Problematische Einflussnahme auf die Gestaltung der Frankfurter Bahnhofsviertelnacht

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2016-09-28T11:32:39+01:00
Offener Brief an die Frankfurter Stadtverordneten

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

als eine seit fast 20 Jahren im Bahnhofsviertel ansässige Beratungsorganisation für Frauen in der Prostitution sowie als Mitbeteiligte an der Durchführung der „Frankfurter Bahnhofsviertelnacht“ seit ihrem Beginn im Jahre 2008 wendet sich Doña Carmen e.V. heute in Sorge an Sie.

 

Wir registrieren eine zunehmende politisch motivierte Einflussnahme von außen auf die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung der „Bahnhofsviertelnacht“, die wir für unzulässig und schädlich erachten. Insbesondere die Auseinandersetzungen im Vorfeld der diesjährigen Bahnhofsviertelnacht bestätigen unsere Befürchtung, dass die eigentlichen Akteure vor Ort nicht nur in zunehmenden Maße zu bloßen Statisten degradiert, sondern obendrein auch noch öffentlichen Verdächtigungen und Beschimpfungen ausgesetzt werden.

 

Bedauerlicherweise beteiligen sich daran Frankfurter Stadtverordnete der verschiedensten Fraktionen.

 

Die Punkte, auf die wir uns beziehen, sind folgende:

 

Gerangel um Terminierung: Das Gerangel um die zeitliche Hin- und Her bei der Terminierung der diesjährigen Bahnhofsviertelnacht war für die beteiligten Akteure vor Ort völlig intransparent. Von der jeweiligen Entscheidung erfuhr man aus den Medien. Die Einflussnahme aus dem Ordnungsamt (Stichwort „Sicherheitskonzept“) blieb im Dunkeln. Auch die schließliche Ausdeutung der „Tourismus und Congress GmbH“ (TCF) als Veranstalter der Bahnhofsviertelnacht kam aus heiterem Himmel und ist mit den betroffenen Akteuren nicht kommuniziert worden. Was qualifiziert eine städtische Tourismus-GmbH eigentlich als Ausrichter, wenn es doch das erklärte Ziel der Bahnhofsviertelnacht sein soll, nicht nur kommerzialisierten Rummel zu bieten?

 

Gerangel um „Werbung für Bordelle“: Das von der FAZ angestoßene öffentliche Gezerre um die angeblich anstößige städtische „Werbung für Bordelle“ steht für Spießertum, Provinzialismus und Realitätsverleugnung, die jeder toleranten und weltoffenen Stadt unwürdig sind. Prostitution und Sexarbeit sind Teil der gesellschaftlichen Realität und gehören zum Frankfurter Bahnhofsviertel. Sie gehören als Ausdruck akzeptierter sozialer Vielfalt, aber auch als anerkannter Wirtschaftsfaktor ohne Abstriche in städtische Werbebroschüren. Es ist bigott, wenn CDU-Stadtverordnete dagegen polemisieren und glauben, die Welt katholisch machen zu müssen.

 

TCF-Broschüre: Die von der Tourismus-GmbH präsentierte und wieder eingestampfte Broschüre „Bars, Basare und Boheme – 99 Highlights im Frankfurter Bahnhofsviertel“ entspricht aus Sicht von Doña Carmen e.V. den anzulegenden Qualitätskriterien in keiner Weise. Sie wirft erneut die Frage nach der Eignung der TCF als Veranstalter der Bahnhofsviertelnacht auf. Die krampfhafte Suche nach „Highlights“ mischt sich hier mit dumm-dämlichen und ziemlich angestaubten Klischees („Frankfurts verruchte Meile“, „rot leuchtendes Abenteuerland“). In den Bordellen arbeiten nicht „Mädchen aus Rumänien und Bulgarien“, sondern volljährige und somit der Selbstbestimmung fähige Frauen aus diesen Ländern. Die onkelhafte Herrensicht des Verfassers ist daher völlig fehl am Platz. Es empfiehlt sich, Sexarbeiter/innen und ihre Interessenvertretungen in die Abfassung dieser Passagen mit einzubeziehen. Auf diese naheliegende Idee ist man bei der TCF-Geschäftsführung nicht gekommen.

 

Stimmungsmache gegen Prostitution: Stattdessen soll zukünftig das Frauenreferat in die Abfassung dieser Broschüre mit einbezogen werden, das auch schon angekündigt hat, „kritische Stimmen zu Frauenhandel und Armutsprostitution einzubauen“. „Frauenhandel“ und „Armutsprostitution“ sind Kampfbegriffe von Prostitutionsgegnern, um die von ihnen als anstößig empfundene Prostitutionsausübung einem Generalverdacht auszusetzen und zunehmender Kontrolle zu unterwerfen. Wer die jüngsten Einlassungen der frauenpolitischen Sprecherin der GRÜNEN, Stadtverordnete auf der Heide, zur Kenntnis genommen hat, müsste hellhörig werden. Im Hinblick auf Prostitution sagte sie dem „Journal Frankfurt“ (9.9.2016): „Es gibt eine humanitäre Katastrophe im Bahnhofsviertel“.
Hier werden Horrorgemälde an die Wand gemalt. Zur Zahl dortiger Menschenhandelsopfer natürlich kein Wort. Das ist pure Stimmungsmache. Man weiß nichts, hat aber schon mal eine Meinung. Das mit Prostitution auf Kriegsfuß stehende Frauenreferat bei der Neuauflage der nächsten Bahnhofsviertel-Broschüre zu beteiligen, ist in etwa dasselbe, als würde man eine Ankündigung des Kiosk Yok Yok mit seinen 300 Biersorten gemeinsam mit einem Anti-Alkoholiker-Verband abfassen oder den Verweis auf Treffs der Homosexuellen-Szene gemeinsam mit Gruppierungen christlicher Fundamentalisten verfassen. Wir halten das für eine in jeder Hinsicht kontraproduktive Politisierung der Bahnhofsviertelnacht und erwarten von den Stadtverordneten, sich dieser unzulässigen Einflussnahme auf die inhaltliche Ausrichtung der Bahnhofsviertelnacht im Sinne einer Dramatisierung von Prostitution entgegenzustellen.

 

Ablehnung von Bordell-Führungen: Eine weitere Einmischung in die inhaltliche Ausrichtung des Bahnhofsviertelnacht wurde von der FDP-Fraktion im Stadtparlament angestoßen. Die in der Bahnhofsviertelnacht angebotenen Bordell-Führungen und die erstmals erfolgten Tage der Offenen Tür eines Etablissements in der Taunusstraße werden nicht etwa als Schritt hin zu einer größeren Offenheit und Transparenz gewertet, sondern als „unwürdige Menschenzoo-Veranstaltungen“ diffamiert – in der erklärten Absicht, diese Führungen zukünftig nicht mehr anzubieten. In ähnlicher Weise abschätzig äußern sich auch die Stadtverordnete der GRÜNEN und TCF-Aufsichtsratsmitglied Ursula auf der Heide, nachdem auch der katholische Stadtdekan in diesem Sinne interveniert hatte. Beide verdächtigen die Teilnehmerinnen der Bordellführungen, sie würden sich am Elend und der Not anderer „weiden“, sie seien „ignorant“ und „kaltschnäuzig“. Wir weisen diese Beschimpfungen und Beschuldigungen entschieden zurück. Die Auffassung, Teilnehmende an Bordellführungen seien Teil „unwürdiger Menschenzoo-Veranstaltungen“ diffamiert das berechtigte Interesse am Kennenlernen der Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiter/innen. Gleichzeitig stuft es Sexarbeiter/innen auf das Niveau begaffter Tiere herab. Wir erwarten, dass die Stadtverordneten solchen geschmacklosen Vergleichen energisch entgegentreten.

 

Sexarbeiterinnen – ganz gleich in welcher Stadt – werden unter dem Vorwand des „Schutzes“ immer dann von politischer Seite mit einem auf „Menschenhandel“ und „Armutsprostitution“ fokussierenden „Elends-Diskurs“ überzogen, wenn es um die Gentrifizierung von Stadtquartieren und um ihre soziale Ausgrenzung und Verdrängung geht.

 

Doña Carmen e.V. sieht die von oben angestoßene reaktionäre Politisierung der Bahnhofsviertelnacht und die zunehmende Einmischung in dessen inhaltliche Gestaltung in diesem Kontext. Wir werden das nicht dulden, wir werden uns dagegen zur Wehr setzen.

 

Wir sehen aber diesbezüglich auch die Stadtverordneten in der Pflicht. Wir erwarten, dass Sie Farbe bekennen, sich zur sozialen Vielfalt im Bahnhofsviertel bekennen und populistischen Angriffen auf Prostitution entgegentreten.

 

Möglicherweise haben Sie das Bedürfnis, sich direkt vor Ort ein Bild zu machen und möchten sich informieren. Doña Carmen e.V. ist gerne bereit, für (weibliche) Stadtverordnete eine kostenlose Bordellführung anzubieten. Sollten Sie daran interessiert sein, bitten wir Sie, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

Sprecherin von Doña Carmen e.V.

 

PS.

Detailliertere Ausführungen zu dem hier vorgetragenen Anliegen finden Sie auf unserer Website http://www.donacarmen.de unter dem Titel: „Die Frankfurter Bahnhofsviertelnacht 2016

- Unwürdiges Hauen und Stechen um Bordell-Werbung und Bordell-Führungen, Ein kritischer Rückblick von Doña Carmen e.V.

Pressemitteilung Doña Carmen e.V., Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten, 27. September 2016