Revision. Rom*nja-Bürgerrechtsbewegung und Kämpfe gegen Antiziganismus

erstellt von Förderverein Roma — zuletzt geändert 2019-04-11T11:11:04+01:00
Film- und Diskussionsreihe vom 24. April bis 13. Juni 2019

Von dem beeindruckenden Porträt einer der wichtigsten Rom*nja-Bürgerrechtlerinnen des 20. Jahrhunderts – der Schwedin Katarina Taikon – über die erschütternde Prozessbeobachtung im Kontext einer rechtsextremistischen Mordserie in Ungarn Ende der Nullerjahre, über Coming-of-Age-Geschichten sowie Selbst- und Fremdbefragungen junger Romnja in Italien und Bulgarien hin zur filmischen Revision eines ungeklärten Kriminalfalls, beispielhaft für den Rassismus in der europäischen Migrationsgeschichte: Die Film- und Diskussionsreihe Revision. Rom*nja-Bürgerrechtsbewegung und Kämpfe gegen Antiziganismus nimmt Lebensbedingungen und -realitäten, Diskriminierungserfahrungen und Widerstände von Rom*nja in Europa in den Blick.

Solange die Darstellung der größten europäischen Minderheit einer permanenten Stereotypisierung gleichkommt, solange jahrhundertealte antiziganistische Vorurteile durch die Mehrheitsgesellschaft tradiert und legitimiert werden, solange bedarf es der Revision. Es bedarf der Bilder, Erzählungen, Analysen, die diese einseitigen Darstellungen durchbrechen.

Die Filme des Programms versuchen diesen Durchbruch. Wir laden zum sehen und diskutieren ein. An den Diskussionen mit dem Publikum werden Filmemacher*innen, Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen teilnehmen – Rom*nja und Nicht-Rom*nja.

Mittwoch, 24. April um 20.00 Uhr im
Mal Seh‘n Kino, Adlerflychtstraße 6
TAIKON
Schweden 2015, DCP, 97 min, OmeU
Buch/Regie: Lawen Mohtadi und Gellert Tamas
Kamera: Kim Silfving
Schnitt: Tell Aulin
Musik: Per-Henrik Mäenpää
Produktion: Malcolm Dixelius, Gellert Tamas

Anschließend Gespräch mit dem Regisseur Gellert Tamas und Dr. Jane Weiß (Stiftungsrat der Hildegard-Lagrenne-Stiftung für Bildungsförderung von Sinti und Roma – angefragt), Moderation Nicolette Naumann (Nitribitt – Frankfurter Ökonomien)

TAIKON ist das beeindruckende Porträt einer der wichtigsten Menschenrechtsaktivistinnen im Europa des 20. Jahrhunderts: Katarina Taikon. Oft als »Martin Luther King von Schweden« bezeichnet, lernte sie Lesen und Schreiben erst mit Ende Zwanzig und wurde zu einer der meistgelesenen Autorinnen Schwedens. Taikon war Kaldaraš-Romni, führend in der Rom*nja-Bürgerrechtsbewegung ihres Landes,Schriftstellerin und Schauspielerin, die vor allem mit der Buchreihe Katizi Bekanntheit erlangte – basierend auf ihren eigenen Erfahrungen als Roma-Kind im Waisenhaus.

Anhand von fesselndem Archivmaterial und Gesprächen mit Freund*innen, Wegbegleiter*innen und Familie skizziert der Film das dramatische Leben von Katarina Taikon: ihren Kampf für die Umsetzung der Bürgerrechte der Rom*nja in Schweden, ihren politischen Aktivismus, ihre Kampagnen und ihre Bücher. Mit ihrer Arbeit zielte sie darauf, ein Bewusstsein für die Lebensbedingungen und Diskriminierung von Rom*nja, insbesondere den fehlenden Zugang zu Bildung und Wohnraum, zu schaffen. Taikons Kampf in den 60er-Jahren war sehr erfolgreich, doch sie wurde auch zum Ziel bösartiger Angriffe seitens der Politik und seitens »einfacher Leute«. TAIKON erzählt nicht zuletzt von der Entstehung des modernen schwedischen Wohlfahrtsstaates und von der einen Gruppe, die darin keinen Platz hatte: die Minderheit der Rom*nja.


Mittwoch, 22. Mai um 19.30 Uhr im
Mal Seh‘n Kino, Adlerflychtstraße 6
JUDGMENT IN HUNGARY (URTEIL IN UNGARN)
Ungarn/Deutschland/Polen 2013, DCP, 112 min, OmeU
Buch/Regie: Eszter Hajdú
Kamera: István Szőnyi, Eszter Hajdu, Gábor Medvigy, András Horváth u.a.
Schnitt: Bence Bartos
Musik: Sandor Mester
Produzent: Sandor Mester
Koproduzent*innen: Inka Dewitz, Michael Bogár

Anschließend Gespräch mit der Regisseurin Eszter Hajdú, Moderation Dr. Z. Ece Kaya (Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main) 2008 und 2009 verübten Rechtsextremisten eine Serie von Morden an Rom*nja.

Sechs Menschen starben, darunten ein fünfjähriges Kind. Gegen vier Verdächtige wurde Anklage erhoben. Der Film dokumentiert den Prozess, der zweieinhalb Jahre dauerte: Das Filmteam ist alle 167 Prozesstage vor Ort und filmt mit mehreren Kameras im Gerichtssaal, in dem sich die Angeklagten und die Angehörigen der Opfer auf engestem Raum gegenüberstehen. Im Zuge der Anhörung kommen gravierende Ermittlungsfehler ans Licht. Bloßer Pfusch oder gezielte Manipulationen? Der Richter präsentiert sich zunächst als unparteiischer Hardliner der Ordnung; schnell gereizt, verwarnt er viel und erteilt Verweise. Die Emotionalität der Angehörigen, die als Zeug*innen gehört werden, ist ihm ein Dorn im Auge – genauso wie die Kaltblütigkeit der Gegenseite. Doch je länger der Prozess dauert, umso selbstbewußter treten die Angeklagten auf. Sie berufen sich auf ihren vermeintlichen Rückhalt in der Bevölkerung und platzieren unverhohlen Drohungen. Immer häufiger gerät der Richter in die Defensive.

Die Dokumentation gibt tiefe Einblicke in die Abgründe der ungarischen Gesellschaft. So sollen auch die Geheimdienste in die rassistisch motivierte Mordserie involviert gewesen sein. Eszter Hajdús Film fängt die Beklemmung in dem engen Gerichtssaal während der Verhandlungen ein und zeigt die Trauer und die Wut der Rom*nja, die bis heute kaum gehört wurden.

Mittwoch, 5. Juni um 20.00 Uhr im
Mal Seh‘n Kino, Adlerflychtstraße 6
IO, LA MIA FAMIGLIA ROM E WOODY ALLEN (ICH, MEINE ROMA-FAMILIE UND WOODY ALLEN)
Italien 2009, Beta SP, 50 min, OmeU
Regie: Laura Halilović
Buch: Laura Halilović, Nicola Rondolino, Davide Tosco
Kamera: Laura Halilović, Nicola Rondolino, Davide Tosco
Schnitt: Marco Duretti
Musik: Fabio Barovero, Bruskoi Prala, Giuseppe Napoli
Produzent: Davide Tosco

„Ich bin in Italien geboren, ich habe einen italienischen Personalausweis und einen bosnischen Reisepass. Aber meine Identität ist eine andere: Ich bin Romni.“ Laura Halilović beschreibt in ihrem Debütfilm die Geschichte, Träume und den Alltag ihrer Familie: Ihre Eltern haben einen Teil ihres Lebens zwischen Italien und Jugoslawien pendelnd verbracht. Das Leben im Wohnwagen haben sie aufgegeben und wohnen seit zehn Jahren in einer Mietwohnung in Norditalien; ein Teil der Verwandtschaft versucht weiterhin, in einer Wohnwagensiedlungen zu leben, errichtet auf einem gekauften Stück Land. Doch die lokalen Behörden gehen repressiv gegen die Siedlung vor.

Halilović erzählt mit Videoaufnahmen und Fotografien aus dem Familienarchiv sowie aktuellen Interviews eine Coming-of-Age-Geschichte zwischen rassistischer Ablehnung und unbeschwertem Alltag, zwischen Tradition und dem Wunsch nach einem eigenen Weg.

PAGES OF MY BOOK (SEITEN MEINES BUCHES)
Ungarn 2013, DCP, 7 min, OmeU
Regie: Galya Stoyanova
Kamera: Miklós Barna, Galya Stoyanova
Schnitt: Galya Stoyanova, Eszter Kovács, Miklós Barna
Produktion: Elmér Sánta

Die bulgarische Romni Galya Stoyanova äußert in diesem Kurzfilm ihre tiefsten Unsicherheiten, Ängste und Hoffnungen durch die kraftvolle, aber oberflächliche Darstellung, wie andere uns, die Rom*nja, wahrnehmen. Am Ende überwiegt die Selbstakzeptanz der Kultur, der Vielfalt und der einen Sache, die wir nicht ändern können – unsere Herkunft.

Anschließend Gespräch mit Galya Stoyanova (Fotografin, Filmemacherin, Aktivistin), Moderation Gaby Babić (Kinothek Asta Nielsen)


Donnerstag, 13. Juni um 20.15 in der
Pupille – Kino in der Uni, Studierendenhaus Campus Bockenheim,
Mertonstraße 26-28
REVISION
Deutschland 2012, 35mm, 106 min, OF
Buch: Merle Kröger und Philip Scheffner
Regie: Philip Scheffner
Kamera: Bernd Meiners
Ton: Pascal Capitolin und Volker Zeigermann
Produzentin: Merle Kröger,
Koproduzent*innen: Marcie K. Jost, Meike Martens und Peter Zorn

Anschließend Gespräch mit Silke Huropp und Smaranda Iuonas (Förderverein Roma e.V.), Moderation Gaby Babić (Kinothek Asta Nielsen)

Am 29. Juni 1992 entdeckt ein Bauer zwei Körper in einem Getreidefeld in Mecklenburg-Vorpommern. Ermittlungen ergeben, dass es sich bei den Toten um rumänische Staatsbürger handelt. Sie werden bei dem Versuch, die europäische Außengrenze zu überschreiten, von Jägern erschossen. Diese geben an, die Menschen mit Wildschweinen verwechselt zu haben. Vier Jahre später beginnt der Prozess. Welcher der Jäger den tödlichen Schuss abgegeben hat, lässt sich nie beweisen. Das Urteil: Freispruch. Dpa meldet: „Aus Rumänien ist niemand zur Urteilsverkündung angereist.“ In den Akten stehen die Namen und Adressen von Grigore Velcu und Eudache Calderar. Ihre Familien wussten nicht, dass jemals ein Prozess stattgefunden hat. Mit REVISION wird ein juristisch abgeschlossener Kriminalfall einer filmischen Revision unterzogen, die Orte, Personen und Erinnerungen miteinander verknüpft und ein fragiles Geflecht aus Versionen und Perspektiven einer „europäischen Geschichte“ ergibt.

Eine Veranstaltungsreihe der Kinothek Asta Nielsen e. V. In Kooperation mit Mal Seh‘n Kino, Nitribitt – Frankfurter Ökonomien, Förderverein Roma e.V., Forschungsstelle NS-Pädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Pupille – Kino in der Uni und RomaTrial e.V.