Humanistische Union (Frankfurt): 3/4 des Vorstands zurückgetreten - OV Frankfurt trägt Wandel durch Bundesvorstand nicht mit

by Peter Menne veröffentlicht 27.02.2013

Drei Viertel des Ortsvorstandes der Humanistischen Union (HU) traten am Montag, den 25. Februar 2013, zurück und aus dem Verein aus. Sehr viele Mitglieder schlossen sich auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung spontan an und verließen ebenfalls die HU. Der grundlegende Wandel in der Kirchen- und Religionspolitik der Bundesgeschäftsführung veranlasste Ortsvorstand und Mitglieder zu diesem Schritt. Der Ortsverband Frankfurt hatte bis dato zu den aktivsten der zwar bundesweit vertretenen, doch längst nicht überall aktiven Bürgerrechtsorganisation gehört.

Inhaltlicher Wandel im Bundesvorstand:
keine Kirchen- und Religionskritik mehr!

Die 1961 gegründete Humanistische Union galt lange als kirchen- und religionskritischer Verein. Der Frankfurter Ortsverband hat kontinuierlich in der Tradition Gerhard Sczcesnys gearbeitet, der im Gründungsaufruf vor einem „christlichen Totalitarismus“ warnte. Doch der aktuelle Bundesvorstand und -geschäftsführung haben eine inhaltliche Kehrtwende vollzogen. Wer die nicht mitträgt, wird auf internen Mailinglisten als „Säkularisationsstalinist und Atheismustaliban“ beschimpft. Ein ehemaliges Bundesvorstand erklärte den Frankfurter Ortsvorstand als „nicht satisfaktionsfähig“ - und keiner aus dem aktuellen Bundesvorstand protestierte gegen die Burschenschaftler-Begrifflichkeiten. Stattdessen werden kritischen Geistern in den Ortsverbänden ihre Aktivitäten über bürokratische Hürden erschwert.

Beim Rosenmontags-Rücktritt von Papst Ratzinger wurde die inhaltliche Kehrtwendung des Bundesvorstands deutlich: Der Fernsehsender RTL News bat den Frankfurter Ortsvorsitzenden um kritische Stellungnahme. Peter Menne kommentierte Ratzingers Rücktritt mit den Worten, dass sich damit an der Organisation „Kirche“ nichts ändere und sie weiterhin mittelalterliche Moralvorstellungen predige. Das sei aber nicht die Meinung des Bundesvorstands, mailte der für das Ressort „Staat-Kirche“ Verantwortliche - für die Webseite solle kein Mitschnitt besorgt werden.

Während der Frankfurter HU-Ortsverband schon in den 1970ern mit „Kirchenaustrittsberatung“ auf der Frankfurter Zeil Schlagzeilen machte, fördert der aktuelle Bundesvorstand wohl eher den Austritt aus der eigenen Mitgliedschaft: seine Stellungnahme zum Beschneidungsgesetz empfanden viele als so peinlich, dass die Hälfte der Aktiven der Region Köln – Bonn schon letztes Jahr austrat.

Konflikt mit dem Ortsverband

In einem Krisengespräch des Bundesvorstand mit dem Frankfurter Ortsvorstand im Dezember 2012 behauptete Geschäftsführer Lüders wiederholt, Satzungszweck der als kirchenkritisch bekanntgewordenen HU sei „die Förderung religiöser Betätigung“.

„Das ist doch sinnentstellend verkürzt, wundern sich viele Mitglieder, denen ich von der neuen Politik des Bundesvorstands erzählt habe“, so der zurückgetretene Ortsvorsitzende Peter Menne. „Richtig: sinnentstellend verkürzt – aber durch den Geschäftsführer, der die freie weltanschauliche, wissenschaftliche, philosophische und künstlerische Betätigung unterschlägt und insbesondere die 'gegenseitige Achtung' weglässt“, fährt der frühere Frank­furter Vorsitzende fort: „Das sind Kerngedanken der HU-Gründer Fritz Bauer und Gerhard Szczesny – im HU-Gründungsaufruf warnten sie vor einer Entmün­di­gung und Gleichschaltung durch kirchliche Moralapostel.“ Ganz in seinem Sinne wirkte der Frankfurter Ortsverband aufklärerisch: Man hatte Michael Schmidt-Salomon, den heutigen Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, zur Lesung aus seinem ersten Roman nach Frankfurt eingeladen. Als der OV Frankfurt gemeinsam mit der Frankfurter Rundschau die Reihe „Leitkultur Men­schen­rechte“ veranstaltete, hielt Michael Schmidt-Salomon den Eröffnungs­vortrag. Religionskritiker wie Colin Goldner („Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs“) oder Franz Wuketits („Darwins Kosmos“) lasen vor überfülltem Saal zur Buchmesse 2008 bzw. 2009.

Schon damals versuchte Bundesgeschäftsführer Lüders, Frankfurter Aktivitäten zu torpedieren: Am Rande der Delegiertenkonferenz 2009 wurde beschlossen, die FR-Beiträge der „Leitkultur Menschenrechte“-Referenten auch auf der Webseite zu veröffentlichen. Die Zweitveröffentlichungsgenehmigung der „FR“ lag eine Woche später beim OV Frankfurt vor und wurde noch in derselben Nacht nach Berlin übermittelt. Die Texte folgten. Doch die Geschäftsstelle blockierte die Ver­öffentlichung: freundliche Erinnerungen fruchteten genauso wenig wie Mah­nungen. Erst im November 2011 – zweieinhalb Jahre später – erschienen die Texte als unleserliche „Bleiwüste“ auf der Webseite.

Regelmäßig gewinnt der Ortsverband jemanden, der einen Veranstaltungs­be­richt schreibt. Mehrfach sicherte Bundesgeschäftsführer Lüders zu, den Bericht in den vereinseigenen „Mitteilungen“ zu veröffentlichen – um ihn dann doch nicht zu drucken. Das mußten Autor und Ortsvorstand dann jeweils der Zeitschrift entnehmen – es erfolgte keinerlei Vorab-Information, dass der Beitrag (entgegen voriger Zusage) doch nicht gedruckt werde.

Bürokratische Schikanen

„Selbst bei Themen, bei denen keine inhaltlichen Differenzen bestehen, sorgt Bundesgeschäftsführer Lüders dafür, dass unnötige und überflüssige Arbeit den ehrenamtlich Aktiven die Zeit raubt“, so der langjährige, inzwischen ehemalige Ortsvorsitzende Peter Menne. Er erinnert an die groß angelegte Podiumsdiskus­sion nach dem NSU-Debakel: „Brauchen wir den Verfassungsschutz?“, für die Menne die Frankfurter Rundschau als Medienpartner gewann. „Mit rund 150 Besuchern erreichten wir ein Vielfaches von dem Publikum, das der Bundes­vorstand z.B. mit seinem bundesweit beworbenen Gustav-Heinemann-Forum (unter 30 Besucher) erreichte. Doch finanziell konnten wir das nicht alleine stemmen. Der Bundesvorstand hatte den beantragten Zuschuss einen Monat vor der Diskussion genehmigt. Doch erst nach vielen Mahnungen und ermü­den­den Telefonaten hatte Geschäftsführer Lüders den Zuschuss drei Monate nach der Diskussion ausbezahlt: vier Monate nach Bewilligung!“ „Sollten wir Ehrenamtlichen nun auch noch ein professionelles Mahn- und Inkassowesen aufbauen?“, fragt der enttäuschte Ortsvorstand. „Mit jedem externen Sponsor und externem Kooperationspartner lief die Zusammenarbeit reibungsloser. Die Praxis, 'Anerkennungskultur' zu predigen, zugleich aber bürokratische Erschwer­nisse zu praktizieren, mag zur 'frommen Wende' des Bundesvorstands passen“, so Peter Menne. „Es ist schon abenteuerlich, mit welcher Raffinesse die weni­gen Aktiven so mit überflüssigem bürokratischem Aufwand überhäuft werden, damit ihnen die Zeit für inhaltliches Engagement fehle“.

Fazit

„Unser bürgerrechtliches Engagement bleibt ungebrochen“, sind sich die Vorstandsmitglieder Peter Menne, Benjamin Jakob und Wolfgang Hoog einig, „doch werden wir das künftig mit anderen Mitstreitern tun – Mitstreitern, bei denen nicht die Kooperationspartner Anerkennung zollen, während der eigene Bundesvorstand darüber predigt. Schade, dass ein früher so verdienstvoller Verein so ausgedünnt wird. Aber nicht nur in der neuerlichen Namensdebatte, sondern gerade in der täglichen Praxis der Geschäftsstelle wird deutlich, dass die HU sich vom Humanismus verabschieden will. Wir verabschieden uns von diesem Verein – um unsere Aktivität andernorts erfolgreich fortzusetzen.“

Die drei waren mit daran beteiligt, dass die preisgekrönte Filmemacherin Ilona Ziok wieder nach Frankfurt kommt: Ihr Film „der Junker und der Kommunist“ läuft am 1. März ab 20:00 Uhr im Club Voltaire – über die ungewöhnliche Freundschaft zwischen Carl-Hans Graf von Hardenberg und dem Arbeiter Fritz Perlitz: in den 1930er jahren bekämpften sie sich politisch in Neuhardenberg, 1944 trafen sie sich im Konzentrationslager wieder. Der Kommunist Perlitz rettete dem adligen Großgrundbesitzer das Leben.

„Wir sind Pontif-Ex!“ - Helge Nyncke liest am 14. März um 20:00 Uhr im Club Voltaire zum aktuellen und zeitlosen „Heiligen BimBam: gepfefferte Satiren und gesalzene Erkenntnisse über den Ex-Papst, Esoteriker, Gott und die Welt.“ Auch beim Zustandekommen dieser Lesung hat der ex-Ortsvorstand mitgeholfen. Sie sind herzlich eingeladen!

mit freundlichen Grüßen
Peter Menne