BigBrotherAwards 2005

<p>Die Big Brother Awards bringen die Feinde des Datenschutzes dort hin, wo sie nicht sein wollen: Im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit.Lifetime

Die unglücklichen Gewinner:

Lifetime
Otto Schily, ehemaliger Bundesminister des Inneren
Aktuell für die undemokratische Einführung des biometrischen Reisepasses, dessen Technik unausgereift und unsicher ist und der zu einer erkennungsdienstlichen Behandlung der gesamten Bevölkerung führt.
Otto Schily erhält den Preis auch für sein "Lebenswerk", nämlich für den Ausbau des deutschen und europäischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte und für seine hartnäckigen Bemühungen um die Aushöhlung des Datenschutzes unter dem Deckmantel von Sicherheit und Terrorbekämpfung.

Wirtschaft
Die Saatgut Treuhand Verwaltungs GmbH, vertreten durch Geschäftsführer Dirk Otten
Für Datensammlung über Bauern; Verklagen von mehreren tausend auskunftsunwilligen Landwirten; Beschaffung der Kundendaten von Genossenschaften und verdeckte Testeinkäufe bei Bauern. Die Bauern werden von der Saatgut Treuhand verdächtigt, Kartoffeln oder andere Feldfrüchte aus ihrer eigenen Ernte zur Aussaat im nächsten Jahr zu verwenden.
Für den Aufbau einer zentralen Kontrollstruktur zum Eintreiben der sogenannten Nachbaugebühren im Dienste der Saatgutindustrie.

Behörden Verwaltung
Regierung des Landes Niedersachsen, vertreten durch den Ministerpräsidenten Herrn Christian Wulf
Für die Zerschlagung der Datenschutzaufsicht in Niedersachsen. Die Aufsicht über den Datenschutz in der Wirtschaft soll ab 1.1.2006 dem niedersächsischen Innenministerium zugeordnet werden. Dies konterkariert das jüngst von der EU-Kommision gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren wegen Missachtung der EU-Datenschutzrichtlinie. Die EU-Richtlinie fordert völlige Unahängigkeit der Datenschutzaufsicht.

Kommunikation
Generalstaatsanwaltschaft des Landes Schleswig-Holstein, vertreten durch Erhard Rex
Für die großflächige Fahndung nach Zeugen (die wie Verdächtige behandelt wurden) mittels Handy-Ortung. Es handelt sich um die erste Funkzellen-Massenabfrage -- Mobilfunkunternehmen wurden zur Herausgabe sämtlicher Verbindungsdaten einer Region gezwungen. Die Einsicht in die zugehörigen Akten wurde den Datenschützern des Landes Schleswig-Holstein, die den Fall prüfen wollten, verweigert.

Technik
Videoüberwachung allerorten -- diverse Kandidaten Der BigBrotherAward 2005 in der Kategorie Technik geht an einige ganz eifrige Überwachungsfetischisten für die schleichende Degradierung von Menschen zu überwachten Objekten und der Verharmlosung der Folgen von flächendeckender Überwachung.

Verbraucherschutz
WM-Organisationskomittee des DFB, vertreten durch Franz Beckenbauer
Für die inquisitorischen Fragenbögen zur Bestellung von WM-Tickets, für die geplante Weitergabe der Adressen an die FIFA und deren Sponsoren und für die Nutzung von RFID-Schnüffelchips in den WM-Tickets und damit den Versuch, eine Kontrolltechnik salonfähig zu machen zum Nutzen eines WM-Sponsors (RFID-Hersteller Philips).

Politik
Der Hessische Minister des Inneren, Volker Bouffier
Für das "präventive" Orten und Abhören von Mobiltelefonen; für die DNA-Analyse bei Kindern unter 14 Jahren, die eine Straftat begangen haben zu deren zukünftiger Strafverfolgung; für die Befugnis der hessischen Polizei, Kfz-Kennzeichen auch ohne Straftatverdacht zu scannen und für den Einsatz von Videoüberwachung bei Personenkontrollen.

Regionalpreis
Grundschule Ennigloh bei Bünde
sowie die Volksbank Bad Oeynhausen Herford eG und die Sparkasse Herford Für die Weitergabe der Namen von Schulanfängern an die genannten Geldinstitute zum Zwecke der Werbung ("Startkonto") ohne Einwilligung der Eltern.

Warum "Oscars" für Datenkraken
Handys sind heute allgegenwärtig. E-Mails und die Suche nach Informationen und Dienstleistungen im Internet sind selbstverständlicher Teil unseres Alltags. Aber wer weiß schon, dass Handy-Standorte minutiös gespeichert werden, dass E-Mails leicht von Unbefugten mitzulesen sind und dass unerwünschte Werbung noch das Harmloseste ist, was denjenigen zustoßen kann, die unbekümmert Datenspuren hinterlassen. Vom vorsichtigen, "mündigen Verbraucher" ist wenig zu sehen.

Hier greifen die BigBrotherAwards ein. Es geht nicht darum, erst zu reagieren, wenn ein konkreter Missbrauch von Daten passiert ist. Aktuelle Entwicklungen von der flächendeckenden Videoüberwachung über Auswertung von Nutzerprofilen bis hin zum Adresshandel müssen frühzeitig analysiert und bekämpft werden, bevor die Privatsphäre ausgehebelt wird. Das bedeutet, die Verbraucherinnen und Verbraucher zu informieren, was mit ihren Daten geschieht - denn diejenigen, die vom Missbrauch profitieren, werden das ganz sicher nicht tun.

Die Big Brother Awards bringen die Feinde des Datenschutzes dort hin, wo sie nicht sein wollen: Im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Konkrete Beispiele zeigen auf, wie die Gegenseite denkt, arbeitet und vertuscht. Die BigBrotherAwards garantieren ihnen seit 2000 Spitzenplätze und Schlagzeilen in den Medien, die sie garantiert nicht haben wollen.

Verdatet und verkauft: die Demokratie
Es geht nicht nur um die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen, sondern um die Sicherung des demokratischen Rechtsstaates: Ein Mensch, der ständig bespitzelt, registriert, und von speziell auf ihn abgestimmter Werbung gegängelt wird, verändert mit der Zeit sein Verhalten. Er soll zum durchschaubaren, beliebig manipulierbaren Objekt derjenigen degradiert werden, die seine Daten benützen. Damit werden Grundprinzipien unserer Verfassung - die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit - beschädigt.

Wer sich überwacht und ausspioniert fühlt, nimmt möglicherweise andere von der Verfassung garantierte Rechte wie freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit nicht mehr in Anspruch. So zerstört der Verlust der informationellen Selbstbestimmung die Bereitschaft zur Engagement und Teilnahme an der Gesellschaft. Damit geht der Gemeinschaft eine Vielfalt von Ideen, Meinungen und Talenten verloren.

Hier geht es also keineswegs nur um private Bedürfnisspielräume, die jeder für sich selbst aushandeln kann. Zur Disposition stehen zunehmend Grundrechte, die nicht verhandelbar sind, sondern unverzichtbar für Gemeinwohl und den Fortbestand der Demokratie.

Diese Schlussfolgerungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits im sogenannten "Volkszählungsurteil" vom 15. Dezember 1983 ausdrücklich benannt:
"Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffende Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist."

BigBrotherAwards verleihen heißt: Frühzeitig einschreiten, Bürgerrechte schützen, Demokratie stärken - und Datenkraken gemeinsam stoppen, bevor sich der Einzelne allein durch alle Instanzen klagen muss.

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Repression