte

Menschen, die glauben, dass sie durch Corona-Masken Nanobots – Miniroboter – einatmen, die mitten in Deutschland ein „Königreich“ errichten wollen und der Meinung sind, dass die „BRD“ dieses völkerrechtlich anerkennen müsse – die Versuchung ist groß, solche Menschen für „verrückt“ zu erklären und nicht ernst zu nehmen. Doch die „Corona-Proteste“ zeigen: Es sind nicht wenige, die solchen oder ähnlichen Mythen aufsitzen oder diese „Ansichten“ zumindest interessant finden. Zu viele, als dass man sie ignorieren könnte. Und vermutlich werden es noch mehr werden: Unwetterkatastrophen, die Pandemie, ein Krieg kaum mehr als 1.000 Kilometer von hier entfernt. Endzeit-Szenarien werden für viele konkret, die Verunsicherung nimmt zu und mit ihr das Geschäft mit Verschwörungserzählungen und Versprechungen von einem „neuem Leben“.

Teil 1: Die Suche nach Seelenheil und neuem Leben

asvi.noblogs.org, 17.3.2022