Börsenöffnung an Himmelfahrt

Widerstand von Gewerkschaften und Kirchen

Über tausend Leute beteiligten sich am Himmelfahrts-Feiertag auf dem Frankfurter Börsenplatz an der Protestaktion von Gewerkschaften und Kirchen gegen die erste Öffnung der Frankfurter Börsen an einem Feiertag. Mit Musik, Reden und Spielen für die Kleinen demonstrierten sie alternative Feiertagsbeschäftigung. Händler und Makler, die sichtlich unwillig zur Arbeit kamen, mussten morgens erst eine Mauer aus Feiertagsbausteinen durchbrechen. Bulle, Bär und der entflohene Dax wurden in den Protest einbezogen. In der Börse langweilten sich derweil die Beschäftigten, denn das Geschäft war äußerst flau. Die Wirtschaftsjournalisten, deren Arbeitstag durch die Feiertagsarbeit und den Abendhandel der Börse selbst verlängert wurde, berichteten ausgesprochen positiv über die Proteste. Bis zum Fronleichnams-Feiertag sollen jetzt 40.000 Protestkarten an Bundeskanzler Schröder geschickt werden.

Seit dem Euro-Einführungsgesetz vom Mai 1998 gilt der neue § 10 (4) Arbeitszeitgesetz, wonach an allen in Europa uneinheitlichen Feiertagen die Beschäftigung von Arbeitnehmern zugelassen wurde. Einzig die PDS stimmte damals gegen die Gesetzesänderung. Begründet war sie mit einem vorgeblichen Konkurrenznachteil deutscher Banken im Eurogeldhandel nach Einführung des Euro zum 1.1.1999.

In allen europäischen Ländern werden zwischen acht (Großbritannien) und dreizehn (Griechenland) Feiertage gefeiert, wobei die BRD mit neun Feiertagen eher am unteren Ende der Skala liegt. Die Zielsetzung war also nicht die Abwendung eines Konkurrenznachteils, sondern die Schaffung von Vorteilen für deutsche Finanzkonzerne einschließlich der Finanzabteilungen aus Handel und Industrie gegenüber ihren europäischen Konkurrenten.

Dieses Gesetz bedeutet den Einstieg in die gesetzliche Abschaffung fast sämtlicher Feiertage, da nur der erste Weihnachtsfeiertag sowie das Neujahrsfest in allen Ländern der europäischen Union gemeinsam begangen wird. Von der Freigabe des Feiertages für Kauf und Verkauf von Geld und Kapital zum Kauf und Verkauf anderer Waren sowie deren Produktion ist kein weiter Weg. Die Callcenter der Handelshäuser arbeiten eh schon mit Sondergenehmigungen der Landesregierungen.

Europäischer Widerstand gegen deutsche Euro-Träume
Am 1. Juni, dem Feiertag Christi Himmelfahrt, trat mit der geplanten Öffnung der Frankfurter Wertpapierbörse für den Börsenhandel die Auseinandersetzung um die Erhaltung der Feiertage in Europa mehr als zwei Jahre nach Verabschiedung des Gesetzes in ein neues Stadium. 1999 öffneten die deutschen Großbanken am Karfreitag, Ostermontag, 1. Mai, Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, 3. Oktober, am 24. Dezember (tariflicher Bankfeiertag) und am 2. Weihnachtsfeiertag zum ersten Mal ihre Geld- und Devisenhandelsabteilungen sowie die nachgeordneten Abwicklungsbereiche.

Die Finanzakteure in den anderen europäischen Ländern dachten aber nicht daran, gerade an diesen Tagen die Supergeschäfte mit den deutschen Großbanken zu tätigen. Die Tagesumsätze sanken am Karfreitag auf ca. 10% eines normalen Werktages, am Ostermontag auf 1%. Außerdem wurde – auch mitinitiiert durch die Gewerkschaft HBV – in vielen europäischen Ländern die Kritik an diesem Coup der deutschen Großbanken laut. Für Frankreich kam es nicht in Frage, den 14. Juli für den Börsenhandel zu opfern, die Londoner City verteidigt zäh ihre Bankfeiertage. Die Schweiz, kein EU-Mitglied, aber im Finanzgeschäft nicht unbedeutend, denkt bisher nicht daran, auch nur einen einzigen ihrer Feiertage zu schlachten.

Mit der geplanten Börsenöffnung an Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam (Feiertag in Hessen) und am 3. Oktober soll das Feiertagsstreichungsprojekt jetzt wieder richtig in Fahrt kommen. Der Wertpapierhandel soll überhaupt erst die Kapitalmengen bewegen, die ein wesentlicher Anlass des Geld- und Devisenhandels sind. Auf ihren Feiertag verzichten sollen deshalb mehrere tausend Bankangestellte vor allem am Finanzplatz Frankfurt.

Längere Arbeitszeiten als Zugabe
Ab 2. Juni wurden zudem die Handelszeiten der Börse von derzeit 8.30 Uhr bis 17.30 Uhr auf 9 Uhr bis 20 Uhr verlängert, was Schichtarbeit oder verlängerte Arbeitstage für viele Angestellte in der Wertpapierabwicklung bedeutet. Ab 2001 ist eine Verlängerung auf 22 Uhr in Planung. All dies hat den bei der Gesetzeseinführung lauen Protest jetzt erst richtig auf Touren gebracht.

Arbeitnehmer, Gewerkschaften und Kirchen gemeinsam aktiv
In Frankfurt hat sich ein Bündnis der Verdi-Gewerkschaften mit den evangelischen und katholischen Kirchen gebildet. Ein Arbeitskreis von Betriebsräten aus den betroffenen Banken trifft sich seit drei Monaten und stimmt die Mindestforderungen gegen Feiertags- und Schichtarbeit ab. Überdies werden Verfassungsklagen vorbereitet und am 1. Juni startete eine Postkartenaktion an Kanzler Schröder. Überdies wurde das staatliche Amt für Arbeitsschutz zum Handeln aufgefordert.

Feiertags-, Schicht- und Samstagsarbeit umstritten
Nicht nur, daß starke rechtliche Zweifel an der Zulässigkeit der Börsenöffnung bestehen, Banken und Börsen wollen auch die Usance, dass Börsengeschäfte zwei Tage nach Abschluss abzuwickeln sind, auf den Feiertag übertragen. Allein deswegen muss ein große Zahl von Beschäftigten am Feiertag arbeiten. Nach § 193 BGB brauchen aber Leistungen, deren Fälligkeit auf einen Sonn- oder Feiertag fällt, erst am kommenden Werktag erfüllt werden. Man darf gespannt sein, ob das Amt seine gesetzliche Pflicht erfüllt oder vor der vorgesetzten Sozialministerin Mosiek-Urbahn, CDU, kuscht.
gst