Theorie und Praxis einer progressiven Wohnungspolitik

erstellt von Institut für Humangeographie Frankfurt/M. — zuletzt geändert 2021-04-25T19:15:56+01:00
Sommerschule Kritische Wohnungsforschung - 8. - 10. Juli 2021

Am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt am Main wird im Juli 2021 die dreitägige Sommerschule „Kritische Wohnungsforschung – Theorie und Praxis einer progressiven Wohnungspolitik“ stattfinden. Die Veranstaltung richtet sich gleichermaßen an Studierende und Forschende wie auch an Aktivist*innen aus wohnungspolitischen Bewegungen sowie Praktiker*innen aus Wohnungsunternehmen, Verwaltungen, Politik, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft. Ausgangspunkt und Motivation für die Veranstaltung bildet die Beobachtung, dass es zwar eine umfangreiche kritische Wissensproduktion inner- und außerhalb von Universitäten gibt, die sich intensiv mit der finanzialisierten Wohnungswirtschaft und der Neoliberalisierung der Wohnraumversorgung beschäftigt. Ebenso zeigen die aktuellen Debatten zur Rekommunalisierung und Vergesellschaftung, dass zahlreiche Aktivist*innen und Praktiker*innen konkrete Konzepte entwickelt haben, wie eine marktferne und nicht renditeorientierte Wohnraumversorgung organisiert, gestärkt und mit Fragen der demokratischen Steuerung verbunden werden könnte. Allerdings hängt sowohl das Wissen über die Strukturen und Akteure einer finanzialisierten und neoliberalisierten Wohnraumversorgung als auch dasjenige über grundlegende wohnungspolitische Alternativen bislang an relativ wenigen Expert*innen. Für einen grundlegenden wohnungspolitischen Wandel erscheint es uns jedoch geboten, das vorhandene Wissen auf breitere Beine zu stellen. Hilfreich können diesbezüglich verschiedene Bildungsformate, institutionalisierte Ausbildungswege und andere dauerhaft angelegte Strukturen sein. Diese sollten auf Tätigkeiten in Wohnungswirtschaft, Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft vorbereiten und sich dabei in bewusstem Gegensatz zu immobilienökonomischen Studiengängen positionieren, indem sie eng an den Erkenntnisinteressen und Praxisanforderungen sozialer Bewegungen sowie anderer progressiver Akteure in Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft ausgerichtet werden.

Hierzu einen ersten Beitrag zu leisten, ist Ziel der Sommerschule. Konkret wollen wir dazu das Wissen aus kritischer Wohnungsforschung und anwendungsbezogener Praxis in einen konstruktiven Dialog bringen und in Form von Vorträgen, Diskussionsrunden, Workshops und ggf. Exkursionen einem breiteren Publikum zugänglich machen. Die im Rahmen dieser und zukünftiger Sommerschulen gewonnenen Erfahrungen bilden zugleich die Grundlage, eine kritische und anwendungsbezogene Wohnungsforschung dauerhaft in die humangeographischen Studiengänge zu integrieren.

Rahmendaten

Zeitpunkt: 08. bis 10. Juli 2021

Dauer: 3 Tage zzgl. Exkursionstag (optional, je nach Pandemielage)

Ort: digital über Zoom und andere Plattformen

Veranstalter*innen: Sebastian Schipper, Susanne Heeg und Bernd Belina

Teilnahmebeitrag: 0 €

Anmeldung

Bei Interesse an der Sommerschule ist eine Anmeldung über folgenden Link bis zum 31.05. möglich: http://tinyurl.com/IHG-surveys/online.php?p=2021_Sommerschule

Um eine produktive Diskussionsatmosphäre zu ermöglichen, müssen wir allerdings die Zahl der Teilnehmenden auf ca. 50 begrenzen. Nach Ablauf der Anmeldefrist werden wir uns zeitnah melden, ob eine Teilnahme möglich ist.

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Details zu den Referent*innen und Programmpunkten

Andrej Holm – Einführung in die politische Ökonomie des Wohnens

Andrej Holm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Stadt und Regionalsoziologie des Instituts für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Stadtentwicklung, Gentrification und Wohnungspolitik.

Christoph Trautvetter – Wem zahle ich eigentliche meine Miete? Rechercheworkshop zu Eigentümerstrukturen und Geschäftspraktiken

Anhand konkreter Immobilieneigentümer – vom börsennotierten Unternehmen über den Private Equity Fund bis zum Family Office – lernen die Teilnehmer*innen typische Eigentümerstrukturen und Geschäftspraktiken zu recherchieren und zu bewerten. Basierend auf einer umfangreichen Datenauswertung zum Berliner Immobilienmarkt soll außerdem über die Möglichkeiten und Grenzen datenbasierter Analysen diskutiert werden.

Christoph Trautvetter ist Projektleiter von „Wem gehört die Stadt“ der Rosa-Luxemburg Stiftung und Sprecher des Netzwerk Steuergerechtigkeit. Er begleitet seit mehr als 2 Jahren Mieter*innen, Journalist*innen und Politik auf dem Weg zu einem besseren Verständnis des intransparenten deutschen Immobilienmarktes und zu einer gerechteren Vermögensverteilung.

Tobias Bernet – Solidarität statt Rendite? Grundlagen einer gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft

Wie funktioniert Wohnungsbau und -verwaltung ökonomisch? Wie kommt eine Miethöhe im real existierenden Kapitalismus zustande und wie kann Wohnungswirtschaft auch nicht-profitorientiert betrieben werden? Der Vortrag erläutert wohnungswirtschaftliche Grundlagen und stellt dem Business as usual des Miet- und Eigentumswohnungsmarktes genossenschaftliche und andere gemeinwohlorientierte Modelle gegenüber.

Tobias Bernet befasst sich als Sozialwissenschaftler und Historiker mit Stadtentwicklung und Wohnungspolitik. Er ist unter anderem Mitgründer und Vorstand der Wohnungsgenossenschaft SoWo Leipzig eG sowie Vorstandsmitglied des Wohnbundes.

Inga Jensen – Von der (Re-)Kommunalisierung zur Vergesellschaftung des Wohnens

In dem Workshop wird zunächst ein Blick auf die Infrastrukturtheorie und deren Konzeptionalisierung von (Re-)Kommunalisierung geworfen. Daran anknüpfend soll diskutiert werden, inwiefern Wohnraum als Infrastruktur und somit auch Teil der Daseinsvorsorge verstanden werden kann. Anschließend wird die (Re-)Kommunalisierung von Wohnraum anhand des Berliner Beispiels diskutiert.

Hierbei stehen die in der Praxis zur Anwendung kommenden Instrumente – vom kommunalen Vorkaufsrecht über den gestreckten Erwerb bis hin zu Vergesellschaftungsperspektiven – sowie die sich hieraus ergebenden Herausforderungen und Zukunftsperspektiven im Vordergrund.

Inga Jensen ist Politikwissenschaftlerin und historische Urbanistin. Schwerpunkte ihrer Forschung sind die (Re-)Kommunalisierung und Dekommodifizierung von Wohnraum sowie die soziale Wohnraumversorgung. Aktuell promoviert sie an der Bauhaus-Universität Weimar zu Wohnraum als Infrastruktur und dessen (Re-)Kommunalisierung.

Jan Kuhnert – Vergesellschaftung und Demokratisierung von öffentlichen Wohnungsbeständen. Wie geht das konkret?

Wohnungsunternehmen im Besitz von Kommunen oder Ländern zeichnen sich nicht unbedingt durch starke Partizipationsstrukturen für die Mieter*innen aus. Wenn eine Gemeinwohlorientierung der öffentlichen Wohnungswirtschaft das Ziel ist, dann bedarf sie einer starken Mitbestimmung der Mieterschaft, auch um politische Fehlentscheidungen (wie die früheren Verkäufe) zu verhindern. Wie sollte eine aktive Beteiligungsstruktur organisiert werden? Welche Partizipationsrechte sind zu verankern? Gleichzeitig ist die oft bestehende faktische „Selbststeuerung“ dieser Unternehmen durchpolitische und zivilgesellschaftliche Gremien wieder an den öffentlichen Interessen auszurichten.

Auch die innere Organisation der Unternehmen steht zur Diskussion: Wie kann der klarere politische Steuerungsauftrag mit stärkerer dezentralisierter Verwaltung verbunden werden? Wie können Schritte in zur Beteiligung an Verwaltungsprozessen bis hin zur Selbstverwaltung von Häusern oder Siedlungen im Rahmen des öffentlichen Besitzes angegangen werden?

Jan Kuhnert ist geschäftsführender Gesellschafter der KUB Kommunal- und Unternehmensberatung GmbH (www.kub-beratung.de) in Hannover und kämpft seit Jahrzehnten für eine Gemeinnützigkeit im Wohnungssektor und Mieter*innenmitbestimmung in öffentlichen Wohnungsunternehmen. Er war von 1997 bis 2002 Geschäftsführer des hannoverschen Wohnungsunternehmen GBH und – als Folge des Mietenvolksentscheids in Berlin – 2016 bis 2021 Vorstandsmitglied der WVB Wohnraumversorgung Berlin – Anstalt öffentlichen Rechts.

Birgit Kasper – Liegenschaftspolitik: Entwicklung gestalten durch Konzeptverfahren

Konzeptverfahren sind eine Alternative zur üblichen Höchstpreis- oder Direktvergabe, insbesondere bei der Vermarktung von Liegenschaften durch die öffentliche Hand. Da es kein förmliches Verfahren ist, gibt es zwar bundesweit verschiedene Varianten, aber durchweg aufschlussreiche Erfahrungen damit. Am Frankfurter Beispiel wird erläutert, wie Konzeptverfahren funktionieren und welche Gestaltungsmöglichkeiten sie für eine nachhaltige Quartiersentwicklung bieten.

Birgit Kasper ist Stadtplanerin und Diplom-Verwaltungswirtin und hat längere Zeit in verschiedenen Bereichen der Stadtforschung gearbeitet. Seit 2009 leitet sie die Geschäftsstelle des Netzwerks Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen e.V. und ist im Vorstand des FORUM Gemeinschaftliches Wohnen e.V. – Bundesvereinigung.

Stephan Reiss-Schmidt – Gemeinwohlorientierte Bodenpolitik: Was können kommunale Akteure leisten?

Im einführenden Vortrag werden Grundzüge einer gemeinwohlorientieten Bodenpolitik als Voraussetzung für bezahlbares Wohnen und lebenswerte Städte skizziert. Neben dem dringenden Reformbedarf im Boden- und Planungsrecht, im Steuerrecht und im Umgang mit Immobilien von Bund und Ländern werden vor allem die Handlungsspielräume (und deren Grenzen) auf kommunaler Ebene näher beleuchtet. Im anschließenden Workshop wird eine bodenpolitische Agenda für eine (fiktive oder reale) Stadt erarbeitet. Dabei werden die Voraussetzungen und Wirkungen von Instrumenten wie aktive Liegenschaftspolitik, kooperative Baulandmodelle und städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen thematisiert.

Stephan Reiß-Schmidt studierte Architektur und Städtebau, er lebt als freier Berater und Autor in München. Derzeitiger Schwerpunkt ist die gemeinwohlorientierte Bodenpolitik, für die er sich in der Münchner Initiative für ein soziales Bodenrecht (http://www.initiative-bodenrecht.de/) und als Ko-Vorsitzender des Ausschusses Bodenpolitik der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung DASL e.V. (https://dasl.de/2018/11/26/ausschuss-bodenpolitik/) engagiert. Von 1996 bis 2017 war er Leiter der Stadtentwicklungsplanung bei der Landeshauptstadt München und davor 15 Jahre als Stadt- und Regionalplaner im Ruhrgebiet tätig.

Sarah Grönewald – Einführung in juristische Fragen für Nicht-Jurist/innen

In dem Workshop werden Grundlagen des Mietrechts vermittelt, wobei der Schwerpunkt des zweiten Teils in den neuesten gesetzlichen Regelungen und der aktuellen BGH-Rechtsprechung zu Mieterhöhungen sowie Modernisierungsmaßnahmen liegt.

Sarah Grönewald ist als Syndikusrechtsanwältin beim Mieterbund Darmstadt e. V. tätig und berät die Mitglieder des Vereins in Mietrechtsfragen. Außerdem beschäftigt Sie sich mit den Auswirkungen der Etablierung großer, börsennotierter Wohnungsunternehmen auf den Wohnungsmarkt in verschiedenen bundesweit agierenden Bündnissen innerhalb und außerhalb des Mieterbundes.

Institut für Humangeographie der Goethe-Universität Frankfurt