Sexarbeiterin klagt vor Verwaltungsgericht

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2019-05-31T11:21:25+02:00
gegen Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes durch die Stadt Gießen

Bei der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes geht die mittelhessische Stadt Gießen eigenwillige Wege: Als bislang einzige Kommune Deutschlands hat Gießen eine private Organisation mit der Durchführung der seit 2017 für Sexarbeiter/innen obligatorischen „Informations- und Beratungsgespräche“ beauftragt.

Ausgerechnet ein Verein christlich motivierter Prostitutionsgegner hat dabei den Zuschlag bekommen: Der Verein FiM („Frauenrecht ist Menschenrecht“) sieht sich ausweislich § 2 seiner Satzung „auf der Grundlage des Verständnisses des Menschen als Ebenbild Gottes“ dem Schutz insbesondere von Frauen vor Käuflichkeit verpflichtet. FiM ist Mitglied im Diakonischen Werk in Hessen und Nassau e.V. Die Diakonie befürwortet Sexualität als „ganzheitliches Geschehen“, was nach eigenem Bekunden mit Prostitution im Widerspruch stehe. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Positionierung des Vereins FiM allenthalben von Prostitutionsgegnerschaft geprägt ist.

Als sich die Sexarbeiterin F. bei der Gießener Ordnungsbehörde über die örtlichen Anmeldemodalitäten erkundigte, erhielt sie von der Behörde ein Merkblatt mit dem Hinweis:

 „Im Zuge der Anmeldung wird ein Informations- du Beratungsgespräch mit den Mitarbeiterinnen der Organisation „Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. geführt.“

Sexarbeiterin F. sieht darin einen Verstoß gegen das im Prostituiertenschutzgesetz verankerte Gebot, dass die nunmehr unvermeidlichen Zwangsberatungen zumindest „in einem neutralen und vertraulichen Rahmen“ (BT-Drs.18/8556, S. 63) stattzufinden haben und klagt nun vor dem Verwaltungsgericht Gießen gegen die Stadt.

Mit der gerichtlichen Verhandlung dürfte noch im Juni 2019 zu rechnen sein.

Doña Carmen e.V. unterstützt die Klägerin. Schon im vergangenen Jahr hat Doña Carmen e.V. die Gießener Oberbürgermeisterin, Frau Grabe-Bolz (SPD), aufgefordert, die Beauftragung von FiM mit der Durchführung originär hoheitsstaatlicher Aufgaben umgehend einzustellen. Doch Grabe-Bolz blieb stur: „Aufgrund der durchweg positiven Erfahrungen mit FIM ist auch zukünftig geplant, nichts an der Durchführungspraxis der Informations- und Beratungsgespräche zu ändern. Auch die positiven Rückmeldungen der in der Prostitution Tätigen zeigen, dass die Kooperation mit FIM für Gießen der richtige Weg ist“, schrieb OB Grabe-Bolz am 21.06.2018 an Doña Carmen e.V. Mittlerweile wurde das Gießer Modell gar per Kooperationsvertrag auf den Landkreis Gießen ausgedehnt.

Dass die Gießener Praxis der regelhaften Beratung durch einen privaten Träger ein Verstoß gegen die in § 8 Abs. 2 ProstSchG vorgesehene Voraussetzung einer Zustimmung durch die anmeldende Person ist, wird von den für die Gießener Verwaltung zuständigen Stellen rundweg bestritten. Das Prostituiertenschutzgesetz lege in § 8 Abs. 2 mitnichten fest, „dass das Heranziehen einer Beratungsstelle keine regelhafte Praxis sei und allenfalls im Einzelfall mit Zustimmung der anmeldepflichtigen Person erfolgen könne. Dieser Ansicht kann ich mich nicht anschließen, da der Gesetzgeber das Hinzuziehen der Fachberatung in das Ermessen der Behörde stellt („kann“). Auch trifft der Gesetzgeber in der zitierten Vorschrift oder anderweitig im ProstSchG keine Regelung, zu welchem Zeitpunkt die Zustimmung der Prostituierten einzuholen ist“, ließ das Regierungspräsidiums Gießen mit Schreiben vom 1.10.2018 in der Angelegenheit verlauten.

Die Gießener Praxis der „Informations- und Beratungsgespräche“ für Sexarbeiter/innen zeigt ebenso wie die in Marburg und Offenbach praktizierte gesetzeswidrige Beauftragung des ‚Sozialpsychiatrischen Dienstes‘ mit der gesundheitlichen Regelberatung von Prostituierten, dass das von der Großen Koalition verabschiedete Prostituiertenschutzgesetz ein Freibrief für behördliche Willkür gegenüber Sexarbeiter/innen ist.

Nach Berechnungen von Doña Carmen sind in den vergangenen zwei Jahren der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes gerade einmal 50.000 der hierzulande tätigen Sexarbeiter/innen zwangsregistriert worden. Die Bundesregierung hingegen geht von 200.000 Sexarbeiter/innen aus. Viele Frauen sind bereits längst in die Illegalität abgetaucht. Das ist der billigend in Kauf genommene Preis für den Versuch des Gesetzgebers, mittels des Prostituiertenschutzgesetzes sexuelle Dienstleistungen zu reduzieren und Prostitution zu bekämpfen.

Doña Carmen e.V. fordert aus Anlass des Internationalen Hurentages 2019 erneut die umgehende Aussetzung der Umsetzung dieses Schandgesetzes. Notwendig ist stattdessen eine Reglementierung von Prostitution auf der Grundlage rechtlicher Gleichbehandlung und der Anerkennung der Grundrechte – auch für Sexarbeiter/innen!

Doña Carmen e.V., Pressemitteilung, 30.5.2019