Zum Treffen der EU-Innenminister am 8. Oktober

erstellt von Pro Asyl — zuletzt geändert 2019-10-09T17:32:03+01:00
PRO ASYL fordert umfassenden Rettungsplan:

Evakuierung aus Libyen, staatliche Seenotrettung und eine Verteilung aller Bootsflüchtlinge

Bundesinnenminister Seehofer will das kommende EU-Innenministertreffen in Luxemburg nutzen, um mehr Staaten für einen zeitlich befristeten »Notfall-Mechanismus« zu gewinnen. Auf einem vorangehenden Mini-Treffen auf Malta am 23. September haben vier Mitgliedstaaten sich auf einen solchen Mechanismus verständigt, der schlussendlich aber nur auf wenige hundert Betroffene anwendbar sein wird. Ein wichtiger Aspekt der Einigung von Malta ist zwar, dass es vorab freiwillige Aufnahmezusagen von EU-Staaten geben soll und dies nicht pro Schiff jedes Mal neu verhandelt wird. PRO ASYL kritisiert diesen Vorschlag aber als absolut nicht ausreichend und fordert einen umfassenden Rettungsplan, um das Sterben und das Leid der Flüchtlinge im Mittelmeer zu beenden. Dazu gehören als Sofortmaßnahme, die Evakuierung aus Libyen, die Schaffung eines EU- Seenotrettungsdienstes, eines  Solidarmechanismus für alle Bootsflüchtlinge, auch der in Griechenland, Zypern, Malta, Angekommenen und das Ende der menschenverachtenden Kooperation mit der libyschen Küstenwache.  

Alle Forderungen und Argumente sind in unserem Positionspapier zu finden.

Angesichts der dramatischen Situation auf den griechischen Inseln und der überhaupt nicht wahrgenommenen Situation auf Zypern fordert PRO ASYL als Sofortmaßnahme ergänzenden zu dem auf Dauer angelegten Rettungsplan:

- Die Ausdehnung der Maltag-Vereinbarung auf alle Bootsflüchtlinge. Das heißt: Der prozentuale Aufteilungsschlüssel muss auch für Griechenland und Zypern angewandt werden.

- Die Aufnahme der rund 4000 unbegleiteten Minderjährigen aus Griechenland und Zypern durch andere EU-Staaten.

- Die Verlängerung der 3-Monatsfrist bei der Familienzusammenführung nach der Dublin-Regelung. Wenn der Zugang zum Rechtsstaat außer Kraft gesetzt ist, darf dies nicht den Familienangehörigen angelastet werden.

Hintergründe, Zahlen und Fakten:

Auf Malta gab es nur eine Minilösung

In der Absichtserklärung der vier willigen Staaten  heißt es, der vorläufige Solidarmechanismus beziehe sich auf diejenigen, die auf hoher See aus Seenot gerettet wurden. Das Problem: Diese Beschränkung klammert die meisten der in Europa ankommenden Schutzsuchenden aus. In Italien kommen 85 Prozent der Schutzsuchenden selbstständig aus Tunesien und vereinzelt auch aus Libyen an. Die Ankünfte in Italien und Malta machen tatsächlich nur rund 13 Prozent der Ankünfte über den Seeweg in Europa allgemein aus – der Großteil kommt in Griechenland, gefolgt von Spanien an (eine Übersicht zu Ankünften in Europa findet sich hier). Folglich handelt es sich nur um einen Bruchteil der Menschen, die an Europas Küsten ankommen. In der Malta-Erklärung wird die »besondere Belastung« der Mittelmeeranrainerstaaten anerkannt. Ein Solidaritätsmechanismus müsste entsprechend auch alle Bootsankünfte umfassen, was allerdings nicht enthalten ist. PRO ASYL verlangt deshalb ein Umverteilungsprogramm für alle Bootsflüchtlinge – auch der in Griechenland und Zypern gestrandeten.

EU- Seenotrettung jetzt!

In dem gemeinsamen Papier findet sich kein Hinweis auf ein Seenotrettungsprogramm der EU – nur die Luftraumüberwachung im südlichen Mittelmeer soll ausgebaut werden. Stattdessen wird weiterhin auf die Kooperation mit der »libyschen Küstenwache« gesetzt.

PRO ASYL fordert: Evakuierung aus Libyen!

Schutzsuchende müssen umgehend aus Libyen evakuiert werden, die EU muss hierfür genügend Resettlement-Plätze bereitstellen. Denn: In Libyen sind Schutzsuchende schwersten Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Ein Bericht der EU-Ratspräsidentschaft vom 04. September 2019 zeigt: Für die libysche Regierung, dem Partner der EU, ist die Internierung von Schutzsuchenden ein profitables Geschäft.

In den libyschen Haftlagern kommt es zu Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigungen. Um mit ihnen noch mehr Geld zu verdienen, werden Schutzsuchende von Milizen vollkommen entrechtet. Dies wurde bereits in einem Sicherheitsbericht über Libyen des Europäischen Auswärtigen Dienstes vom April 2018 festgehalten.

Nach dem erneuten Bürgerkriegsausbruch sind Schutzsuchende zusätzlich Risiken ausgesetzt, in Kriegshandlungen involviert zu werden oder zwischen die Fronten zu geraten. Am 02. Juli 2019 wurden bei einem Luftangriff auf Tripolis 35 Schutzsuchende in einem Lager im Vorort Tajoura getötet.

Trotz der verheerenden Situation verlaufen die Evakuierungen aus Libyen schleppend.  Insgesamt wird die Anzahl von Schutzsuchenden in Libyen auf 125.000 Menschen geschätzt. 48.122 Personen wurden bisher vom UNHCR registriert. Lediglich 3.926 Menschen wurden bisher aus Libyen in ein »Emergency Transit Centre« in den Niger oder nach Italien und Rumänien evakuiert. Von den 2.913 Evakuierten im Niger warten immer noch 1.096 Personen auf ihre Umsiedlung in eines der Resettlement-Aufnahmeländer.

Am 10. September 2019 wurde ein weiterer Evakuierungsplan mit Ruanda verkündet. 500 Schutzsuchende sollen aus Libyen in das zentralafrikanische Land evakuiert werden, die ersten 66 Personen wurden noch im September ausgeflogen.

Während es zu begrüßen ist, dass Schutzsuchende aus Libyen herausgeholt werden, ist vollkommen unklar, welche Perspektiven sie in Ruanda haben.


Neue Koalition der Menschlichkeit und Solidarität

PRO ASYL fordert alle EU Staaten auf sich an einer »Koalition der Aufnahmebereiten«, zu beteiligen.  Die Schaffung einer europäischen Seenotrettung duldet keinen Aufschub mehr. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat die EU aufgefordert, eine neue staatliche Rettungsmission im Mittelmeer zu starten.

Dem Bundesinnenminister empfehlen wir, die wichtigsten Akteure einer neuen Koalition der Aufnahmebereiten nicht länger zu ignorieren: In Deutschland alleine haben sich über 90 Kommunen zum »Sicheren Hafen« und damit zur Aufnahme von Schutzsuchenden bereit erklärt. Eine neue Koalition der Menschlichkeit und Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme wird maßgeblich getragen von den Städten und Kommunen in Deutschland und Europa.

Pro Asyl, Presseerklärung, 06. Oktober 2019