Die Bärenfalle. LOBBY in der Krise

Geschäftsführer der LOBBY für Wohnsitzlose und Arme nimmt Stellung zur wirtschaftlichen Lage der GmbH.

Insolvenz bezeichnet die andauernde Unfähigkeit eines Wirtschaftssubjekts, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Bei akuter Zahlungsunfähigkeit und/ oder Überschuldung fordert der Gesetzgeber mit gutem Recht vom Bankrotteur, er möge die Finger heben und diesen Umstand bekannt geben.

Am 8. Februar dieses Jahres habe ich genau das namens und im Auftrag der Betriebsgesellschaft getan. Der zwischenzeitlich vorliegende Bericht des vom Insolvenzgericht bestellten Verwalters belegt nun, dass die dabei zugrunde gelegten und von uns veröffentlichten Summen und Salden rechnerisch und sachlich korrekt waren.

Wozu benötigt ein gemeinnütziger Verein überhaupt eine Betriebsgesellschaft im GmbH-Format? Das deutsche Steuerrecht sieht beispielsweise nicht vor, dass arme und weniger arme Mitbürger sich der gleichen Essensausgabe bedienen. Wird also – wie im LOBBY-Restaurant – das gleiche Essen, gleichermaßen hungrigen, jedoch unterschiedlich begüterten Bürgern zu differenzierten Preisen angeboten, entfällt beim subventionierten Mahl die Umsatzsteuer. Davon ist der als gemeinnützig anerkannte Verein deshalb befreit. Überschreitet ein Projekt jedoch den Charakter einer mildtätigen Suppenküche und zielt auf die Integration der von permanenter Spaltung bedrohten Gesellschaft, wird ihm im Zweifelsfall die Gemeinnützigkeit entzogen. Er ist deshalb gut beraten, seine Aktivitäten betriebswirtschaftlich in unterschiedlichen Rechtsformen abzuwickeln. Darüber hinaus gilt: Ein privater Verein, dessen Wirtschaftstätigkeit ein Gesamtvolumen von mehr als 1,5 Mio Mark im Jahr überschreitet, wird kaum noch ein engagiertes Mitglied finden, das für dieses Umsatzvolumen im Zweifelsfall mit seinem Privatvermögen haftet.

Die kluge Wirtschaftsordnung der Republik sieht deshalb gerade die Einrichtung einer juristischen Person mit beschränkter Haftung, der „kleinen Aktiengesellschaft“ vor. Diese Betriebsgesellschaft wird dann vom Verein mit bestimmten Tätigkeiten beauftragt, die, da sie wohlfahrtlich orientiert sind, selbstverständlich nur Geld kosten und keine Rendite erlauben. Das notwendigerweise permanent entstehende Defizit, wird dann als bilanzierte Unterdeckung der GmbH am Jahresende aus Vereinsmitteln ausgeglichen.

Das seinerzeit alternativlose Konstrukt hat jedoch einen Geburtsfehler: Während die Aufwendungen der GmbH kontinuierlichen Fälligkeitsdaten folgen, generiert der Verein seine Erträge (Spenden und Sponsorengelder) zyklisch. Um im fortlaufenden Geschäftsbetrieb der GmbH Einnahmen und Ausgaben auch nur annähernd kompatibel zu gestalten, bedarf es einer akribischen doppelten Buchführung, aktueller Bilanzen und eines restriktiven Haushalts.

Eben dies ist dem ehemaligen Geschäftsführer der LOBBY-GmbH, Kurt Schick-Grosch, im Jahr 1999 nicht mehr gelungen: Die Dokumentation des Geschäftsverlaufs erfolgte hochgradig unprofessionell. Außenstände wurden nicht eingetrieben und ungedeckte Investitionen getätigt. Folge war jene Zahlungsunfähigkeit im Februar 2000, die bereits sechs Monate zuvor vom aufmerksamen Vereinsvorsitzenden Jochen Meurers ermittelt und zum Gegenstand von Krisengesprächen mit der politischen Administration dieser Stadt wurde. Hilfszusagen erfolgten – und wurden nicht eingehalten, budgetierte Haushaltstitel eingefroren. Die politische Bärenfalle schnappte zu – und drinnen saß ein illustrer Club von Kommunalpolitikern. Als „Bärenfalle“ bezeichnet die technische Wertpapieranalyse ein Verkaufssignal im Aktien- und Derivatenmarkt, das sich im Nachhinein als falsch erweist. Der Bär spekuliert auf fallende Kurse und verliert in der Konsequenz gern mal eine Pfote.

Altschulden? Selbstverständlich gab es die. Eine halbe Mio Mark! Dass diese auf dem Girokonto zu Buche stand, ist letztlich ein Problem der Bankenaufsicht. Dass es sie überhaupt gab, dafür haben alle Verantwortlichen der LOBBY gemeinsam ihren politischen Kopf hinzuhalten.

Auch dies ist nicht erst dem Insolvenzbericht zu entnehmen, sondern wurde allzeit öffentlich von den Auguren der LOBBY vertreten: Der Laden hatte zu keiner Zeit das Geld, das eigentlich nötig gewesen wäre, um das in Bewegung zu setzen, was er über Jahre hinweg erfolgreich inspiriert und betrieben hat ...

Auf den Hochglanzseiten der traditionellen Wirtschaftspresse bezeichnet man exakt das gleiche Verhalten zwischenzeitlich als Ergebnis einer „ebenso mutigen, wie risikobewussten Unternehmensgründungskultur“, der die wirtschaftspolitischen Muezzins aller Parteien inbrünstige Anrufungen widmen. Konkret: Die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen der insolventen GmbH waren bis ins Jahr 1998 wesentlich besser, als die eines Großteils jener vielbeklatschten Technologiefirmen im „Neuen Markt“ mit Börsenaspiration oder gar -notierung.

Die „Hängt-ihn-höher-Schreie“ einiger selbst ernannter Wirtschaftsprüfer mit Parteibuch sind unter diesem Aspekt nur als widerlich und bigott einzustufen ...

Unter Bezug auf „Brot für die Welt“ weiß die Financial Times Deutschland aktuell zu berichten, dass im Nirwana der Deregulierer – in den USA – derzeit 31 Mio Menschen hungern. Welch ein Markt! Dazu noch mit ungeahnten nationalen und globalen Wachstumserwartungen.

Da kommt selbst in der Buchhaltung vorsichtiger Optimismus auf. Nicht zuletzt keimt da die Hoffnung, dass Finanzpolitiker aller Parteien sich zeitnah darin übertreffen, das Rating unseres kleinen, sozialen Start-Ups, auch bei anhaltender Volatilität (Schwankungsbreite von Kursen. Bei starken Kursausschlägen hat eine Aktie eine hohe Volatität. Für den Anleger bedeutet das die Chance auf schnelle und hohe Kursgewinne, aber auch das Risiko ebenso schneller Verluste. Red.) , von „Verkaufen“ zumindest auf „Halten“ zu setzen.

leicht gekürzt aus: lobster Juni/Juli 2000, Rainer Lehmann, Geschäftsführer der LOBBY GmbH, udi

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