Eine Ansammlung elektronischer Signale

Oder: Wie eine Nötigung konstruiert wurde<br> Im März 2001 starteten Kein Mensch ist illegal und Libertad! ihre Mobilisierung gegen die Abschiebepraxis der Deutschen Lufthansa AG.

Ziel war, die Proteste auf das Internet auszuweiten und somit faktisch die erste virtuelle Demonstration zu organisieren. Am 20. Juni 2001, dem Tag der Hauptversammlung der Lufthansa-AG in Köln, beteiligten sich laut Anklageschrift der Frankfurter Staatsanwaltschaft 250 Gruppen und ca. 13.000 Einzelpersonen an der Aktion, um die Datenbanken der Buchungsserver der Lufthansa zu blockieren. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen öffentlichen Aufrufs zur Nötigung bzw. Nötigung..
Am 17. Oktober 2001 ließ sie eine Razzia bei Libertad! durchführen und insgesamt zehn Computer beschlagnahmen. Erst im März 2005 wurden die Rechner wieder herausgegeben, allerdings nicht vollständig bzw. beschädigt. Zwei Monate später begann der Prozess vor dem Frankfurter Amtsgericht, der nach zwei Verhandlungstagen mit einem skandalösen Urteil endete.
Erster Prozesstag am 16.06.2005
Stellvertretend für viele Abschiebungsgegner angeklagt war Andreas Vogel als Domaine-Inhaber der website http://Libertad!.de. Er wurde von RA Thomas Scherzberg verteidigt. Gleich zu Beginn wurde die Parteilichkeit der Richterin Wild offenkundig, indem sie mehrere Zuhörer wegen Störung mit Polizeieinsatz hinausverfrachten ließ. Ihre staatstragende Haltung hatte sie in der Vergangenheit schon bei der Verurteilung von Irakkriegsgegnern unter Beweis gestellt, die im Jahr 2003 die Air-Base blockiert hatten.
Zunächst begründete die Verteidigung, warum der Vorwurf der Nötigung oder gar der Gewalt völlig unzutreffend sei. Für virtuelle Demonstrationen bestehe insgesamt eine normative Regelungslücke, was auch für die Versammlungs- und Meinungsfreiheit gelte. Als Zeugen wurden eine Justiziarin der Lufthansa sowie ein Kriminalbeamter gehört. Die Justiziarin bezifferte den durch die Aktion verursachten Schaden auf ca. 42.000 Euro, ohne dies allerdings belegen zu können. Der zum Tatverlauf befragte Kriminalbeamte gab an, er habe diesen Vorgang zu den Akten genommen und keine Anzeige erstattet, da sie noch nicht geschehen war. Zum Straftatbestand wurde sie für ihn erst, als die Staatsanwaltschaft Anzeige erstattete.
Zweiter Prozesstag und Urteilsverkündung am  01.07.2005
Gleich zu Beginn lehnte die Richterin die von der Verteidigung am ersten Verhandlungstag gestellten Beweisanträge als bedeutungslos oder unerheblich ab.
Da das Ordnungsamt die Demonstration weder erlaubt noch verboten hatte und es auch nicht darum gegangen sei, Computersabotage in Form einer Datenveränderung zu betreiben, war die Rechtslage so gewertet worden, dass es sich bestenfalls um eine Ordnungswidrigkeit handeln würde. Es sei eine für die Öffentlichkeit bestimmte symbolische Aktion gewesen.
In ihrem abschließenden Plädoyer stellte die Staatsanwältin einen öffentlichen Aufruf zur Nötigung fest. Die Blockade sei im rechtlichen Sinne verwerflich gewesen. Zudem liege ein Missbrauch der Versammlungsfreiheit vor. Zwar sei unklar geblieben, wie hoch der Schaden war, aber unerheblich sei er nicht gewesen. Beantragtes Strafmaß: Geldstrafe von 20 Euro zu 90 Tagessätzen.
Die Verteidigung begründete ausführlich, warum es sich um keine Straftat handeln könne, weil nach Bekanntwerden der geplanten Blockade von niemandem Anzeige erstattet worden war. Auch von der Androhung eines empfindlichen Übels könne keine Rede sein, weil die Aktivisten keine Drohungen gegenüber der Lufthansa ausgesprochen hätten und kein präzisierbarer Schaden ermittelt worden sei. Auch Gewalt als Nötigungskriterium habe nicht vorgelegen. Er plädierte deshalb für Freispruch. Insgesamt sei die Tat durch die Abschiebepraxis der Lufthansa sogar geboten gewesen.
Dann verlas die Amtsrichterin das Urteil. Die Blockade sei im rechtlichen Sinne verwerflich, da ihre Opfer, Kunden und Lufthansa, für Abschiebungspraxis nicht verantwortlich seien. Nicht zuletzt ginge es hier nicht um die Wahrnehmung von Grundrechten im virtuellen Raum, sondern um eine Ansammlung vermittels elektronischer Signale. Tausende habe der Angeklagte in seine Straftat hinein gezogen. Aber da er nicht vorbestraft sei und Arbeitslosengeld II beziehe, werde er nur zu einer Geldstrafe von 10 Euro zu 90 Tagessätzen verurteilt.
Zusammen mit der Verteidigung kündigte Andreas Vogel an,  in Revision zu gehen.
 Rainer Deppe / Christa Sonnenfeld
gekürzt aus LabourNet Germany, 25.7.05
Schlagwörter
Repression