Präsentation: Zwangsarbeiterlager Ackermannwiese der Firma Teves

erstellt von Projektgruppe im Gallusprojektebüro Sportkreis Frankfurt e.V. — zuletzt geändert 2015-01-29T20:31:54+01:00
Mit einem Zufallsfund, dem Bauantrag der Firma Teves für Wasserleitungen im Lager Ackermannwiese, begann die Recherche zu dem bislang nicht belegten Lager. Nach etwa zwei Jahren präsentiert die Projektgruppe im Gallus nun den Recherchestand und weitere Erkenntnisse über Zwangsarbeit und Lager der Fa. Teves. Ein weiterer Teil sind Ansätze, wie ein Gedenken vor Ort gestaltet werden könnte. Am 30.1.2015, 17 – 21.00 Uhr und am 31.1.2015, 14 – 18.00 Uhr auf dem Teves-Gelände, im Atelier Frank Reinecke, Rebstöcker Straße 49e, Frankfurt Gallus.

vom Wegsehen und Hinsehen.
vom Vergessen und Erinnern.

Fragmente zum Zwangsarbeiterlager Ackermannwiese der Firma Alfred Teves

Bei Recherchen zur Geschichte des Arbeitersportvereins Westend fanden wir durch Zufall im Institut für Stadtgeschichte nicht nur den Antrag der Firma T+N als Vertreter der „IG Russenlager“ vom Mai 1942 für Wasseranschlüsse im „Russenlager“ auf dem Sportplatz. In derselben Akte lag auch der Bauantrag der Firma A. Teves vom April 1943 für Wasserleitungen im „Ausländerlager“ auf der Ackermannwiese; geplant für die Unterbringung von 396 Menschen in 5 Baracken, mit den vollständigen Lagerplänen.

Im Rahmen der Neugestaltung der Passage Cordierstraße – Ackermannwiese entstand die Idee, hier an die Lager und an Karl Weisbecker, der 1940 von Nazis vermutlich auf der Ackermannwiese erschlagen wurde, zu erinnern. Die Anregung wurde in der Sitzung des OBR1 am 12.3.2013 von Ortsbeirat und Grünflächenamt positiv aufgenommen.

Nun begann eine Sisyphusarbeit der Recherche, mit vielen Fragen: wo standen die Baracken, wurden sie wirklich gebaut, wenn sich niemand erinnert, wenn auch erfahrene Historiker an der Existenz zweifeln, wenn es über die Lager keine weiteren Unterlagen gibt…

Die Existenz des Lagers Ackermannwiese können wir durch unsere Recherchen nun belegen. Aufnahmen der Royal Air Force vom 23.2.1944 zeigen die Baracken, Aufnahmen nach den Bombardierungen im März 1944 die Teilzerstörung, Aufnahmen der US-Airforce und Fotos von Anwohnern Anfang 1945 die nur noch verbliebenen Luftschutzdeckungsgräben.

Alfred Teves – schon im 1. Weltkrieg maßgeblich in der Kriegsproduktion tätig - erweitert 1936 entscheidend sein Stammwerk in der Lahnstraße durch den Bau des Werkes Gustavsburgstraße, gerühmt durch modernste lichtdurchflutete Produktionshallen und Einrichtungen wie Werksküche und Kantine. Ungeachtet dessen und auch der Erzählungen, dass Alfred Teves bemüht ist, Nathan S. Stern und weitere jüdische leitende Angestellte durch Auslandsstellen zu schützen, stellt Teves das Unternehmen mit Bemühungen um Wehrmachts- und Luftwaffenaufträge sowie Filialen in NS-Beuteländern früh auf Kriegsproduktion ein. Im Werk Gustavsburgstraße wird eine enorme Anzahl von Flugzeugteilen aller Art hergestellt, wie z.B. Bremsen, Ölpumpen, Kolbenringe, Ventile und ganz besonders Kurbelwellen – verbunden mit der Anforderung von immer mehr und immer neuen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.

Wer aber waren die Menschen, die in dem Lager untergebracht waren? Die Schwierigkeit genauer Nachweise für Zwangsarbeiterlager ist generell durch die Vernichtung der meisten Unterlagen durch die verschiedensten Behörden und Repressionsinstanzen der Nazis verursacht. Im Gallus kommt dazu, dass auch die „Hausstandsbücher“ (Melderegister, in der auch alle Lagerinternierten akribisch registriert wurden) des zuständigen Polizeireviers 20 nicht mehr existieren.

Im Institut für Stadtgeschichte konnten wir die „Fremdarbeiterdatenbank“ einsehen. Hier fanden wir die entscheidenden Hinweise, dass auf der Ackermannwiese das sog. „Westarbeiterlager“ war. Wie viele Menschen hier ab wann untergebracht waren, lässt sich nicht belegen. Es gibt alleine Hinweise auf sie durch die Registrierung im Lager Homburger Landstraße 455 von 14 französischen, 4 belgischen und 3 niederländischen internierten Männern, die bis auf zwei alle mit Abmeldedatum 10.10.1944 aus der Sondershausenstraße dorthin verlegt wurden.

Die russischen Zwangsarbeiter des Teves-Werkes im Gallus waren vorwiegend im „Sammellager Marburger Straße 28“, der leerstehenden Turnhalle der Bockenheimer TG untergebracht, das A. Teves seit 1942 für die Sicherstellung der Arbeitskräfte für sein Unternehmen wie für weitere Firmen betrieb. Für die Produktion im Werk Bonames bestand neben dem Lager für „Westarbeiter“ in der Homburger Landstraße 455 das „Lager 775“ für russische Kriegsgefangene in einer Bonameser Turnhalle.

Trotz der Teilzerstörung des Werkes Gustavsburgstraße im März '44 hört hier die Kriegsproduktion unter Einsatz von Zwangsarbeitern nicht auf. Im Gegenteil, als das Lager Marburger Straße im September 1944 durch Bombardierung zerstört ist, verlegt Teves überwiegend in der 2. Oktoberhälfte 1944 einen großen Teil der russischen Frauen und Männer in ein neues Lager direkt auf dem Werksgelände. Die Lageranschrift „Gustavsburgstr. 31“ ist auch Anschrift der Werksküche. Die Fremdarbeiterdatenbank verzeichnet 111 Menschen, überwiegend unter 24 Jahren. Parallel richtet Teves in Baden mehrere Werke für kriegswichtige Produktion ein. Brombach/Schwarzwald ist das größte mit einer Belegschaft von vorwiegend Zwangsarbeiterinnen; die Fremdarbeiterdatenbank belegt die Verlegung dorthin von 78 russischen Kriegsgefangenen Frauen und Männern zwischen Februar und Dezember 1944.

Im Januar 1945 wird das Teveswerk Gustavsburgstraße durch Luftangriff endgültig zerstört. Möglich ist, dass nun die russischen Kriegsgefangenen in der Ackermannschule untergebracht sind; im April 1945 benennt das Fürsorgeamt der Stadt hier ca. 800 – 1000 Plätze.

Im Spruchkammerverfahren im Februar 1947 wird Teves in die Gruppe 4 der „Mitläufer“ eingestuft, mit einer Geldstrafe von 500 RM. Firmenfestschriften betonen die „Gleichbehandlung“ von Gefangenen und Ariern – Schilderungen, wie die der Mutter des Autors Hans Frick („Die blaue Stunde“) oder auch Belege von Haft, Flucht und Einweisungen in „Arbeitserziehungslager“ zeigen eine andere Realität. Der 4.9.1944 ist ein Beispiel: sechs russische Frauen werden zusammen in das Arbeitserziehungslager Hirzenhain/Wetterau verbracht.

Unsere bisherigen Erkenntnisse sind ein Zwischenergebnis der Recherche in vielen Archiven, Akten, Büchern, unter Hilfe und Tipps vieler, die schon länger forschen. Es sind Ergebnisse für die Ackermannwiese, für das Teves-Gelände. Aber auch für das Gallus: das T+N-Lager für russische Kriegsgefangene auf dem Westendsportplatz war sicher eines der größten Lager, Daten der Gefangenen konnten wir bisher nur ganz wenige finden.

Von Teves haben wir inzwischen 21 Frankfurter Lageradressen in den Jahren 1941–45 gefunden und die Übersicht über die Zwangsarbeiterbeschäftigung im Gallus hat sich für uns erheblich erweitert. Die Frage bleibt: warum waren die Lager nicht bekannt, wie laufen die Prozesse „des Vergessens“? Ob Wegsehen oder Hinsehen bleibt eine Frage, die nie ihre Aktualität verliert.

Für die Unterstützung unserer Arbeit bedanken wir uns bei den Mitarbeiter*innen des Instituts für Stadtgeschichte und des Sportamtes der Stadt Frankfurt, des Hessischen Staatsarchivs, des Wirtschaftsarchivs Darmstadt, des I.T.S Bad Arolsen, des Kampfmittelräumdienstes RP Darmstadt, der Luftbilddatenbank, bei den StadtteilHistorikern Robert Gilcher und Uwe Protsch und vor allem der Geschichtswerkstatt Gallus. Weiterhin bedanken wir uns für die Förderung durch den Verfügungsfonds der Stadt Frankfurt am Main, Stadtplanungsamt im Rahmen des Projektes Soziale Stadt Gallus und ergänzende Fördermittel aus dem Deutschen Fußball-Kultur-Preis/Sportkreis Frankfurt e.V.

Präsentation der Zwischenergebnisse und des Konzepts der künstlerischen Umsetzung im Atelier von Frank Reinecke, Rebstöcker Straße 49e, Frankfurt-Gallus:
Freitag 30.01.2015, 17.00 – 21.00 Uhr,
Samstag 31.01.2015, 14.00 – 18.00 Uhr

Für das Gallus wie für Frankfurt war die Spitze des Grauens das KZ Katzbach in den Adlerwerken. Wir sind wie viele andere irritiert über die derzeitigen Rezeptionen der Erinnerung als Event und unterstützen die Initiativen, die weiterhin eine würdige Erinnerung in den Adlerwerken selbst fordern. Gleichzeitig sind wir aber auch der Meinung, dass es an jedem Ort Mahnmale braucht, die an das erinnern, was direkt im eigenen Blickfeld passierte. Erinnerungen, die aufrufen hinzusehen.

 

Projektgruppe: Frank Reinecke, Tobias Möller, Helga Roos, Thomas Sock

Recherchen und Text: Helga Roos

Künstlerische Umsetzung: Frank Reinecke

Mediengestaltung: Jakob Engelhardt

KONTAKT:

Helga Roos Gallusprojektebüro Sportkreis Frankfurt e.V. Fischbacher Straße 24, 60326 Frankfurt a. Main Tel: 0176 511 79 808 Email: helga.roos@sportkreis-frankfurt.de

Frank Reinecke, Atelier Tevesgelände Rebstöcker Straße 49e, 60326 Frankfurt a. Main Tel: 0170 984 14 78 Email: f.reinecke@t-online.de