IG Farben demonstriert Kontinuität

Nur gut 100 Demonstranten erwarteten am 18.12.02 die Aktionäre der „IG Farben AG in Abwicklung“ in Frankfurt-Bergen. Darunter studentische Initiativen und solche aus dem Antifa-Bereich sowie Peter Gingold, der für die VVN-BdA sprach. Sie protestierten wieder für die Auflösung des einst größten Konzerns im nationalsozialistischen Deutschland. Im Zentrum der Forderungen: Die vollständige Verwendung des IGF-Vermögens zur Entschädigung der Zwangsarbeiter. Transparente forderten aber auch: „Dem antisemitischen Pack auf die Pelle rücken“ und zitierten mit „Deutschland denken heißt Auschwitz denken“ Adorno. Mehrere Demonstranten führten israelische Flaggen mit sich.

Kurz nach Beginn der Hauptversammlung protestierten etwa 25 bis 30 kritische Aktionäre im Saal selbst. Sie zeigten ein Transparent mit dem Text „Alle Jahre wieder: KZ-Profiteure beim Zocken“ und verlangten Rederecht, das nicht erteilt wurde. Statt dessen wurden sie von Angestellten eines privaten Wachdienstes zusammen mit Polizisten aus dem Raum gedrängt. Auf Veranlassung eines Ordners räumten die Beamten bei dieser Gelegenheit auch gleich noch einen Reporter des „Neuen Deutschland“ mit nach draußen, weil er trotz Aufforderung das Fotografieren nicht unterlassen habe. ... Der Journalist wurde mit Hausverbot belegt, auf Druck eines Einsatzleiters dann aber wieder zugelassen.
Doch nicht genug der Tatsache, dass sich die IG Farben wie ein Relikt aus einer anderen Zeit aufführt, ihre Liquidatoren (vergleichbar mit Geschäftsführern) reden auch genauso. Namentlich Volker Pollehn. Er vertritt etwa die Meinung, dass die IG Farben „eine der gewaltigsten Protestlawinen, die deutsche Unternehmen je erlebt haben, mit Anstand durchgestanden“ habe – der Mann weiß nicht nur nicht, wovon er spricht, sondern offensichtlich noch viel weniger, was unter Anstand zu verstehen ist. Immerhin ist der Realismus so weit gediehen, dass die Rückerlangung alten Ostvermögens (worunter Aktionäre vor einigen Jahren sogar noch „Vermögenswerte in Polen“ verstanden) inzwischen nicht mehr verfolgt wird.
Anders im sogenannten Interhandel-Komplex. Satte 2,2 Mrd. Euro fordert die IG Farben von der Schweizer Bank UBS. Dabei bestehen zwar sogar nach Firmenangaben keine rechtlich durchsetzbaren Ansprüche mehr, doch das hindert Pollehn nicht am obligatorischen Säbelrasseln: „Die UBS ist gut beraten, sich mit uns zu einigen, so lange das noch möglich ist, sie trägt sonst den Makel des Unrechts auf ihrer Stirn.“ Zugleich heißt es im Geschäftsbericht 2001, es werde angeblich geplant, die 2,2 Mrd. zur Entschädigung von Zwangsarbeitern verwenden. Eine Konstruktion, die schon seit einigen Jahren als windige Begründung für die Bemühungen in Sachen Interhandel herhalten muss. Der Gipfel derartiger Doppelmoral ist jedoch die Tatsache, dass die angeblich ausstehenden fehlenden Schweizer Milliarden stets als Alibi bemüht werden, um die lächerliche Summe von 250 000 Euro, mit denen die IG Farben-eigene Entschädigungsstiftung ausgestattet ist, zu legitimieren. Dass aus diesem Topf immer noch kein einziger ehemaliger Zwangarbeiter auch nur einen Cent gesehen hat, verwundert vor diesem Hintergrund kaum noch. Zum Vergleich: Die jährlichen Pensionsverpflichtungen für die ehemaligen Täter beziffert IG Farben auf 800.000 Euro.
2004, so die Planungen, soll der einstige Nazi-Konzern endgültig aufgelöst werden. Ob dies wirklich gelingt, steht allerdings in den Sternen, ebenso erscheint vorstellbar, dass der Konzern 2009 sein 70jähriges Jubiläum feiert. Neben dem Interhandel-Komplex ist auch der Verkauf der Immobilien und Grundstücke der IG Farben noch lange nicht in trockenen Tüchern. Da sogar die Gesellschaft selbst rechtlich durchsetzbare Ansprüche in Sachen Interhandel verneint und die Immobilien angeblich kurz vor dem Verkauf stehen, fragt sich eigentlich, mit welcher Begründung die Abwicklung sich noch bis 2004 hinschleppen soll. Sollte sich das ausgewiesene Abwicklungskapital bis 2004 ähnlich rasch wie zuletzt verringern (im Jahr 2001 sank es von 20,7 Mio. auf gut elf Mio. Mark, verursacht durch einen gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelten Betriebsverlust), wird es dann sowieso nichts mehr abzuwickeln geben ...

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