Polizeidarstellung zum 4. Mai in Frage gestellt

Zeugenaussagen ziehen Polizeidarstellung zum 4. Mai in Frage / Unzutreffende Aussagen der Polizeiführung vor dem Ausschuss für Sicherheit und Ordnung der Stadtverordnetenversammlung?

Im Zusammenhang einer Pressekonferenz, die am Freitag, 10. Mai, um 15 Uhr in der Frankfurter Katharinenkirche stattfand, wurden Zweifel an der polizeilichen Darstellung der Ereignisse laut, die sich auf die Nazi-Demonstration am 4. Mai im Frankfurter Ostend bezogen.

Die Polizei hatte erklärt, bei der umstrittenen Aktion, mit deren Hilfe der Neonazi Christian Worch, Anmelder und Versammlungsleiter der Nazi-Demonstration, im Bereich Ostparkstrasse gegen eine Straßenblockade von GegendemonstrantInnen "eskortiert" worden war, sei es nicht zur Anwendung polizeilicher Gewalt und schon gar nicht zu einem Schlagstockeinsatz gekommen.

Die BILD-Zeitung hatte dies, wie sich zeigt zu Recht, anders berichtet und von einem gewaltsamen Einsatz der Polizei berichtet. Die Autorin dieses Berichts, Maren Mende, war daraufhin ins Polizeipräsidium zitiert worden, wo ihr ein polizeiliches Video mit der entsprechenden Szene vorgeführt worden war, auf dem in der Tat kein Schlagstockeinsatz zu sehen war. Sie war aufgefordert worden, ihre Darstellung zu korrigieren. Aus den auf Video aufgezeichneten Bewegungen der polizeilichen Sondereinheiten aus Bayern konnte die BILD-Journalistin allerdings auf den Einsatz sogenannter MES-Schlagstöcke schließen, die auch in der Tat zur Ausrüstung der entsprechenden Einheit gehören.

Eine Reihe von schriftlich vorliegenden Zeugenaussagen wie auch von Aussagen Betroffener während der Pressekonferenz selbst bestätigten den Einsatz dieser allgemein für gefährlich eingeschätzten Polizeiwaffe, deren gezielter Einsatz gegen Rippen, Brustbein, Magen- und Genitalbereich bekannt und gefürchtet ist.

Damit steht fest: es gibt aufgrund der vorliegenden Zeugenaussagen und Berichte keinen vernünftigen Zweifel an der Tatsache, dass die Polizeikräfte im Bereich Ostparkstrasse entgegen ihrer Darstellung MES-Schlagstöcke eingesetzt hat, um Christian Worch kurz vor Beginn der Kundgebung auf dem Danziger Platz den Weg freizuräumen, wie von der Anti-Nazi-Koordination bereits während dieser polizeilichen Maßnahme berichtet und kritisiert worden war.

Damit stellt sich die Frage, ob Vertreter der Polizeiführung am 6. Mai vor dem Ausschuss für Sicherheit und Ordnung der Stadtverordnetenversammlung die Wahrheit gesagt haben, als sie behauptet hatten, es habe keine entsprechende Aktion der Polizei, schon gar keine Gewaltanwendung gegeben, als Christian Worch durch die Blockade der GegendemonstrantInnen Bereich im Ostparkstrasse "begleitet" worden sei.

Zusätzlich wurde ein weiteres Mal die Frage nach einer Liste von Personen aufgeworfen, die vor dem 1. Mai aus dem Hessischen Innenministerium in Umlauf gesetzt worden sein soll, und auf deren, wie verlautet, insgesamt 4 DIN A4 Seiten eine größere Zahl von Menschen verzeichnet sein sollen, die gemäß §32 HSOG (dem historischen "Schutzhaft"-Paragraphen) als AktivistInnen der Anti-Nazi-Bewegung im Vorfeld der Aktionen gegen die Nazi-Demonstration am 1. Mai Hausbesuche, Anrufe am Arbeitsplatz, Festnahme und/oder ähnliche Repressalien zu erwarten hatten, was in einer größeren Zahl von Fällen, wie berichtet wurde, auch tatsächlich geschehen sein soll.

Ein weiteres Mal wurde auch scharfe Kritik an der polizeilich angedrohten Verhängung eines Zwangsgeldes von € 5000,- gegen Radio X am 4. Mai geäußert, weil dieser Sender offenbar für den Geschmack der Polizei zu direkt über die Aktionen im Ostend berichtet hatte. Wie auch immer diese Maßnahme juristisch einzustufen sei, politisch handele es sich dabei um einen Fall von Zensur, der im Kontext der bereits bekannten Maßnahmen im Hessischen Rundfunk gegen die Journalistin Ulrike Holler vor dem 1. Mai sowie gegen die BILD-Zeitung nach dem 4. Mai zu sehen sei. Ähnlich wurde die berichtete Tatsache bewertet, dass noch während des 4. Mai die polizeiliche Pressestelle gegen aus dem Büro der Frankfurter IG Metall versandte Pressemitteilungen zum Verlauf der Aktionen im Ostend protestiert und deren Korrektur verlangt worden sei.

Angesichts dieser Art von Konflikten um die öffentliche Interpretation der Vorgänge am 1. und am 4. Mai bekräftigte die Anti-Nazi-Koordination ihren Willen, auch künftig eine offensive Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, und, wenn möglich, künftig eigenes Dokumentationsmaterial zur Verfügung zu stellen.

Abschließend wurde festgestellt: sieht man alle die genannten Aspekte im Zusammenhang, dann stellt sich die Frage nach der Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit des Kooperationswillens und der Kooperationsfähigkeit der Polizei mit den zivilgesellschaftlichen Kräften, die mit ihren jeweiligen Mitteln und vor Ort die demokratische Kultur dieser Stadt gegen Nazi-Demonstrationen verteidigen wollen.

Pressemitteilung, Anti-Nazi-Koordination Frankfurt am Main, 10. Mai 2002

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