WIe kam Aamir Ageeb ums Leben?

Stellungnahme von Claus Metz (IPPNW - Ärzte in sozialer Verantwortung) nach der Akteneinsicht in den Untersuchungsbericht der Staatsanwaltschaft Frankfurt zu Aamir Ageebs Tod (7. Dezember 2001)

Derzeitiger Kenntnisstand der Handlungen und Unterlassungen, die zur Erstickung Aamir Ageebs beim Abschiebeversuch am 28.5.1999 beigetragen haben.

1. Zur Ignoranz der Erstickungsgefahren:
a. Seit dem 7.12.98 wurde vom Polizeipräsidium Frankfurt aus "positional asphyxia" nach Information durch mich als erstickungsgefährliche Vorgehensweise hessenweit bekanntgemacht.

b. DER SPIEGEL vom 5.6.99 berichtet ausführlich in "Angst vor der Schande" (S.48) über lagebedingte Festnahme-Erstickungen und Ausbildungsmängel diesbezüglich.
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,25821,00.html

c. In der Zeitschrift der 'kritischen Polizisten' "UNBEQUEM" Dez/98 und März/99 wird ausführlich über lagebedingte Erstickungen und die diesbezügliche US-Polizei-Fachliteratur berichtet:"Spiel mir das Lied vom natürlichen Tod" (S.50 bzw. S.26).
http://www.comlink.de/cl-hh/r.borchers/dez98/tod1.htm
http://www.comlink.de/cl-hh/r.borchers/mar99/tod2.htm
d. Meine wiederholten Telefonate mit BGS-Sprecher Klaus Ludwig mit Hinweisen auf diese Veröffentlichungen werden von diesem in einem Rechtfertigungsschreiben an Innen-Staatssekretär Schapper entschuldigt, er habe 2 Jahre lang keine Zeit für ein Gespräch mit uns Ärzten gefunden und habe 1 Woche vor Ageebs Tod meine "nebenbei abgegebene(n) medizinische(n) Erklärungen nicht verstanden."

e. Seit Januar 98 wird von allen Abschiebe-BGS-Beamten eine Anweisung halbjährlich unterschrieben, die u.a. vorsah, dass bei Helmverwendung die Atmung permanent zu überwachen sei.

f. Der bis 1998 in Frankfurt zuständige Abschiebe-Ausbilder POK Scheferling lehrt die bei Ageeb angewandte Zwangsbückung des Oberkörpers auf die Oberschenkel als "bewusst" eingesetzte Maßnahme, einen Schübling durch Atemnot zu zwingen, seine in den Leisten versteckten Hände zum Fesseln herauszugeben.

2. Der bei Ageeb angewandte Erstickungs-"Overkill'":
a. Brustkorbeinengung durch zirkuläre Fesselung eines Klettbandes um den Brustkorb.

b. Einengung des unteren Brustkorbrandes durch zirkuläre Fesselung unter Einbeziehung der Unterarme, die nach hinten mit 4 miteinander verbundenen Plastikfesseln hinter dem Rücken zusammengezurrt und vor der Magengrube an den Handgelenken mit 2 Kabelbindern und 1 Klettband zusammengebunden wurden.

c. Zusätzlich werden die Hände bei erzwungener Rumpfbeugung, die nach einer Zeugin seit ihrer Sitzplatzeinnahme "im Prinzip immer" beibehalten wurde, mit erheblicher Hebelwirkung wie eine Nuss im Nussknacker zwischen Oberkörper und Oberschenkel in die Magengrube gepresst, so dass bei der rechtsmedizinischen Rekonstruktion die Atmung je nach Beugewinkel bis auf Null zurückging.

d. Zusätzlich scheint der Helmkinnbügel so heftig auf die beidseits je 3 erreichbaren obersten Rippen gepresst worden zu sein, dass diese entlang des Kinnbügelrandes 6-fach brachen und die obere Brustbeinverbindung eine "abnorme Beweglichkeit" erhielt.

e. Dabei scheint der Verschlussmechanismus des Helmes gegen die Halsvorderseite gepresst worden zu sein, so dass dort 6 geometrische Striemen entstanden sowie am Halsansatz ein 4 x 5 cm großer Bluterguss.

f. Zusätzlich war über Ageebs Beine und Arme zur Tarnung der Fesselung eine Decke gebreitet mit der Gefahr der Visierausschnitt-Abdichtung beim Hinabdrücken des Kopfes vom Vordersitz aus.

g. Zusätzlich wurde nach Aussage der beiden nächstsitzenden Zeuginnen ein Kissen zur Dämpfung des Schreiens vor Ageebs Gesicht gehalten, das auf beiden Seiten Ageebs Speichelspuren nachweisbar und eindeutig hinterließ.

h. Fast alle Zeuginnen hatten Ageebs Schrei gehört und seine lebensbedrohlichen Stöhn- oder Röchelgeräusche, nach bzw. während derer Ageebs Beugehaltung beibehalten wurde.

i. Nach den überwiegenden Zeugenaussagen haben sich die 3 BGS-Beamten geweigert, Ageebs Fesseln trotz ärztlicher Aufforderung zu lösen, um eine effektive Wiederbelebungslage auf dem Bordboden zu ermöglichen.

j. Bis auf eine einzige Behauptung der mit der erstbehandelnden Anaesthesie-Fachärztin zu Ageeb hingegangenen Stewardess scheint der Notfallkoffer mit Atembeutel nicht zur Verfügung gestellt worden zu sein.

k. Keine der Flugbegleiterinnen berichtet, bei der Wiederbelebung behilflich gewesen zu sein oder die BGS-Beamten aufgefordert zu haben, Ageeb abzuschnallen. Selbst die angeblich den Notfallkoffer bereitstellende Begleiterin berichtet, sie sei direkt danach ins Cockpit gegangen. 'Flugkapitän Eike R. berichtet nach der ärztlichen Todesfeststellung, er "habe gegenüber der Verkehrsleitung der Lufthansa angegeben, dass Ageeb möglicherweise an einer Vergiftung gestorben sei." Gegenüber der Purserette Lilian G., die beim Anblick Ageebs "sehr erschreckt" reagierte, habe der LH-Kapitän "erklärt, dass sie den Mann mitnehmen müssten, da ein Abschiebeversuch bereits fehlgeschlagen sei."

Die für Ageebs Sitzreihe 45 zuständige Stewardess Annette P. hielt die durch die 3 BGS-Beamten erzwungene Rumpfbeugung Ageebs nicht für "eine Gewaltanwendung". "Die beiden BGS-Beamten links und rechts vom Deportee hätten auch Getränke erhalten. Aus Sicherheitsgründen habe der Deportee jedoch kein Getränk bekommen." Ageebs lautes Schreien habe sie zwar gehört.

Nach Ageebs Tod gab es innerhalb des Lufthansa-Flugpersonals keinerlei Informationen über das Vorgefallene. Wäre dies nach Kola Bankoles Knebelungstod am 30.8.94 ebenso gewesen, hätte die Öffentlichkeitwahrscheinlich nie von seiner Knebelung erfahren. Für die Frankfurter Gerichtsmedizin hat Bankole ohnehin "einen plötzlichen Tod aus natürlicher innerer Ursache" erlitten.

Diese Version tischt auch das rotgrüne Innenministerium dem Innenausschuss nach Ageebs Tod wieder auf unter Verschweigen der gerichtlichen Ergebnisse im Begleitarztprozess. Auch bei der Erstickung in typischer "Schweinefesselungs"position unter bis zu 10 Polizisten am 15.5.98 an der Frankfurter Hauptwache mochten die Gerichtsmediziner eine "positional asphyxia" nicht einmal diskutieren. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft weigerte sich beharrlich, eine von uns "Ärzten in sozialer Verantwortung" geforderte Ablaufsrekonstruktion in Auftrag zu geben.

Nach der Abschiebungserstickung des Khaled Abuzarifa aus Gaza am 3.3.99 auf dem Flughafen Zürich ließ der Züricher Rechtsmediziner Walter Bär dessen Fesselung rekonstruieren: Das Zusammenzurren der Unterarme um den Brustkorb entsprach weitgehend der bei Ageeb verwandten Fesselung, in Zürich aber mit Lederriemen, die nicht so einschnürten wie die bei Ageeb verwandten Kabelbinder, die an allen Fesselungsstellen Striemen im Abstand von wenigen Millimetern teils mit Blutergüssen als Doppelstreifen wie Minischienen hinterließen.

Die Zitate unter 2. sind dem BKA-Schlussbericht vom 2.8.01 Tgb.-Nr. OA 41-41/99 entnommen.

Claus Metz (IPPNW), 7.12.01

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