Die Deutschen – ein Volk von Antifaschisten?

<p>Gemeinsamer Redebeitrag der Antifaschistischen Gruppe Frankfurt/M und des Antifa-Referats an der Fachhochschule auf der Anti-Nazi-Kundgebung am 28.09.00 in Frankfurt am Main.<p>

Frankfurt/M. 28. September 1985: (Auf den Tag genau heute vor 15 Jahren.)
Auf einer Demonstration gegen die NPD in Frankfurt/M. wird Günter Sare von einem Wasserwerfer der Polizei überrollt und getötet. Günter Sare mußte sterben weil die Polizei den Nazis die Straße frei prügelte. Die antifaschistischen Proteste in den darauf folgenden Tagen wurden verboten; in Frankfurt galt ein absolutes Demonstrationsverbot. Der Staat probte den Ausnahmezustand. (Wir denken es ist kein Zufall, dass dieser Jahrestag bei der heutigen Demonstration vergessen wurde.)

16. September 2000:
In Berlin wird eine antifaschistische Gedenkdemonstration für den von Nazis ermordeten Dieter Eich von der Polizei angegriffen und etliche Leute zusammengeschlagen.
In Neumünster schützt die Polizei einen Naziaufmarsch vor protestierenden AntifaschistInnen. Dabei wird eine regelrechte Jagd auf Migranten-Jugendliche und autonome AntifaschistInnen gemacht Das autonome Jugendzentrum wird attackiert, angeblich weil sich dort "Straftäter" aufhalten.

Gerade zur Zeit ist es wichtig festzuhalten: Heute wie vor 15 Jahren gelten als Straftäter diejenigen, die sich den Nazis in den Weg stellen.

Die Ministerpräsidentin von Schleswig Holstein, Heide Simonis (SPD) dankte der Polizei ausdrücklich für ihr Vorgehen in Neumünster. Sie hätte es ermöglicht, dass Bürger couragiert gegen Rechtsextremismus protestieren könnten. Während Bundesregierung und Bund der deutschen Industrie Zivilcourage gegen Nazis fordern wird gleichzeitig unmissverständlich deutlich gemacht, wo die Grenzen ernsthaften antifaschistischen Engagements liegen. Was außerhalb regierungsoffizieller oder staatlich subventionierter Veranstaltungen liegt, wird weggeprügelt.

Seit der Wiedervereinigung wurden in Deutschland mehr als 180 Menschen von Faschisten ermordet. Rassistische Überfälle und Naziaufmärsche sind im wiedervereinigten Deutschland zur Alltäglichkeit geworden. Die über Jahre praktizierte Verharmlosung der Nazis als desorientierte Einzeltäter läßt sich nicht länger aufrecht erhalten. Zu offensichtlich ist das Ausmaß des braunen Terrors; zu laut war die Detonation der Bombe gegen russische Juden in Düsseldorf - sie war auch im Ausland deutlich zu hören.

Wer dieser Tage Nachrichten hört oder liest, kann den Eindruck bekommen, bis auf ein paar Nazis sei ganz Deutschland - quasi über nacht - ein Volk von Antifaschisten geworden. Nach Jahren des Abwiegelns und Leugnens hört und liest mensch auf einmal Schlagzeilen wie diese: Bundesregierung macht Front gegen Rechts; Deutsche Industrie sagt rechtsextremem Terror den Kampf an; Hart durchgreifen gegen Rechts, schallt es selbst aus der bayerischen CSU-Zentrale. Deutschland einig Antifa ?!?

Doch sehen und hören wir genau hin! Wer sind sie, unsere frisch gewendeten antifaschistischen Kämpfer? Zum Beispiel jene aus der rot-grünen Bundesregierung.

Da haben wir den antifaschistischen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD):
Unermüdlich damit beschäftigt den Nazis das Wasser abzugraben. Das tut er, indem er einfach ihre Parolen übernimmt und in Politik umsetzt. Nach der Logik: ohne Ausländer keine Ausländerfeindlichkeit, sorgt er dafür, dass die europäische Festung noch stärker abgeschottet wird. Denn, so Otto Schily, die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht; das Boot ist voll.

Ein weiterer antifaschistischer Kämpfer: Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne):
Er führte deutsche Soldaten mit dem Schlachtruf "Nie wieder Auschwitz" in den ersten deutschen Angriffskrieg seit 1945. Er verglich die Vertreibung von AlbanerInnen aus dem Kosovo mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung nach Auschwitz und Hitler mit Milosevic. Die industriell organisierte Vernichtung von Millionen Menschen durch die NS-Faschisten relativierend und verharmlosend, half er maßgeblich mit, Deutschland vom Makel des größten Verbrechens in der Menschheitsgeschichte reinzuwaschen. Im Krieg gegen Jugoslawien setzte Rot-Grün um, was Ex-Kanzler Kohl Jahre zuvor formulierte: "Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen. Es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten." Deutschland führt wieder Krieg!

Auch der Bund der deutschen Industrie (BDI) bekennt sich neuerdings zum Antifaschismus. Nun ja, hatte man sich doch gerade erst Reputation im Ausland durch die Zahlung einer lächerlich geringen Summe an NS-ZwangsarbeiterInnen erkauft, da läßt man sich doch von ein paar Nazi-Schlägern nicht in die Suppe spucken. BDI-Hauptgeschäftsführer Ludolf von Wartenberg, der sich nun auch dem Kampf gegen Rechts verschrieben hat, hebt vor allen den wirtschaftlichen Nutzen der Ausländer hervor.

Was den BDI und auch die Bundesregierung wirklich stört: Die Nazi-Schläger unterscheiden nicht zwischen "nicht verwertbaren" AsylantInnen und "nützlichen" Green-Card-BesitzerInnen, und sie schaden dem Ansehen Deutschlands. Dabei hatte man sich doch gerade so erfolgreich um die Erledigung der NS-Vergangenheit bemüht. Dem gilt die Sorge von Regierung und Industrie, nicht den 180 von Nazis ermordeten Menschen.

Die Nazis sollen leiser werden. Die Eliten in Politik und Wirtschaft sorgen sich um den Standort Deutschland und auch die rot-grüne Basis will sich durch unbequeme Fragen nicht den Urlaub versauen lassen. Nazi-Schläger stören beim Aufbau der "Deutschland AG". Deshalb fordern sie: Wenn hier Ausländer geprügelt und ermordet werden, dann streng rechtstaatlich und ordentlich deutsch. In Abschiebeknästen, in Aufnahmelagern wie am Frankfurter Flughafen, an der deutschen Ostgrenze.

Machen wir uns doch nichts vor! Es gibt in diesem Land einen breiten rassistischen Konsens. Regierung und Opposition Industrie- und andere Verbände und auch die deutsche Mehrheitspopulation sind sich einig in ihrem Rassismus. Migranten und Migrantinnen werden Bürgerrechte weiterhin vorenthalten. Der Arbeitsmarkt ist nach rassistischen Kriterien gespalten. Zuerst die Deutschen, dann EU-Bürger und zum Schluss der ganze Rest. Flüchtlingen werden selbst die elementarsten Menschenrechte vorenthalten.

Die Nazis brauchen diesen rassistischen Konsens wie Fische das Wasser! "Nazis raus" reicht nicht. Wer die Nazis treffen will, muss diesen rassistischen Konsens angreifen. Nazis morden, der Staat schiebt ab. Es ist das gleiche Rassistenpack!

Und was wir nach 10 Jahren Pogromen und Menschenjagd, nach der x-fachen Verschärfung von Asyl- und Ausländergesetzen, etc.pp. wirklich nicht mehr hören können, ist die Parole "gegen Haß und Gewalt". Es reicht! Das Herz voll Haß geladen; für einen gewaltigen Widerstand gegen den rassistischen Terror auf der Straße und in den Behörden! Durchbrecht den rassistischen Konsens!

Antifaschistischer Widerstand ist notwendig und berechtigt. Wir fordern, Schluss mit der Kriminalisierung von AntifaschistInnen. Notwendig ist eine Amnestieregelung für alle die sich (gewaltfrei oder militant) gegen Neonazis zur Wehr gesetzt haben und dies auch weiterhin tun werden. Ihnen gilt unsere solidarische Unterstützung!

In Frankfurt steht demnächst ein Antifaschist vor Gericht wegen der Beteiligung an der (erfolgreichen) Blockade gegen die Versammlung von Horst Mahlers faschistischer "Bürgerbewegung für unser Land". Solidarisiert Euch und kommt zum Prozeß am Donnerstag, den 12. Oktober. Treffpunkt 9.00 Uhr am Haupteingang des Justiz Gebäudes E.