Videoüberwachung im Allerheiligenviertel hat Kriminalität nicht reduziert, sondern lediglich verdrängt

erstellt von dieDatenschützer Rhein Main — zuletzt geändert 2018-11-06T10:58:43+01:00
Zu dieser Bewertung kommt der für die Frankfurter Alt- und Innenstadt zuständige Ortsbeirat 1.

In einer Anregung vom 18.09.2018 (OA 303) an Stadtverordneten und Magistrat unter dem Titel “In der Allerheiligenstraße ist es zu dunkel" fordern die Stadtteil-Parlamentarier: “Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen: Der Magistrat wird aufgefordert, im östlichen Abschnitt der Allerheiligenstraße die Beleuchtung zu verbessern.” Interessant die Begründung: “Seitdem die Kamera im Bereich der Breite Gasse installiert wurde, betrachten die Anwohnerinnen und Anwohner diesen Bereich als Angstzone, da sich die Dealerszene (auch) dorthin verlagert hat…”

Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill und Sicherheitsdezernent Markus Frank (CDU) haben Anfang Juni 2018 im Rotlichtviertel an der Kreuzung Allerheiligenstraße / Breite Gasse / Stoltzestraße eine neue Videoüberwachungskamera “eingeweiht”. Nur knapp zwei Monate später sahen sich die Grünen im Ortsbeirat 1 veranlasst, den oben zitierten Antrag an Stadtverordnetenversammlung und Magistrat auf den Weg zu bringen. Am 24.08.2018 wurde er in einer Sitzung des Ortsbeirats einstimmig beschlossen, d. h. auch mit den Stimmen aller Mitglieder CDU-Fraktion. Am 08.11.2018 steht dieser Antrag auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung.

Mitglieder der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main nehmen dazu wie folgt Stellung:

Roland Schäfer, freiberuflich tätig als Datenschutzbeauftragter und Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main stellte bereits bei der Installation der Kamera im Allerheiligenviertel fest: “Die Datenschützer Rhein Main verfolgen die zunehmende Installation von Videoüberwachungsanlagen in Frankfurt mit Bedenken. Damit wird das Recht angeschnitten, sich anonym und unbeobachtet im Frankfurter öffentlichen Raum zu bewegen. Eine Erweiterung der Überwachungsstandorte ist vor diesem Hintergrund ein fahrlässiger Umgang mit Bürgerdaten und mit Rechten von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern."

Walter Schmidt, seit mehreren Jahren aktiv in der Auseinandersetzung um die Überwachung des öffentlichen Raums und Mitglied der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, fragt angesichts der aktuellen Entwicklung: "Ob der Frankfurter Polizeipräsident und der Sicherheitsdezernent aus den Erfahrungen der Mitglieder des Ortsbeirats 1 etwas lernen werden? Es darf bezweifelt werden. Denn die Debatte um den Nutzen von Videoüberwachung wird von vielen ihrer Befürworter*innen postfaktisch geführt." Anders sei es nicht zu erklären, dass die Aussage eines aktuellen Forschungsberichts des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V., der im Auftrag der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen erarbeitet wurde, in der politischen und medialen Debatte um (Un-)Sinn und Nutzen von Videoüberwachung so gut wie unberücksichtigt bleibe. Die Quintessenz dieses Berichts laute: “Der wissenschaftliche Nachweis eines allgemein kriminalitätsreduzierenden Effekts der Videoüberwachung konnte bisher… nicht überzeugend geführt werden.” (Forschungsbericht S.24)

Und Jürgen Erkmann, Mitglied des Ortsbeirats 2 (Bockenheim/Westend) und der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main, fordert unter Verweis darauf, dass der Antrag des Ortsbeirats 1 zu den Folgen der Videoüberwachung auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung am 08.11.2018 steht, von den Stadtverordneten "eine offene und unvoreingenommene Debatte darüber, was die Videoüberwachung des öffentlichen Raums leisten kann und was nicht." Denn, so Erkmann: "Wir beobachten mit Sorge, dass das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung immer mehr unter die Räder kommt; durch ausufernde Videoüberwachung, durch Telekommunikationsüberwachung und Vorratsdatenspeicherung, durch Ausbau der Überwachungsrechte von Polizei und Geheimdiensten. Das ist eine Gefahr für Demokratie und Bürgerrechte."

Pressemitteilung, dieDatenschützer Rhein Main, 5.11.2018