PRO ASYL kritisiert Ausbau der Abschiebehaft am Beispiel Glückstadt

erstellt von PRO ASYL — zuletzt geändert 2021-08-16T16:40:09+02:00
Anlässlich der heutigen Eröffnung einer 3-Länder-Abschiebehaftanstalt in Norddeutschland fordert PRO ASYL ein Ende der „Abschieberitis". Die Bundesregierung muss Europarecht respektieren, rechtsstaatliche Prinzipien müssen auch für Geflüchtete gelten. Rechtsanwalt Peter Fahlbusch kritisiert: „Rund die Hälfte aller Menschen sitzt zu Unrecht in Abschiebehaft".

Heute geht die gemeinsame Abschiebehaftanstalt von Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern in Glückstadt in Betrieb. PRO ASYL kritisiert, die ehemalige Marinekaserne vermittle durch Sportplätze, Gebetsräume und Kickertische den Eindruck einer „schönen" Abschiebehaft, dies verschleiere aber, dass dort Menschen eingesperrt werden, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. „Geflüchtete werden wie Straftäter behandelt und in ihren Freiheitsrechten beraubt. Abschiebehaft wird immer mehr zum Regelfall", kommentiert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Aktuelle Zahlen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag belegen, dass vor allem Bayern, Bremen, Hamburg und Niedersachsen stark auf Abschiebehaft setzen. Mehr Haft führt aber nicht zu mehr Abschiebungen, wie ein Blick in die Praxis zeigt: Berlin ließ im Jahr 2019 nur 18 Ausreisepflichtige in Haft setzen - und schob doch 995 Menschen ab.

Strukturelle Missstände in der Abschiebehaft

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch kritisiert im Interview mit PRO ASYL die systematische Entrechtung in Abschiebehaftanstalten. „Wir sprechen hier nicht von einzelnen, bedauerlichen Fehlern, die gemacht werden – sondern von strukturellen Missständen", so der Anwalt. Problematisch ist vor allem die Zahl der zu Unrecht Inhaftierten. Diese wird von den Bundesländern nicht erfasst, weshalb Fahlbusch eine eigene Statistik erstellt hat. Seit 2001 hat der Anwalt bundesweit 2.141 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten. 1.089 dieser Menschen wurden nach den vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (Stand: 6.8.2021). „Das sind 50,9 Prozent - eine absurd hohe Zahl", kommentiert Fahlbusch. Manche von ihnen waren nur einen Tag, andere wochen- oder gar monatelang inhaftiert. Im Durchschnitt befand sich jede*r Mandant*in knapp vier Wochen zu Unrecht in Haft. Zusammengezählt kommen auf die 1.089 Gefangenen mehr als 78 Jahre rechtswidrige Haft.

Skandalös ist auch, dass selbst diejenigen, die in Abschiebehaft kommen, keinen Pflichtanwalt erhalten. „Anstatt immer neue Abschiebeknäste zu bauen und das Thema populistisch aufzubauschen, sollten Bund und Länder dafür sorgen, dass zumindest jedem Menschen, der in Abschiebehaft gesteckt wird, ein Anwalt zur Seite gestellt wird", fordert Günter Burkhardt.

Europarechtswidrige Unterbringung

Laut der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken lag die Abschiebungshaftkapazität in Deutschland mit Stand Ende Mai 2021 bei 619 Plätzen. Ende April 2017 waren es noch unter 400 Plätzen gewesen. Dennoch spricht die Bundesregierung von einer unvorhersehbaren „Notlage" bei Abschiebungshaftplätzen, weshalb es den Ländern gesetzgeberisch bis Mitte 2022 ermöglicht wurde, Geflüchtete in regulären Gefängnissen zu inhaftieren – eine Praxis, die europarechtswidrig ist. Die Bundesregierung muss sich deshalb aktuell vor dem EuGH rechtfertigen, am 16. September wird hierzu in Luxemburg die mündliche Verhandlung stattfinden.

Zum ausführlichen Interview mit dem Anwalt Peter Fahlbusch geht's hier.

Pressemitteilung 16. August 2021