Kritik am Entwurf des Mietspiegelgesetz

erstellt von Mieter helfen Mietern e.V. — zuletzt geändert 2021-05-07T10:54:57+02:00
Die Schlechterstellung der Mieter im Entwurf des Mietspiegelreformgesetzes (MsRG) und der Mietspiegelverordnung (MsVO), insbesondere in § 558d Absatz 1 BGB-E

Einleitung und Hauptthese

Am 16.04.2021 fand im Bundestag die erste Lesung zum Entwurf der Bundesregierung für eine Reform der Regelungen über Mietspiegel statt. Der folgende Text beschäftigt sich insbesondere mit den Auswirkungen auf qualifizierte Mietspiegel, soweit nicht ausdrücklich auf einfache Mietspiegel hingewiesen wird.

Neben einer Reihe von formalen und zweitrangigen inhaltlichen Änderungen besteht der mietrechtliche Kernpunkt des Gesetzesentwurfs in der Änderung bzw. in der Definition des Qualifizierungsmerkmals von Mietspiegeln. Mietspiegel sind Gutachten, die für eine Vielzahl von Fällen die unterschiedlichen Vergleichsmieten abbilden. Kein Wunder, dass solche Gutachten häufig angegriffen wurden. Dem Gesetz kommt daher die Aufgabe zu, die notwendige wissenschaftliche Qualität zu gewährleisten und im Rahmen dessen die höchstmögliche Verbindlichkeit bzw. Unangreifbarkeit der Mietspiegel sicherzustellen.

Mietrechtliches Hauptziel des Gesetzentwurfs ist daher die Stärkung von qualifizierten Mietspiegeln gegen das gerichtliche Bestreiten der Einhaltung wissenschaftlicher Grundsätze. Umso ärgerlicher ist, dass die von der Bundesregierung formulierte Neugestaltung von § 558d BGB-E die Einflussnahme von Lobbyismus begünstigen würde – zum Nachteil der Mieter und mit der Gefahr weiterer negativer Folgen.

Argumentation des Gesetzgebers für die Neufassung von § 558d Absatz 1 BGB

Die Verbesserung der Vorschrift war angezeigt, weil die zurzeit geltende Regelung der Beweislastumkehr gemäß § 558d Absatz 3 BGB nur den Sachverhalt regelt, dass ein (bereits erwiesenermaßen) wissenschaftlich erstellter Mietspiegel die Vergleichsmiete korrekt wiedergibt. Ob aber überhaupt ein „erwiesenermaßen“ nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellter Mietspiegel vorliegt, muss im Streitfall bisher derjenige beweisen, der sich auf den Mietspiegel berufen will.

Nun sollen durch die neuen Sätze 2 und 3 von § 558d Absatz 1 BGB-E zwei neue Tatbestände eingeführt werden, die den Vermutungsvorrang auch bezüglich des Vorliegens der Erstellung nach wissenschaftlichen Grundsätzen schaffen.

Tatsächlicher Effekt von § 558d Absatz 1 Satz 2 BGB-E (i.V.m. MsVO)

Der Gesetzgeber will mit Satz 2 (E) und Satz 3 (E) in § 558d Absatz 1 BGB alternativ zu Satz 1 zwei Tatbestände einführen, die jeweils das Vorliegen der Erstellung nach wissenschaftlichen Grundsätzen vermuten lassen. Im Entwurf werden hierzu im geplanten Satz 2 wissenschaftliche Standards für die Mietspiegelerstellung definiert. Satz 2 (E) lautet:
„Entspricht ein Mietspiegel den Anforderungen, die eine nach § 558c Absatz 5 erlassene Rechtsverordnung an qualifizierte Mietspiegel richtet, wird vermutet, dass er nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde.“

Der im Wesentlichen unverändert beibehaltene Satz 1 enthält keine Vorgaben von einzuhaltenden wissenschaftsmethodischen Maßnahmen. Der geplante neue Satz 2 (E) hingegen enthält einen Verweis auf die gleichzeitig geplante MsVO, die wiederum eine überdetaillierte bzw. eine überregulierte Beschreibung von hochkomplexen wissenschaftlichen Regeln enthält, die somit bei Tabellen- und bei Regressionsmietspiegeln eingehalten werden sollen.

Nur wenn sämtliche dieser anspruchsvollen Regularien eingehalten wären, kann die Erstellung nach wissenschaftlichen Grundsätzen vermutet werden. Im Streitfall lassen sich daher leicht angreifbare Punkte finden, über die langjährige Prozesse mit ungewissem Ausgang ge-führt werden müssten.
Bei Satz 2 (E) handelt es sich also nicht um eine Erleichterung der Beweislast im Vergleich zur bisherigen Rechtslage, wonach bereits Satz 1 mittels Berufung auf die Erstellung nach wissenschaftlichen Grundsätzen in Verbindung mit Absatz 3 wesentlich einfacher zum selben (angreifbaren) Resultat führt. Der Vermutungsvorrang in Satz 2 (E) hängt, wie Absatz 3, davon ab, dass die Wissenschaftlichkeit unstreitig ist oder zuvor rechtskräftig bewiesen wurde.

Die Überregulierung widerspricht zugleich der im MsRG vorgenommenen Streichung von „anerkannten“ in § 558d Absatz 1. Diese Streichung erfolgte gerade mit der Begründung, dass eine Fortentwicklung der angewandten wissenschaftlichen Methoden möglich bleiben soll. Die Überregulierung in § 558d Absatz 1 Satz 2 BGB-E hemmt sinnvolle methodische Neuerungen.

Die in der MsVO definierten Standards, vor allem bezüglich der Regressionsanalyse, sind Maximalstandards, so dass sich die Frage stellt, warum Tabellenmietspiegel als die gegenüber Regressionsmietspiegeln wissenschaftlich rückständige Methode überhaupt noch zugelassen werden. Z.B. sollen für ein Tabellenfeld des Tabellenmietspiegels 30 Fälle genügen, während für die Regressionsanalyse eine Überregulierung z.B. des Verfahrens für Gewichtungen zum Ausgleich von Verzerrungen gegenüber (nichtgesetzlichen) erfassten Strukturen im Merkmal vorgeschrieben wird.
Die MsVO bedroht außerdem die Akzeptanz von qualifizierten Mietspiegeln. Der Katalog der hohen Standards wirkt indirekt wie – überspitzt formuliert - eine Gebrauchsanweisung für juristische Anfechtungen.

Auch der Aufwand, insbesondere für die Erstellung von Regressionsmietspiegeln, wird vor allem für unerfahrene Städte kaum zu bewältigen sein. Selbst für Städte, die mit dem Verfahren vertraut sind, steigt der Aufwand in einem Umfang, dass der Zeitraum zwischen Stichtag und Veröffentlichung immer mehr ausgedehnt werden müsste. Kontraproduktiv ist in diesem Zusammenhang auch die Vorschrift, dass die Dokumentation gleichzeitig mit dem Mietspiegel veröffentlicht werden soll.

Aus diesen Gründen sollte Satz 2 (E) vollständig gestrichen werden. Und die Standards der MsVO sollten reduziert, herabgesetzt und teilweise freigestellt werden. Ferner sollte die MsVO ergänzt werden durch Kriterien für die Institute, die zur Mietspiegelerstellung ausgewählt werden können. Hier ist Qualität umso wichtiger.

Tatsächlicher Effekt von § 558d Absatz 1 Satz 3 BGB-E

Satz 3 in § 558d Absatz 1 BGB-E lautet: „Haben die nach Landesrecht zuständige Behörde und Interessenvertreter der Vermieter und der Mieter den Mietspiegel als qualifizierten Mietspiegel anerkannt, so wird vermutet, dass der Mietspiegel wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht.“

Auf den ersten Blick erscheint Satz 3 (E) als vollendete Realisierung der Beweislastumkehr in der Frage der Erstellung nach wissenschaftlichen Grundsätzen. (Dieser Bissen ist jedoch ver-giftet.) Der Nachteil zu den oben besprochenen Tatbeständen ist die Bedingung, dass alle 3 Parteien den Mietspiegel anerkannt haben müssen. Damit hat jede Partei ein Vetorecht, was bekanntlich für eine sachgerechte Beschlussfassung immer schlecht ist. Es wird die Partei begünstigt, die kein oder nur ein geringes Interesse am Zustandekommen eines Mietspiegels hat und die daher auch am härtesten verhandeln kann: Die Eigentümerseite.

Um dies zu verhindern, genügt folgende Änderung in Satz 3 (E): „Haben die nach Landesrecht zuständige Behörde oder Interessenvertreter der Mieter und Vermieter den Mietspiegel als qualifiziert anerkannt, so wird vermutet, dass der Mietspiegel wissenschaftlichen Grundsätzen entspricht.“
Die Begründung des Gesetzgebers, nur wenn alle Beteiligten zugestimmt haben, sei eine wissenschaftliche Erstellung wahrscheinlich, geht an der Realität vorbei. Die Vermieter werden ihre überlegene Position nutzen und die auf den Mietspiegel angewiesenen Parteien (öffentli-che Hand und Mieter) zu sachwidrigen Zugeständnissen in ihrem Interesse drängen können. (Der Verfasser hat 30 Jahre in der Mietspiegelkommission in Frankfurt am Main mitgearbeitet.)

Die bisherige Praxis, dass die Kommunen den Mietspiegel wahlweise alleine bzw. federführend erstellen konnten, hat sich bewährt und wurde von niemandem angegriffen. Es ist daher völlig unverständlich, dass der Gesetzgeber hier eine derartige Einflussverschiebung zugunsten der Eigentümer einführen will.
Die Gefahr der Durchsetzung von sachfremden Zugeständnissen bei der Mietspiegelerstellung besteht auch bei wissenschaftlich erstellten Mietspiegeln. Hierfür sind Spielräume vorhanden z.B. bei der Auswahl des zu beauftragenden Instituts, in der Entscheidung für Tabellen- oder Regressionsmietspiegel, beim Fragebogen sowie in unzähligen Einzelpunkten bei den Weichenstellungen der Auswertung, der Modellerstellung, der Legende usw.

Dieser Argumentation könnte entgegengehalten werden, dass die zuständige Behörde ja auch nach § 558d Absatz 1 Satz 1 BGB (Die alte Fassung soll im Wesentlichen unverändert über-nommen werden.) ggf. allein entscheidend beschließen könnte. Doch abgesehen von den oben erwähnten prozessualen Unsicherheiten spricht hiergegen, dass die Behörden – auch im Verständnis der Erfüllung ihrer Amtspflicht - alles versuchen werden, um einen optimalen, also möglichst unangreifbaren, Mietspiegel zu erstellen. Hierzu muss der Vermutungsvorrang ab Veröffentlichung feststehen.

§ 558d Absatz 1 Satz 3 BGB-E würde für qualifizierte Mietspiegel das Standardmodell der Zukunft werden. Also ausgerechnet das Modell, dessen wahre (und die Mieter schlechter stellende) Funktion nicht explizit formuliert wurde.

Sonstige Inhalte im MsRG

a) § 558c Absatz 4
Wir schließen uns der schon vielfach geäußerten Kritik an, dass bei einer bestimmten Gemeindegröße eine Pflicht zur Erstellung eines Mietspiegels vorgeschrieben werden sollte. Durch die aufgenommene Neuordnung der Zuständigkeit der Länder wäre die Kostenfrage zu lösen, indem die Länder die Kosten zu übernehmen haben, sofern sie die Mietspiegelerstellung im Einzelfall nicht der betroffenen Gemeinde überlassen (können).
Die Gemeindegröße, ab der eine Mietspiegelerstellung vorzuschreiben wäre, sollte auch von der Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum abhängig sein, wobei Mindestgrößen, ab der eine Erstellungspflicht von Umständen im Einzelfall abhängt, sowie eine Mindestgröße, ab der eine Erstellung obligatorisch ist, festzulegen wären.

b) Artikel 238 § 2 Absatz 2 Ziffer 1.) Buchstabe f)
Hier verwundert, dass Auskünfte nur über Umstände eingeholt werden sollen, die zu einer Streichung von niedrigen Mieten führen würden. Zu Auskünften oder Feststellungen über das untypische oder über das unzulässige Zustandekommen von hohen Mieten fehlt eine Anweisung zur Datenerhebung.

c) MsVO (Erfassung der Lage)
Nach dem Entwurf der MsVO sollen die Lagemerkmale zunächst anhand von Qualitätsbeschreibungen, wie Grünflächen, Anbindung an den öffentlichen Verkehr usw. geprüft werden. Und erst zweitrangig soll die Bodenrichtwertkarte hinzugezogen werden können.
Dies ist – insbesondere bei entsprechenden lokalen Strukturen und Erfahrungen mit früheren Mietspiegeln – kontraproduktiv. In größeren Gemeinden können objektive Qualitätsmerkmale der Umgebung nicht die Preisunterschiede erklären: Z.B. Grünflächen, Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsanbindungen sind oft in niedrigpreisigen Lagen vermehrt vorhanden. Dann ist die Bodenrichtwertkarte die weitaus beste Grundlage. Die Priorisierung von deren Einbindung sollte den Kommunen überlassen bleiben.
Die in der MsVO vorgegebene Ausweisung der Lagen durch kartografierte Gebiete (oder Ad-ressen) halten wir für notwendig und begrüßen diese Regelung.

b) Aktualität der Mietspiegelwerte (§ 558 Absatz 2 BGB)
Neben unserer Forderung der Einbeziehung von allen (nicht nur der in den letzten Jahren vereinbarten) gezahlten preisfreien Mieten in die Vergleichsmiete halten wir folgende Änderung der Definition der ortsüblichen Miete für erforderlich, auch aufgrund der im MsRG angestrebten Verlängerung der Laufzeit von Mietspiegeln.
Die Vergleichsmiete sollte so definiert werden, dass kein Problem konstruiert werden kann aus der Ungleichzeitigkeit zwischen den Mietspiegelwerten und der sich faktisch bzw. empirisch monatlich ändernden ortsüblichen Miete. Zwischen dem Stichtag der Datenerhebung und einer Anwendung der Mietspiegelwerte bei Mieterhöhungen zum Ende der Mietspiegellaufzeit liegen regelmäßig mehr als 2 Jahre. (Die Rechtsprechung sieht hierin bisher nur selten ein Problem (Siehe aber zum „Stichtagszuschlag“: BGH v. 15.03.17 – VIII ZR 295/15!)).

Diese Ungleichzeitigkeit kann behoben werden mit einer Neudefinition der ortsüblichen Vergleichsmiete, die als Sätze 2 und 3 in § 558 Absatz 2 BGB eingefügt werden:
„In Gemeinden mit einem qualifizierten Mietspiegel bezieht sich die sechsjährige Zeitspanne nach Satz 1 auf den Zeitraum vor dem Stichtag der Datenerhebung zur Erstellung des Mietspiegels. Diese Vorschrift gilt entsprechend für einfache Mietspiegel.“

Pressemitteilung (2) 30.04.2021