Klage eingereicht: Deutschland muss Ausbilder der afghanischen Polizei als Ortskräfte schützen

erstellt von PRO ASYL — zuletzt geändert 2022-02-07T21:01:56+02:00
Eine Anwältin und ein Anwalt haben mit Unterstützung von PRO ASYL heute Untätigkeitsklagen gegen die Bundesregierung eingereicht. Diese muss frühere Mitarbeiter eines GIZ-Polizeiprojekts als Ortskräfte anerkennen und ihnen eine Aufnahme zusagen, fordern sie.

Die Anwält*innen Matthias Lehnert und Susanne Giesler gehen juristisch gegen die Untätigkeit der Bundesregierung vor, die frühere Mitarbeiter eines GIZ-Polizeiprojekts aufgrund der speziellen Vertragsverhältnisse nicht als Ortskräfte schützt. Sie vertreten mit Unterstützung von PRO ASYL mehrere afghanische Kläger aus dieser Personengruppe vor Gericht. Heute haben sie vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klagen auf Erteilung von Visa durch das Auswärtige Amt eingereicht.

Die Kläger führten Schulungen für afghanische Polizist*innen durch und arbeiteten dabei nach Vorgaben der GIZ. Nach der Machtergreifung durch die Taliban sind sie durch diese Tätigkeit in größter Gefahr, da sie als Spione des Westens angesehen und von den Taliban bedroht und verfolgt werden. "Deutschland hat eine Schutzpflicht gegenüber Personen, die im deutschen Auftrag in Afghanistan tätig waren", erklärt Rechtsanwalt Matthias Lehnert. "Häufig wird suggeriert, dass es sich dabei um einen humanitären Gnadenakt handelt. Aber das stimmt nicht, wir reden hier von verfassungsrechtlichen Schutzpflichten. Denn die Verfolgung der ehemaligen Ortskräfte durch die Taliban ist Deutschland zurechenbar. Für die Kläger besteht Gefahr für Leib und Leben aufgrund ihrer Tätigkeit für deutsche Einrichtungen." Deshalb klagen Lehnert und Giesler auf eine Aufnahmezusage und Visa nach §22 oder §23 Aufenthaltsgesetz für die ehemaligen Ortskräfte und ihre Familien. 

"Diese Klage ist ein verzweifelter Hilferuf. Die Bedrohten warten seit Monaten auf Antworten auf ihre Gefährdungsanzeige. PRO ASYL appelliert an die neue Bundesregierung, hier sofort zu handeln ", ergänzt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. "Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Bis es zu einem Urteil kommt, könnten die Männer, um die es geht, bereits tot sein." Umso wichtiger sei es, dass die Ampel-Koalition ihre Zusagen aus dem Koalitionsvertrag und dem Aktionsplan Afghanistan nun umgehend in die Tat umsetze.

Kläger leben versteckt – bedroht von den Taliban und einer Hungersnot

Die Kläger haben Drohbriefe der Taliban erhalten, sie wurden zum Teil misshandelt und erpresst, ihre Häuser durchsucht, Familienmitglieder ermordet oder entführt mit dem Hinweis, man lasse sie erst wieder frei, wenn die ehemalige Ortskraft sich stelle. Die Kläger sahen sich aufgrund dieser massiven Bedrohung gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Sie leben nun versteckt und zum Teil völlig isoliert, was zudem die Gefahr mit sich bringt, dass sie sich und ihre Familien nicht mehr ausreichend versorgen können. Bereits im August haben sie Gefährdungsanzeigen bei GIZ, BMZ oder dem Auswärtigen Amt gestellt – und bisher immer noch keine positive Antwort erhalten. In höchster Verzweiflung haben sie sich an PRO ASYL und andere Menschenrechtsorganisationen gewandt.

Da aufgrund der akuten Gefahr für die Klägerinnen und Kläger ein Eilrechtsschutz gestellt wurde, ist davon auszugehen, dass die Richterinnen und Richter in zwei bis drei Monaten entscheiden werden. PRO ASYL appelliert derweil an die neue Bundesregierung, den Gefährdeten unabhängig vom Ausgang des Verfahrens schon jetzt eine Aufnahmezusage zu erteilen. "Es ist keine Zeit mehr zu verlieren", sagt Burkhardt. "Wir erwarten, dass sich Außenministerin Baerbock, Innenministerin Faeser und Entwicklungsministerin Schulze schnell auf eine Aufnahme der Kläger und anderer Ortskräfte aus dieser bedrohten Personengruppe verständigen."

Ihre Tätigkeit - die Ausbildung von afghanischen Polizisten - fand statt als Kooperationsprojekt zwischen dem afghanischen Innenministerium und der GIZ. Seit dem Projektstart 2014 waren laut einer GIZ-Sprecherin rund 3000 Personen eingesetzt worden, der allergrößte Teil als Einzelgutachter*innen. Aufgrund dieses Vertragsverhältnisses scheinen sie nicht als GIZ-Angestellte zu zählen und sind bisher nicht für die Aufnahme als Ortskräfte vorgesehen – obwohl viele von ihnen die Beschäftigung über Jahre hinweg ausübten.

Mehr Details zu den Klagen können Sie hier im PRO ASYL-Interview mit RA Matthias Lehnert lesen.

Pressemitteilung 7.2.2022