Keine Regel-Beratung von Sexarbeiter*innen durch den 'Sozialpsychiatrischen Dienst'!

Hessens Sozialminister Klose (Die Grünen) hat nichts gegen obligatorische Sexarbeiter-Zwangsberatung durch ‚Sozialpsychiatrischen Dienst‘!

Zum zweiten Male binnen weniger Jahre konfrontierte die FDP-Landtagsfraktion den in Hessen für die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes in Hessen zuständigen Sozialminister Kai Klose (Die Grünen) mit der Tatsache, dass die nach § 10 ProstSchG seit 2017 erforderliche obligatorische „gesundheitliche Beratung“ in mehreren Hessischen Gesundheitsämtern – darunter GA Marburg-Biedenkopf, GA Offenbach, GA Main-Kinzig-Kreis – in der Verantwortung des ‚Sozialpsychiatrischen Dienstes‘ erfolgt. (vgl. dazu: http://starweb.hessen.de/cache/DRS/20/5/06665.pdf)

Dieser Sachverhalt wird von Doña Carmen e.V., Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten, seit längerem scharf kritisiert und führt immer wieder zu Unmut unter den betroffenen Sexarbeiter*innen. Erst kürzlich fand aus diesem Anlass eine Protestaktion von Sexarbeiter*innen vor dem Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises statt.

Doch der zuständige Minister Klose findet mag dieser stigmatisierenden Praxis offenbar nichts Verwerfliches finden. So heißt es in seiner Antwort auf die jüngste entsprechende Anfrage der FDP-Landtagsfraktion:

„Die „Fachberatung Psychosoziale Gesundheit" bzw. der „Sozialpsychiatrische Dienst" sind Abteilungen der Gesundheitsämter. Es ist davon auszugehen, dass entsprechende Expertise vorhanden ist und ein einfühlsamer Umgang gewährleistet ist.“ Diesbezüglich befürwortet der Minister eine „sensible Gesprächsführung“, „die auch sehr persönliche und intime Themen nicht ausklammert.“

Allerdings – und das lässt Minister Klose tunlichst außen vor – ist der ‚Sozialpsychiatrische Dienst‘ in Hessen gemäß § 7 Abs. 3 HGöGD (Hessisches Gesetz für den Öffentlichen Gesundheitsdienst) zuständig für „Menschen mit psychischen Krankheiten, Abhängigkeitserkrankungen und seelischen und geistigen Behinderungen sowie hiervon bedrohte Menschen“. Gemäß § 5 Abs. 2 PsychKHG (Hessisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz) kümmert sich der Sozialpsychiatrische Dienst um „Menschen mit einer psychischen Störung“.

Den rechtlich anerkannten Beruf der Prostitution in diese Schublade zu stecken, ist aus Sicht von Doña Carmen e.V. ein Unding und trägt zur Verfestigung altbekannter Vorurteile gegenüber Sexarbeiter*innen bei.

Dass hieran grüne Minister und Amtsträger*innen an vorderster Front beteiligt sind, wirft ein bezeichnendes Licht auf sie. Denn die obligatorische Regelberatung einer gesamten Berufsgruppe in der Zuständigkeit des ‚Sozialpsychiatrischen Dienstes‘ kommt einer institutionellen Diskriminierung von Sexarbeit gleich, die ihrer Stigmatisierung Vorschub leistet. Es dürfte kein Zufall sein, dass Sexarbeiter*innen die einzige Berufsgruppe hierzulande sind, denen eine zwangsweise berufliche Einstiegsberatung exklusiv vom ‚Sozialpsychiatrischen Dienst‘ zuteilwird.

„Bisher ist keine negative Kritik bezüglich der Gesundheitsberatung, abgesehen von den Berichten über Doña Carmen, an uns herangetragen worden“, argumentiert Sozialminister Klose. Doch was offensichtlich seiner Entlastung dienen soll, erweist sich als weiterer Beleg für die selektive Wahrnehmung des Ministers.

Bereits 2019 hieß es in einer kritischen Stellungnahme des Landesverbands Hessen der „Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie e.V“.: „Selbstverständlich steht die gesundheitliche Beratung nach dem Prostituierten-Schutz-Gesetz nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes. Hier sollte unserer Meinung nach stets eine klare Trennung der Aufgabenfelder erfolgen, die auch nach außen hin sichtbar ist.“ (vgl. https://www.donacarmen.de/von-fassungslosigkeit-bis-entsetzen/)

Und die Schweizer Sozialwissenschaftlerin Frau Prof. Dr. Maritza Le Breton bewertete diese Zuordnung wie folgt: „Durch die Zuweisung der obligatorischen Gesundheitsberatung von Sexarbeiter*innen in die Zuständigkeit des ‚Sozialpsychiatrischen Dienstes‘ wird diese Berufsgruppe nicht nur verstärkter struktureller und intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt, sondern ebenso psychiatrisiert resp. pathologisiert, während Konsument*innen – mehrheitlich Männer – unbehelligt das Desiderat nach sexuellen Dienstleistungen zugestanden wird.“ (vgl. https://www.donacarmen.de/von-fassungslosigkeit-bis-entsetzen/)

Dass Sozialminister Kai Klose in Sachen Prostitution offenbar lernunfähig ist, hat er hinreichend unter Beweis gestellt. Dass er aber durch penetrante Ignoranz und mangelnde Empathie die in der Zuständigkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes zum Ausdruck kommende institutionelle Gewalt gegenüber Sexarbeiter*innen billigend in Kauf nimmt, ist gänzlich inakzeptabel.

Doña Carmen e.V. fordert die umgehende Einstellung der Regel-Beratung von Sexarbeiter*innen durch Mitarbeiter*innen des ‚Sozialpsychiatrischen Dienstes‘!

Eine entsprechende Klarstellung ist im Hessischen Erlass zur Umsetzung von § 10 ProstSchG vorzunehmen!

Doña Carmen e.V., 14. Dezember 2021