Project Shelter: Wir fordern wirkliche Veränderungen statt Imagepflege! / We demand real change instead of Image-Politics!

erstellt von Project Shelter — zuletzt geändert 2016-09-20T11:51:27+02:00
Offener Brief zum Stand der Verhandlungen über ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum in Frankfurt / Open letter about the status of the negotiations about a self-organized center for migrants in Frankfurt

Die Stadt Frankfurt sieht keine Zuständigkeiten und Möglichkeiten, ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum für Project Shelter zu unterstützen. Das haben die Verhandlungen im August ergeben. Anstatt über konkrete Liegenschaften und eine Finanzierung des Hauses zu sprechen, haben die Verantwortlichen verschiedene "Angebote" gemacht, die nicht den Forderungen und Bedürfnissen der Menschen im Projekt entsprechen: Erstens wurde angeboten, einen temporären Zuschuss für die Miete des Bistros in der Bergerstraße zu gewähren, zweitens sollten in Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde Einzelfälle auf (rechtliche) Unterstützungsmöglichkeiten überprüft werden. Abgesehen davon, dass die Unterstützung eines Zentrums außerhalb der Zuständigkeiten liege, gebe es außerdem keine geeigneten Liegenschaften und sowieso bereits ausreichend Einrichtungen und Angebote für obdachlose Menschen in Frankfurt – so die Stadt.

Die Tatsache, dass unzählige Häuser in Frankfurt leer stehen und die genannten sozialen Einrichtungen immer wieder Menschen zu Project Shelter schicken, weil die eigenen Kapazitäten längst und beständig überschritten sind, zeigt, dass diese Behauptungen schlicht falsch sind, aber das ist ja eigentlich kein Geheimnis: "Als ich in Frankfurt ankam und zur Caritas ging, verwies man mich dort an Project Shelter", erinnert sich eine Aktivistin des Projekts.

Das "Angebot", die Miete des Bistros für einige Zeit zu finanzieren, lehnen wir ab. Das Bistro war nie Gegenstand der Verhandlungen mit der Stadt, auch wenn diese das anders sah und in vorauseilendem Eifer ohne unser Wissen dem Eigentümer ihr "Angebot" unterbreitet hat. Dabei müssen wir momentan gar keine Miete zahlen. Mit dem Bistro haben wir einen unkommerziellen Raum geschaffen, der Möglichkeiten zum Austausch, zur Vernetzung und für die weitere gemeinsame Organisation bietet. Wir freuen uns darüber, in der Bornheimer Nachbarschaft angekommen zu sein und diesen Ort zu gestalten. Und doch ist das nur ein erster Schritt. Denn das Bistro kann kein Haus ersetzen, in dem es neben Raum für Vernetzung und Beratung auch und gerade Raum für Schlafplätze und Unterbringung gibt und das als Meldeadresse dienen kann.

Dieses Haus wird nach wie vor gebraucht aus dem ganz praktischen Grund, dass die Mehrheit der bei uns organisierten Migrant*innen obdachlos ist und die tage- oder wochenweise Unterbringung in privaten Wohnungen keine Dauerlösung ist und schon lange an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Viele Menschen im Projekt haben jahrelang in südeuropäischen Ländern gelebt und gearbeitet und haben dort einen rechtlichen Aufenthaltsstatus, oft eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis. Diese erlaubt ihnen, sich frei in Europa zu bewegen und bis zu drei Monate in einem Land zu bleiben, um Arbeit zu finden. Sie haben dabei jedoch keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung und sind somit von Sozialleistungen weitgehend ausgeschlossen. Hier entsteht die Falle, in die das bestehende Recht Menschen zwingt, wenn sie ohne festen Wohnsitz keine Arbeit und ohne Arbeit keinen festen Wohnsitz finden können. Die Menschen werden bzw. bleiben obdachlos und leben und arbeiten in prekären Verhältnissen. 

Das "Angebot" der Stadt, Einzelfälle in Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde dahingehend zu prüfen, ob und inwiefern individuelle Unterstützungsleistungen möglich sind, lehnen wir ebenfalls ab. "Dieses sogenannte Angebot überrascht mich. Mein erster Weg nach der Ankunft in Frankfurt führte mich zu den Behörden, um meine rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, so wie alle von uns, dafür brauchen wir die Stadtpolitik nicht", sagt ein Aktivist. Ganz abgesehen davon, entspricht dieses "Angebot" der üblichen Spaltung und Sortierung von Menschen in unterschiedliche rechtliche Statusgruppen, die systematisch gegeneinander in Konkurrenz gesetzt und ausgespielt werden. Menschen werden dabei danach beurteilt, ob ihre Flucht- und Migrationsgründe "berechtigt" sind und ob sie als billige Arbeitskraft taugen. Auch im Sozialausschuss haben verschiedene Mitglieder aus unserem Projekt von ihren persönlichen Erfahrungen von Ausschluss, Diskriminierung und Rassismus berichtet. Die Situation der Menschen ist also hinreichend bekannt. Sie ist jedoch kein Zufall und kein Schicksal, sondern hat ihre Ursachen in den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen.

Project Shelter kämpft gegen diese Verhältnisse und für eine solidarische und offene Gesellschaft. Das heißt, wir organisieren uns kollektiv ungeachtet dessen, woher jemand kommt und welcher rechtliche Status einer Person zugeschrieben wird. Wir verwehren uns damit der staatlichen Praxis von Vereinzelung, Illegalisierung und Kriminalisierung. Wir unterscheiden nicht zwischen "Flüchtlingen" und "Migrant*innen". Seit fast 2 Jahren üben Menschen im Projekt praktische Solidarität, indem sie ihre Wohnungen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen teilen und gemeinsam politisch arbeiten. Untrennbar damit verbunden ist die Kritik an den bestehenden Zusammenhängen von Leerstand und Wohnungslosigkeit, von Grenzziehungen, Ausschlüssen und Gewalt hier in Frankfurt, sowie im Inneren und Äußeren des europäischen Grenzregimes. In Zeiten zunehmend offener rassistischer Gewalt ist ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum deshalb nicht nur praktisch nötiger Schutzraum und Meldeadresse für Einzelne, sondern wichtiger Ausgangspunkt für die gemeinsame politische Arbeit an einer grundlegend anderen Stadt sowie Gesellschaft für Alle.

Der neue Sozialdezernent Mike Josef, der vor seiner Wahl seine politische Unterstützung für ein solches Haus betont hatte, hat nun im Namen der Stadt Frankfurt der Unterstützung eines solchen Hauses endgültig eine Absage erteilt. Die dargelegten Angebote verstehen wir als Versuch, von den eigentlichen Forderungen von Project Shelter abzulenken und städtische Verantwortung und Zuständigkeiten zu verneinen. Wir bedauern, dass die Stadt offensichtlich nicht den politischen Willen hat, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Für den Moment betrachten wir die Verhandlungen als gescheitert. Sollte die Stadt mit dem Scherzen aufhören und anfangen, Obdachlosigkeit in Frankfurt tatsächlich ernst zu nehmen, sind wir offen für neue Gespräche.

So oder so und jetzt erst recht: Unser Kampf für ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum geht weiter!

Project.Shelter

im September 2016

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We demand real change instead of Image-Politics!

Open letter about the status of the negotiations about a self-organized center for migrants in Frankfurt

The city of Frankfurt does see neither options nor possibilities to support a self-organized center for Project Shelter. During the negotiations in August, the city offered the project two things: Firstly, to finance the rent of the Bistro for a couple of months and secondly to legally check single cases of Project Shelter members together with the ‘Ausländerbehörde’, looking for opportunities to support Project Shelter members during the process. The city does not only deny to own appropriate vacant properties, but also doesn't see the need to provide Project Shelter with a house, claiming that there are already enough social institutions for homeless people in Frankfurt.

The fact that many houses remain empty and that the existing social institutions send people to Project Shelter since they too do not have enough capacities, proves both arguments wrong, but that's actually no secret: "When I arrived in Frankfurt, I went to Caritas and they told me about Project Shelter", an activist remembers.

We decline the "offer" of the city to pay rent for the bistro. The bistro was never part of the negotiations with the city. Even if the city seems to see this differently, having offered payments to the owner of the bistro before even talking to us. However, we are not paying any rent as it is. With the Bistro we created a non-commercial space for people to come together, exchange and organize. We are happy to be able to use this place and greatly enjoy working in the friendly Bornheim neighborhood. However, the Bistro can only be a first step. It does not replace the need for a house where people can both sleep and officially register for residency.

We are still in need of this house for the very practical reason that most of the people in our project remain homeless and short term accommodation in private flats is not a long term solution. Many of the people in the project have lived and worked in other European countries for many years and therefore have a legal status in those countries. Holding this status they are allowed to move within Europe and to find a place to live and a job to work in within three months. This is where people fall into the vicious circle that existing laws are forcing them into: No flat without a job, no job without a flat (and therefore no residence address). As a consequence people become homeless and are forced to live and work under very precarious conditions.

We also decline the "offer" of the city to check up on legal options for some of the people in our project. "I am surprised by this so-called offer. The first thing I did when I arrived in Frankfurt was going to Ausländerbehörde to check up on my legal options, just like every one of us. I don't need the city officials to assist me with that", another member of the project said. Furthermore, this "offer" is part of the separation of people in different legal status groups, which systematically divides people and puts them into competition with each other. It is by these means that people are categorized depending on "justified" reasons for migration and their value as cheap labour force. Many people in our project can tell long stories about their personal experiences of exclusion and discrimination - some of us even did exactly this at the Sozialausschuss - so the situation of the people should by now be well known. But the situation is neither an accident nor plain "destiny", but has its cause in the existing conditions of society.

Project Shelter politically fights these causes in order to fundamentally change society. We don't only want two or three persons of us getting better living conditions for now, but a good life in a free society based on solidarity for All. That means we organize collectively no matter what status people have, where they come from or why they decide to come. We reject the institutional practice of separation, criminalization and illegalization. We don't make any difference between "refugees" and "migrants". Since almost two years people practice solidarity by sharing their houses, knowledge, lives and political work. Another essential part of this solidarity is the understanding and criticsm of existing context of empty houses and homelessness in Frankfurt. In times of increasing racism and violence, a self-organized center for migrants in Frankfurt is not only a practical necessity for individual safety and residency. It is also an important space for our political work.

The new Sozialdezernent Mike Josef who had supported the idea of a house for Shelter before his election has now denied the city's support. We understand the described "offers" of the city as an attempt to distract from the actual needs of the people in the project and to neglect institutional options and responsibilities. We regret that the city is lacking the political will to support the work for a space of solidarity and social living.

At the moment we consider the negotiations to be failed. If the city stops joking and starts taking homelessness in Frankfurt serious, we will be open to negotiate again.

Anyways, our fight for a self-organized centre continues!

Project.Shelter

September 2016