Wird Prof. Micha Brumlik Kultusminister?

Selten hatte eine Forderung eines GRÜNEN in der Bundesrepublik einen solch durchschlagenden und schnellen Erfolg wie die Forderung des Erziehungswissenschaftlers Prof. Micha Brumlik nach der ersatzlosen Streichung des Muttersprachlichen Unterrichts für Kinder und Enkel der Arbeitsimmigranten und Flüchtlinge aus den EU- und den EU-assoziierten Staaten.

Politische Forderung des GRÜNEN Stadtverordneten und Erziehungswissenschaftlers Prof. Micha Brumlik vollständig durchgesetzt! Ersatzlose Streichung des muttersprachlichen Unterrichts für ImmigrantenKinder in Hessen

Selten hatte eine Forderung eines GRÜNEN in der Bundesrepublik einen solch durchschlagenden und schnellen Erfolg wie die Forderung des Erziehungswissenschaftlers Prof. Micha Brumlik nach der ersatzlosen Streichung des Muttersprachlichen Unterrichts für Kinder und Enkel der Arbeitsimmigranten und Flüchtlinge aus den EU- und den EU-assoziierten Staaten. Die christlich-liberale Landesregierung hat dem enormen Druck GRÜNER Experten-Stammtische endlich nachgegeben.

In ihrem neuen Hessischen Schulgesetz hat die CDU/FDP Landtagsmehrheit im Vergleich zum alten folgende Passagen gestrichen: in § 8a Förderung der Schülerinnen und Schüler anderer Sprache und der Zweisprachigkeit wird der Teil "und der Zweisprachigkeit" ersatzlos gestrichen.

Dagegen werden für DEUTSCHSTÄMMIGE unter § 35a "Zweijährige Sonderlehrgänge für Aussiedler"-Kinder eingeführt.

In § 8a werden weiterhin ersatzlos die Punkte 1 und 2 gestrichen, in denen es hießt:

" (1) Schülerinnen und Schüler anderer Herkunftssprache sollen durch besondere Angebote so gefördert werden, dass sie ihrer Eignung entsprechend zusammen mit Schülerinnen und Schülern deutscher Sprache unterrichtet werden und die gleichen Abschlüsse erwerben können.

(2) Schülerinnen und Schüler, die dem Unterricht nicht folgen können, weil sie über keine oder nur geringe Deutschkenntnisse verfügen, sind durch einen besonderen Unterricht in Deutsch als Zweitsprache so zu fördern, dass sie sich so bald wie möglich am Unterricht in der Regelklasse beteiligen können. ..........

Für SchülerInnen , "deren Sprache nicht Deutsch ist" gibt es nach dem neuen Hessischen Schulgesetz jetzt "eine Pflicht, sich um den Erwerb hinreichender Sprachkenntniss zu bemühen,...." und die Deutsch-Förderung der Schulen baut "in der Regel auf selbst erworbenen Grundkenntnissen" auf. Dies ist für Familien mit geringeren Einkommen eine schöne Bestimmung, weil der Erwerb hinreichender Sprachkenntnisse in Deutsch aus eigener Tasche bezahlt werden muss.

Aber das war nicht das Thema von Prof. Brumlik. Ihm ging es um die ersatzlose Streichung des Muttersprachlichen Unterrichts.
Der erfolgt nun per Gesetz und durch die Ausgestaltung des auslaufenden herskunftssprachlichen Unterrichts. Dieser ist nicht mehr obligatorisch. Die Teilnahmezahlen sinken, die LehrerInnen müssen noch mehr Schulen als bisher betreuen, das Qualitätsniveau ist so kaum noch zu halten. Die Lehrkräfte werden zunehmend im Regelunterricht eingesetzt und zu entsprechender Umschulung angehalten. Angefangene Projekte der MU-Reform, der Verbesserung dieses Unterrichts werden nicht weiter verfolgt.

Widerstand gegen diesen christlich-liberalen Kahlschlag gab es in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) quer durch alle Fachgruppen, verständlicher Weise am stärksten bei den muttersprachlichen Kolleginnen selbst.
Die wiederum waren als zahlenmäßig kleine Gruppe auf de Unterstützung der Gesamtorganisation sowie die der anderen Gewerkschaften im DGB angewiesen. Die aber hätten dabei Argumentationshilfen aus der GEW gebraucht. Doch stattdessen kam aus dieser Organisation zunächst die "wissenschaftliche" Untermauerung der Position des Gegners:

Im Vorfeld der sich abzeichnenden Streichkonzerte der Landesregierung veröffentlichte die Zeitschrift der Bundes-GEW -E&W- im Frühjahr 2000 ein Interview mit Prof. Micha Brumlik mit der Forderung nach der ersatzlosen Streichung des MU.
Die hier auf des Brumlik-Interview folgenden Gegenstellungnahmen stammen aus der Feder des Grundschullehrers Hartmut Barth-Engelbart der in Hanau in einer Schule mit über 80% Kindern nicht deutscher Muttersprache unterrichtet.

"Den muttersprachlichen Unterricht ersatzlos streichen" E&W-Gespräch mit dem Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik

Der Heidelberger Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hat mit seinen Thesen zur Einwanderungsgesellschaft auf dem Berliner GEW-Kongress, der unter dem Motto "Kultur des Aufwachsens - Pädagogik auf dem Weg zum multikulturellen Europa" Anfang Dezember '99 in Berlin stattfand, hitzige Diskussionen entfacht. E&W sprach mit dem in Frankfurt a.M. lebenden Wissenschaftler und Publizisten.

E&W: Ihre Forderung nach allgemeiner Aufhebung des muttersprachlichen Unterrichts hat in Berlin ziemlich viel Staub aufgewirbelt. Sie sagten dort, dass es nicht die Aufgabe des demokratischen Staates sei, "beliebige ethnische Identitäten zu garantieren, sondern den gleichen Wert der bürgerlichen, das heißt der individuellen Freiheiten für alle durchzusetzen". Welche politische Grundannahme steckt denn dahinter?

Micha Brumlik: Ich glaube, man muss zuerst noch einen Schritt weiter zurückgehen. Wenn man das Ganze historisch betrachtet, ist völlig klar, dass der muttersprachliche Unterricht, so wie er heute noch in einer ganzen Reihe von Bundesländern abgehalten wird, Ausdruck einer ehemaligen Gastarbeiterpädagogik ist. Er ist ein Ausdruck des Bemühens, deren Kinder für die reibungslose Reintegration in die frühere Heimat ihrer Eltern fit zu machen. Das entspricht aber überhaupt nicht mehr der Situation einer Einwanderungsgesellschaft. Wir wissen, dass wir heute mit einem irreversiblen Zugang in eine neue Gesellschaft zu rechnen haben. Für mich ist es eine liberale Selbstverständlichkeit, dass kein Mensch auf seine ethnische Herkunft fixiert werden darf. Aber es ist für mich sehr, sehr wichtig, dass die hegemoniale Sprache, in der die unterschiedlichen Kulturen der Einwanderungsgesellschaft repräsentiert werden, für alle zum Allgemeingut werden. Eine solche Teilhabe aber wird gerade durch eine ethnisch beschränkte Zuschneidung des Sprachunterrichts auf Herkunftsgruppen eingeschränkt.

E&W: Nun liegen Sie mit dieser Auffassung etwas quer zu dem auch in den Gewerkschaften verbreiteten multikulturellen Verständnis. Deswegen noch einmal nachgefragt, welches Staatskonzept liegt ihrer Position zugrunde?

Micha Brumlik: Ich vertrete ein bürgerrechtlich-liberales, sozialstaatliches Staatskonzept. Und ich gehe davon aus - anders als das jahrelang die etablierte Politik beabsichtigte -, dass die Bundesrepublik tatsächlich eine Einwanderungsgesellschaft ist. Ich gehe weiterhin davon aus, und das ist natürlich strittig, dass die Arbeitsmigranten, deren Lage für mich nicht identisch mit der von Flüchtlingen ist - hier trenne ich sehr scharf -, dass die Arbeitsemigranten grundsätzlich freiwillig emigriert und daher freiwillig in die deutsche Gesellschaft eingewandert sind. Damit haben sie aber zugleich den Anspruch aufgegeben, ihre jeweilige Kultur, Sprache und Religion durch staatliche Garantien aufrecht erhalten zu sehen.

E&W: Kann man überhaupt von einer freiwilligen Emigration sprechen? Gerade die ehemaligen Gastarbeiter, die Sie erwähnt haben, sind ja angeworben worden und oft aus wirtschaftlicher Armut hierher gekommen.

Micha Brumlik: Begrenzt. Aber die Emigrationssoziologie teilt uns mit, dass es in aller Regel die Kräftigsten und Dynamischsten gewesen sind, die diese Bereitschaft zur Arbeit im Ausland auf sich genommen haben. Und es war ein Irrtum auf beiden Seiten gewesen, sowohl der anwerbenden Länder als auch der Immigranten selbst, zu glauben, die Immigration ließe sich auf einen überschaubaren Zeitraum begrenzen. In Wirklichkeit war es eine existenzielle Entscheidung, sich eine neue Heimat zu suchen.

E&W: Wenn Sie davon ausgehen, dass die Bundesrepublik de facto eine Einwanderungsgesellschaft ist, was sind denn die rechtlichen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für eine auf Integration zielende Einwanderungsgesellschaft?

Micha Brumlik: Zunächst einmal muss man feststellen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Einwanderungsgesellschaft ist, aber rein juristisch noch kein Einwanderungsland. Die neue Staatsbürgerschaftsangehörigkeitsregelung der rotgrünen Regierung ist ein Schritt auf diesem Wege. Er ist freilich viel zu halbherzig gegangen und bei weitem der Lage der meisten Arbeitsemigranten nicht angemessen. Dennoch ist damit ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel vollzogen. Deutsch zu sein, heißt seit der Einführung dieses neuen Staatsbürgerschaftsrechts nicht mehr, der deutschen Ethnie zu entstammen, sondern bedeutet, Mitglieder einer jetzt neu entstehenden Staatsbürgergeneration zu sein. Dieses Recht muss selbstverständlich erweitert werden. Und selbstverständlich wird die Bundesrepublik über kurz oder lang nicht umhin kommen, ein Einwanderungsgesetz zu schaffen. Allerdings müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass ein solches Gesetz ebenso als ein Instrument nationalen Interesses betrachtet wird und nicht nur ein humanitäres Angebot ist. Deswegen liegt mir ja so viel daran, zwischen Flüchtlingen und Immigranten zu unterscheiden. In Bezug auf Menschen, die aufgrund von politischem oder ökologischem Druck flüchten müssen, müssen ganz andere, viel weitreichendere und großzügigere Regelungen gefunden werden als sie bisher existieren. Aber das ist nicht zu vergleichen mit einer wesentlich von Privatleuten angestrebten Emigration.

E&W: Inwiefern ist denn die Einwanderungsgesellschaft Nordamerikas ein Vorbild für Sie?

Micha Brumlik: Für mich sind die USA, was ihre rein staatsrechtlichen Konditionen angeht, durchaus vorbildlich. Was mir generell an den Vereinigten Staaten nicht gefällt, ist, dass dort Einwanderung nicht sozialstaatlich abgestützt wird. Wer einmal das Land betreten hat, der muss dort selbst sehen, was aus ihm wird. Solche soziale Kälte des Staates deckt natürlich nicht den Solidaritätsbedarf in einer pluralen Gesellschaft. Ein Land, das sich selbst als Immigrationsgesellschaft auf dem Weltmarkt anpreist, ist dazu verpflichtet, die Startbedingungen für die Eingewanderten zu garantieren und sie nicht einfach einem blinden ökonomischen Wettbewerb zu überlassen.

E&W: Was schuldet denn die Einwanderungsgesellschaft ihren Immigranten und was andererseits sind die Immigranten der Einwanderungsgesellschaft schuldig?

Micha Brumlik: Die Einwanderungsgesellschaft schuldet den Immigranten zunächst die Möglichkeit zur Teilhabe. Darunter verstehe ich angemessene ökonomische Abstützungen und vor allem den kostenfreien Erwerb der herrschenden Verkehrssprache, in unserem Falle des Deutschen. Hier glaube ich, dass insbesondere die Sprachlehr- und -lernangebote noch sehr viel stärker ausgebaut werden müssten als bislang. Angesichts der neuen Staatsbürgerschaftsregelungen würde ich auf einer obligatorischen Teilnahme am deutschen Spracherwerb für alle Einwanderer bestehen wollen. Andererseits ist Immigranten außer der guten Kenntnis der deutschen Sprache nicht mehr und nicht weniger abzufordern wie allen anderen Bürgern auch, nämlich Gesetzestreue und die Bereitschaft, Steuern zu zahlen. Mehr an Anpassung muss es nicht sein. Ich fordere ausdrücklich nicht eine Identifikation mit den hiesigen Normen, Sitten und Werten. Ich bin auch nicht davon überzeugt, dass es so etwas wie eine normative deutsche Leitkultur überhaupt gibt. Natürlich wünsche ich mir, dass im Laufe der Integration der Geist unserer Verfassung auch von den Immigranten aufgenommen wird, aber auch hier dürfen wir von diesen nicht mehr an Verfassungsbegeisterung erwarten als von der eingeborenen Bevölkerung.

E&W: Sie unterscheiden zwischen einer multikulturellen und einer multiethnischen Einwanderungsgesellschaft. Worin sehen Sie die Differenz?

Micha Brumlik: Die Differenz besteht darin, dass die multiethnische Gesellschaft einen staatsrechtlichen Status für Minderheiten anerkennt. Das ist übrigens in Deutschland begrenzt der Fall, die Dänen in Schleswig beispielsweise, die Sorben in der Lausitz, ein paar tausend Friesen an der Küste sowie die Sinti und Roma sind nach Maßgabe einer EU-Richtlinie in ihrem sprachlichen Zusammenhalt besonders zu unterstützen. Ich persönlich möchte es bei diesem rein historisch zu verstehenden ethnischen staatlich anerkannten Minderheitenschutz auf jeden Fall belassen. Es kann überhaupt nicht in Frage kommen, dass beliebige Einwanderergruppen - seien es nun die Kurden oder die Kroaten - in einem vergleichbaren Sinne als ethnische Minderheit einen staatsrechtlichen Status erhalten.

E&W: Sie haben in Berlin in diesem Zusammenhang auch von einer nationalen Kultur gesprochen. Suggeriert dies nicht einen allgemeinen Wertkonsens, der so in der Realität gar nicht existiert?

Micha Brumlik: Die nationale Kultur ist in einer globalisierten Welt, in der Kultur ohnehin grenzüberschreitend ist, nur noch der Ausschnitt der Kultur, der im öffentlichen Bildungswesen von der Vorschulerziehung über die Schulen bis hin zu den Universitäten praktiziert und gepflegt wird. Die nationale Kultur, so wie ich sie verstehe, zeichnet sich lediglich dadurch aus, dass es die Kultur in einer der national führenden Verkehrssprachen ist. Schon die in der Verkehrssprache repräsentierte nationale Kultur könnte gegensätzlicher nicht sein. Zwischen deutschsprachigen Dichtern und Zeitgenossen wie Bert Brecht oder Hugo von Hoffmannsthal klaffen Welten. Punktum. Was an Inhalten, Wünschen, Lebensformen, Utopien und Ängsten in dieser Verkehrssprache artikuliert wird, das hat niemand ein Recht vorzuschreiben. Wir müssen realisieren, dass es mittlerweile eine Reihe hervorragender literarischer Leistungen von Einwanderern gibt, die zu einer Erneuerung der deutschsprachigen Kultur beigetragen haben. Wenn ich etwa den Kieler Autor Feridun Zaimoglu, der für mich einer der kraftvollsten Erneuerer der deutschen Sprache ist, oder an den aus Syrien eingewanderten Rafik Shami denke, in dem man wirklich einen genuinen Fortsetzer des deutschen Kunstmärchens sehen kann, dann sind das für mich alles Beiträge zur nationalen Kultur des Einwanderungslandes Bundesrepublik Deutschland.

E&W: Trotzdem stellt sich die Frage: Wenn Kultur und Herkunftssprache essenziell zur Persönlichkeitsentwicklung des Menschen gehören, warum sollen sie dann nicht staatlich gefördert werden?

Micha Brumlik: Ich glaube, zur Teilhabe an einer Kultur gehört vor allem die Fähigkeit, sich in der Sprache dieser Kultur zu artikulieren. In welcher Weise nun die Herkunftssprache essenziell zur Identitätsbildung gehört, ist ja umstritten. In welchem Ausmaß gehört beispielsweise das Kurdisch eines Kindes, das sagen wir in Bamberg aufwächst und mit der kurdischen Muttersprache seiner Eltern kaum noch etwas zu tun hat, tatsächlich zu seiner Persönlichkeit? Gibt es tatsächlich so etwas wie einen sprachlichen Kern individueller Identität? Ich meine ja: Ist es aber die Sprache der Eltern? Dessen bin ich keineswegs sicher. Und ob die Sprache im Elternhaus prägender ist als die Sprache im Umgang mit Gleichaltrigen und Freunden, bezweifle ich auch.

E&W: Wenn die Gleichaltrigen aber hauptsächlich der gleichen ethnischen Gruppe angehören?

Micha Brumlik: Dann ist es für mich umso wichtiger, dass sie dennoch die hegemoniale Verkehrssprache vorzüglich beherrschen - denn ohne deren Kenntnis sinken ihre Chancen zur ökonomischen Integration und steigen dafür umgekehrt, in einer ethnisch-fixierten Underclass zu verbleiben.

E&W: Sie behaupten, die Einwanderungskultur wirke stärker als die Herkunftskultur auf die Eingewanderten? Wenn ich mich aber zum Beispiel in Berlin-Kreuzberg in türkischen Wohnviertel umschaue, scheint mir eher das Gegenteil der Fall zu sein.

Micha Brumlik: Wie Leute privat ihr Wohnumfeld gestalten, finde ich vergleichsweise uninteressant. Ich sehe in einem ausschließlich türkischen Wohnviertel ebenso wenig ein Problem wie in den Chinatowns der US-amerikanischen Großstädte. Ich finde diese Viertel faszinierend, aber sie stellen kein besonderes Problem dar. Wenn die Jugendlichen und die Leute, die in Kreuzberg wohnen, es gelernt haben, in ihren Schulen fließend Deutsch zu sprechen und nicht irgendeinen Mischslang, dann ist es mir persönlich ganz unerheblich, ob es ganze Straßenzüge mit ausschließlich türkisch oder polnisch geschriebenen Ladenschildern gibt oder nicht. Ich finde, dass sind genau die Variationsbreiten und die Spielräume, die eine multikulturelle Gesellschaft braucht, die auf liberal individualistischen Grundsätzen beruht. Darüber hinaus wäre es mir aber wichtig, dass Kinder nichttürkischer Herkunft, ob Spanier, Kroaten oder Deutsche, die ebenfalls in Kreuzberg zuhause sind, wo Türkisch offensichtlich eine dominierende Rolle spielt, dass diese sich in dieser Sprache ebenfalls ausdrücken können.

E&W: Was wären die praktisch politischen Konsequenzen aus Ihrem Modell einer multikulturellen Gesellschaft?

Micha Brumlik: Die politischen Konsequenzen bestehen in einer ersatzlosten Streichung des muttersprachlichen Unterrichts und bestehen in lokal und regional gestützten offenen Unterrichtsangeboten in mehreren Sprachen. Mindestens aber in der massiven Förderung eines Bilingualismus in Deutsch und einer Sprache der Emigranten, zuzüglich natürlich der Weltsprache Englisch.

(Zitiert nach E&W2/2000, Hervorhebungen durch den Autor) Jetzt folgt ein Ausschnitt aus einer Brumlik-Replik auf zahlreiche empörte Leserbriefe aus der GEW-Mitgliedschaft:

"Weder GEW noch Lehrer haben den muttersprachlichen Unterricht , wie er heute existiert, gewollt: zwei Wochenstunden ausschließlich für Familien aus Anwerbeländern. Warum verteidigen sie ihn dann so heftig? Lässt sich die folgenden Hypothese wirklich begründen:
"Der Erwerb der notwendigen Kompetenz in der Allgemeinsprache des Einwanderungslandes wird durch begleitende Maßnahmen von 90 Minuten pro Woche in der Muttersprache wesentlich gefördert."
Der Nachweis dafür steht aus. Wenn es wirklich so wäre, müsste die schulische und berufliche Lage vieler Immigrantenkinder besser sein und sich nicht verschlechtert haben.


Soweit die Ausführungen Brumliks

Es fällt schwer als Lehrer in einem "sozialen Brennpunkt" angesichts der Ausführungen des Herrn Brumlik nicht handgreiflich zu werden. Die schulische und berufliche Lage der Immigrantenkinder (und nicht nur dieser) verschlechtert sich rapide wegen der krisenhaften Entwicklung dieser "unserer" Wirtschaft, wegen der Kaputtsparpolitik dieser "unserer" Regierungen und in vielen Fällen besonders wegen der Streichungen im muttersprachlichen Bereich.

Herr Brumlik hat zwar nicht in seinem Interview-Text dafür aber in seiner Replik auf die Kritik den Begriff "psycholinguistsich" zumindest erwähnt. Jedoch hat er keine Ausführungen dazu gemacht. Brumlik bewegt sich als Geisteswissenschaftler offenbar gerne in dem Feld der naturwissenschaftlichen Beleibigkeit. Es darf hier ruhig abseits von Fakten politisch opportun herum spekuliert werden.

Würde er sich einmal darum bemühen die neueren Erkenntnisse der Neurophysiologie zu studieren, z.B. die der Uni Hannover, Forschungsergebnisse diverser US-Universitäten über den Zusammenhang von kognitiver Entwicklung und pränataler Bedingungen, käme der Herr vielleicht auch darauf, dass ein Zusammenhang zwischen pränatalen Sprachhören und postnataler Sprach-, Intelligenz- und emotionaler Entwicklung besteht.

Kinder, die die pränatale muttersprachliche Entwicklung nicht kontinuierlich weiter führen, diese im schlimmsten Falle abbrechen, werden tendenzielle Analphabeten im minder schlimmen Falle. Sie werden nie die kongnitiven und emotionalen Potenzen entwickeln können wie andere kontinierlich muttersprachlich entwickelte Kinder.
Der Mann Brumlik versteht es darüber hinaus auch nicht, dass Muttersprache deshalb Muttersprache heißt, weil die Frauen die Kinder im Bauch tragen und die Föten bereits die Sprache der Mutter am besten hören und diese sie - ihre frühkindliche Entwicklung- am direktesten (neben ihrer Musik, dem Herzschlag, dem Nikotin und Alkohol und anderen (Rausch-) Giften beeinflußt. Die Männer und deren Sprachen sind frühestens beim ersten Wickeln so direkt an der kindlichen Entwicklung beteiligt.

Alles, was nach einer Unterbrechung der muttersprachlichen Kompetenzentwicklung an Sprachförderung (Zweit-, Fremd- und sonstige Srachförderung) hinterhergeschickt wird ist zwar nicht vergeblich aber kann die Entwicklungsbrüche nicht heilen. Im Bereich der Musikalität liegen dazu Feldforschungsergebnisse vor, die sollte sich der Herr Brumlik vielleicht einmal anschauen.

Aber ich glaube der Herr ist als gut bezahlter Professor durchaus in der Lage sich umfassend zu informieren und ich nehme stark an, dass er es auch ist, Brumlik weiß was er sagt und tut.

Der Mann weiß, was er in der derzeitigen sozial- und bildungspolitischen Lage verschweigt: im Bereich ddes muttersprachlichen Unterrichts sind angesichts der bereits vorliegenden Forschungserbebnisse keine "Sparpotenziale" ausfindig zu machen. Eine seriöse pädagogisch-wissenschaftliche Rechtfertigung für die Streichung des MU gibt es nicht. Und genau an diesem Punkt wird Herr Brumlik sogar noch in der Replik, zu der er offenbar etwas Kreide gefressen hat, wieder demagogisch und unwissenschaftlich.

Zunächst zitiert er den Bildungsforscher Ludwig Huber, der zur "Wünschbarkeit der 'Allgemeinsprache' im Bildungswesen postuliert, dass die Beherrschung der 'Allgemeinsprache' nicht gegen, sondern für einen muttersprachlichen Unterrricht spreche, sofern die Familien es wünschen, und zwar, wenn das auch nach psycholinguistischen Erkenntnissen sinnvoll ist, möglichst früh, dem vollen Erwerb der deutschen Gemeinsprache noch vorausgehend'.

Während sie die Brumlikempfehlungen zügig umsetzt und den schulischen MU ersatzlos streicht, setzt die Hessische Landesregierung noch eins obendrauf und besetzt den Zeitraum in dem Ludwig Huber den MU als am besten plaziert ansieht:

"die eigene Pflicht, sich um den Erwerb hinreichender Sprachkenntnisse zu bemühen" beginnt bereits im Kindergarten oder noch früher, denn schulische Deutschförderung baut "in der Regel auf selbst erworbenen Grundkenntnisen" auf. Die Verschulung des Kindergartens, der Krippe, des Hortes, des Vorschulbereichs mit intensiven Deutschkursen bereits vor Eintritt in die Regelschule und aus der Tasche der Immigraten bezahlt.
Da werden (ministeriell)stressgeplagte GrundschullehrerInnen schnell zustimmen und aufatmen
- auf Kosten der Entwicklung der Kinder, denn es gibt durch die Streichung des MU keinen weiteren Spielraum in der Regelschule, kein weiteres Personal, nur die nackte die Abschaffung des säkularen Muttersprachlichen Unterrichts.
Des SÄKULAREN!
Denn in die entstehende Lücke wird auf voller Breite und höchster Intensität die bei zunehmender Perspektivlosigkeit identitätsstiftende Sonntagsschule in den Moscheen springen. Deren Unterrichtsangebot wird erheblich erweitert und ungeahnten Zulauf erhalten. Das Gejammer über Ghettobildung, mangelnde Integration, über Fundamentalismus etc.. ist der Tränenvorhang hinter dem das alles mehr oder weniger bewußt betrieben, gefördert und dagegensteuernde Initiative ausgehungert wird.
Solch zukunftsweisende Projekte wie das Projekt KOALA, eine fächerübergreifende, integrative, ethnienübergreifende Weiterentwicklung des muttersprachlichenm Unterrichts werden in Hessen mit der ideologischen Unterstützung des Herrn Brumlik mit einem "wissenschaftlich begründeten" Federstrich vom Tisch gewischt.

In blankem Zynismus landet die Brumlik'sche Replik, wenn sie zum Schluss betot:
" Die 'muttersprachliche' Lehrerschaft gab jahrzehntelang im Rahmen eines falschen politischen Modells, das sie nicht zu verantworten hattte, ihr Bestes. Diesem Engagement Gebühren Dank und Respekt, den Kolleginnen und Kollegen jedere gewerkschaftliche Schutz. Man sollte aber diese gewerkschaftliche Aufgabe getrennt von der pädagogischen Frage nach der besten Förderung von Immigrantenkindern erörtern."

Sonntagsrede bei der Beerdingung?
Brumlik weiß auch wie stark die GEW ist und welche Bedingungen den Kolleginnen jetzt diktiert werden. Wieviele "freiwillig" das Handtuch werfen. Und er weiß auch wie stark die Lobby der Immigrantenkinder und -enkel ist.

Hier heuchelt nicht nur einer aus einer gesicherten Position. Hier spricht die Arroganz der Machtteilhabe eines Menschen, der im Mainstream vorne mitschwimmt. Und wir kennen diese Argumentationsweise spätestens seit das Kanzler-Hauptquatier die IG-Metall wegen ihres Widerstands gegen den Bundeswehreinstz in Afghanistan zurechtgewiesen hat. "Kümmert ihr euch mal um die Belange eurer Mitglieder, von Außenpolitik versteht ihr nichts"

Es ist tatsächlich eine Frage des erenntnisleitenden Interesses: in der schon oben zitierten Replik auf massive Leserbrief-Kritik in der E&W zitiert Brumlik eine "breitangelegte" Untersuchung der Kulturwissenschaftlerin Ute Schönpflug zu '...ethnischer Identität und persönlichen Ressourcen....', dass "Aktivität, Intelligenz und Aktivität umso schwächer ausgebildet sind,je mehr die Jugendlichen in die Herkunftskultur einbezogen sind." Untersucht wurden türkische Schüler aus Berlin.

Da wäre doch erst mal zu klären, welche Aktivität und wo gemeint ist, WELCHE Intelligenz WOMIT gemessen wurde. Warum werden wieviele Jugendliche stärker in die Herkunftskultur einbezogen? Vielleicht, weil es keine besonders attraktiven Integrationsangeboite gibt? Weil es keinen säkularen Muttersprachunterricht oder nur sehr wenig davon gibt - zudem mit schlecht weitergebildeten Lehrkräften?

Es ist relativ gleichgültig, ob nun der Einsatz für den Muttersprachlichen Unterricht aus humanistischer Tradition, aus "Nächstenliebe" christlich/islamisch/jüdisch/buddistisch- und soweiterer Prägung begründet ist oder aus naturwissenschaftlicher/anthropologischer Sicht.
Es ist immer auch eine Frage des Herangehens an die Menschen und ihre soziokulturellen und biologischen Wurzeln.
Dort wo Brumlik in seiner Replik den Muttersprachlichen Unterricht verächtlich macht, indem er ihm "bei den Seiteneinsteigern vielleicht sozialpädagogische Funktionen" zugesteht, haut der Sparpotenzialentdecker in der zweiten Satzhälfte wieder zu: "... scheint er bei hier geborenen Immigrantenkindern, die meist fließend Deutsch sprechen, pädagogisch überflüssig."


Lieber Herr Brumlik, Sie haben noch nie in einer multiethnischen Grund-, Haupt-, Real-, noch in keiner Gesamt- und möglicher Weise auch noch nie in einer anderen Schule als Lehrer gearbeitet. Wo bleibt ihr "Mischslang" aus dem Interview? Die ENKEL der Immigranten fangen langsam an fließend gebrochenes Deutsch zu sprechen. Am besten Deutsch sprechen die bildungsnahen Moscheetürken! Die sprechen aber auch am besten Türkisch. Je desolater die häuslichen, beruflichen Verhältnisse, je niedriger das Bildungs- und Einkommensniveau und je abgeflachter (Videothek versus Moschee) die Einbindung in traditionelle Strukturen umso schwächer sind die Sprachleistungen in beiden Sprachen. Wo Mütter und Väter in Vollcontischicht und doppelter Lohnsteuerkarte und zweitem Job beim Putzen sprachlos werden, werden es die Kinder nicht minder. Wenn der Fernseher mit türkischem Kanal gemixt mit amerikanisch-türkisch untertitelten Horror- und Hardcore-Videos den Muttersprachlichen Unterricht erteilt, werden immer mehr "verkrüppelte" Kinder aus den Ghettos kommen. Oder die Moscheen nehmen sich ihrer an. Es gibt einen starken Zulauf zu den islamischen Jugendzentren an den Moscheen, die ja auch nicht so blöd sind, immer nur Koranschulung anzubieten.

Hätte sich Brumlik ernsthaft wissenschaftlich mit dem Thema Muttersprachlicheer Unterricht auseinandergesetzt, hätte er die vielfältigen Veränderungen in diesem Bereich zur Kenntnis nehmen müssen, der schon lange nicht mehr nur der "kurzzeitige, getrennte Unterricht von Kindern in der Herkunftssprache" ist. Dann aber hätte Herr Brumlik nicht den Pappkameraden schlagen können, den er sich in seinen Veröffentlichungen aufgebaut hat.

Seine PR-trächtigen Ausführungen geben den Streichungsorgien der hessischen Landesregierung noch ihren "wissenschaftlichen" Segen.

(Wie lässt sich darüber ein wissenschaftlicher Artikel schreiben, wenn ein kurdisches Kind seine Kriegstraumata langsam dadurch bearbeiten kann, dass es in einer relativ friedlichen Umgebung endlich seine Muttersprache auch außerhalb der hier nicht von türkischen Panzern (BRD-Spende/NVA-Bestände) bedrohten vier Wände sprechen und leernen darf (wenn es denn kurdischen Muttersprachunterricht gäbe), wenn ein türkisches Kind lernt seine Gefühle differenziert auszudrücken und zu fühlen. Gedanken zu denken. Wie unendlich schwer ist uns das alles in der eigenen Muttersprache gefallen, und wer es in der eigenen Muttersprache nicht lernt, wird es auch nie ausreichend differenziert in einer Zweitsprache können. Der kann diese Zweitsprache maximal technisch beherrschen, sich aber nicht in ihr kreativ/emotional ausdrücken.)

An die Redaktion Erziehung und Wissenschaft

Stellungnahme zu den Ausführungen des Herrn Brumlik in E&W 2/2000

Wie der Herr Brumlik die deutschen Stammtische "intellektuell" aufrüstet

Eigentlich ist es schade und schädlich, daß die Replik des Kollegen Klaus Liebe-Harkort in der Märzausgabe der E&W so mager präsentiert wurde im Gegensatz zu dem mit gutem Layout verarbeiteten und an bester Stelle positionierten Brumlik-Interview. Vielleicht aber auch gut so, man sollte den Herrn Brumlik nicht so wichtig nehmen. Oder doch? Als postfordistisch sich gerierender Protagonist des Wendezeitgeistes mit grünlicher Patina kann der Herr gefährlich werden.

DIE Emigrationssoziologie des Herrn Brumlik

Wann wurde der muttersprachliche Unterricht (neudeutsch: herkunftssprachlich, um die alleinerziehenden Väter nicht zu benachteiligen!) eingerichtet und warum und auf wessen Initiative und nach welchen harten Auseinandersetzungen? Was ist muttersprachlicher Unterricht? Brumlik weiß nicht wovon erspricht. Oder er weiß es und stellt es absichtlich falsch dar, um auf den selbsterzeugten Popanz einzudreschen. Um im bündnisgrünen Outfit des Einwanderungsland-Befürworters den muttersprachlichen Unterricht im Mainstream des Kultussparbürokratismus abzuschaffen. Empfiehlt sich hier etwa nach dem Holz-Appel ein Egghead, ein Schlangen-Ei als hessischer Kultussparkommissar? Erziehungswissenschaftler sind bisweilen Schwätzer, die von allem ein wenig gelesen aber nix kapiert haben, Produzenten populärwissenschaftlich klingender schädlicher Sprechblasen:

"..die Emigrationssoziologie teilt uns mit, daß in aller Regel die kräftigsten und dynamischsten auswanderten....."

Was bitte ist DIE Emigrationssoziologie?
Was heißt wissenschaftlich "in aller Regel"?
Ein verzeihlicher Brumlik-Lapsus? Mitnichten. Die "kräftigsten und dynamischsten" wurden bei gründlich deutscher Anwerbung von Arbeitskräften immer herausselektiert, bei Zwangsarbeitern aus Polen und Russland, bei Fremdarbeitern aus Mussolinis vorkriegs-Ausverkaufskontingent, das die VW-Werke bauen durfte (Räder müssen rollen für den Sieg!) und den nachkriegs-mezzogiorno Anwerbungen.

Wo Fluchtursachenbekämpfer bekämpft werden, gibt's noch mehr Fluchtursachen

Sehr geehrter Herr Brumlik, erkenntnisleitendes Interesse, schon mal gehört? "Es waren immer die Starken? ..." "Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Krombach..." dieses Dorfes im Oberhessischen?. Die Dorfarmut und die städtische Armut ist massenweise ausgewandert, wurde z.T sogar dazu gezwungen (in Deutschland, in England, in Frankreich, in Spanien). Entweder Zuchthaus oder auswandern! Die verarmten und verfolgten Landjuden mussten auswandern. Von Gallizien nach, von Polen nach, von Deutschland nach, von Spanien nach den USA und Kanada, nach Brasilien und Chile usw.. Die Starken und Stärksten? Ganze Landstriche wurden per Auswanderung, Ausweisung, Vertreibung entvölkert. Besonders als die weidererstarkten Fürsten nach 1813, nach 1849, nach 1871 ihre verlorenen Ländereien zurückforderten bzw. nahmen. Natürlich waren auch Starke dabei. Aber das waren die wenigsten und sind es heute auch: ehemalige SAVAK-Agenten, Shah-Freunde, Unita-Häuptlinge und andere, die z.T locker mit ihren Auslandskonten über die Runden kämen. (hier folgt im Original eine längere Abhandlung über Flucht, Fluchtursachen, Fluchtursachenbekämpfung, Bekämpfung der Fluchtursachenbekämpfer, viele von ihnen landeten entweder im Zuchthaus, im KZ, im Krematorium, am Galgen oder wieder im Exil.)

Der Brumlik'sche "Solidaritätsbedarf"

Und was ist der Brumlik'sche "Solidaritätsbedarf einer pluralen Gesellschaft" ? Nicht nur verbale Tünche für das Vorwärts in europäisch und weltweit agierendes High-tech-Manchestertum sondern Krisenmanagement zur Entschärfung der menschlichen Zeitbomben, die dieses System produziert, damit den Herrschaften bei vorhersehbaren gesellschaftlichen Explosionen nicht der ganze Kram um die Ohren fliegt.

Brumliks Beweis-Türken

Der Kieler Autor Feridan Zaimoglu -meiner Kenntnis nach Kurde mit muttersprachlich höchst elaborierter Sprachkompetenz- hat mit auf diesem Hintergrund möglichen Transferleistungen sich zu einem auch deutschsprachig deutschschreibenden hervorragenden Schriftsteller entwickelt.
Rafik Shami ist syrischer Intellektueller. Für ihn gilt Ähnliches.

Brumlik soll doch einmal deutschsprachige Schriftsteller und Wissenschaftler der 1., 2. oder 3. Immigrantengeneration bäuerlich-subproletarischer Herkunft nennen. Fehlanzeige. Wer nicht in der Muttersprache die notwendige Semantik, semantischen Fähigkeiten entwickelt hat, der schafft es auch nicht in der Zweitsprache. Die entscheidenden sprachlich-kognitiven Grundzüge und Fundamente, die entscheidenden Prägungen und Entwicklungen des Hirns geschehen entlang und in der Muttersprache im weitesten Sinn. Wer diese Basis nicht gesichert entwickelt, bleibt auch und noch mehr in der Zweitsprache ein (relativer) Analphabet.

Bei "Mischslang" hat der Blockwart schlechte Karten

Was soll die diskriminierende Bemerkung Brumliks bei der Unterscheidung zwischen "fließend Deutsch" und "irgendeinem Mischslang", ist jede sogenannte Hochsprache nichts anderes als ein amtlich anerkannter "Mischslang", der zur Sprache der Herrschaft, zur Herrschaftssprache erhoben wurde, die in Folge viel an semantischen Differenzierungen, Schattierungen eingebüßt hat, ausdrucksärmer wurde. Es gibt z.B."irgendeinen Mischslang" der ob seines semantischen Reichtums allenthalben beneidet wird und in seiner Schutzfunktion hervorragend war und z.T. noch ist - das "Jiddisch". Niemals wird es der sog. deutschen Hochsprache gelingen semantische Feinheiten so auszudrücken wie es derzeit Mundstuhl und andere mit ihren deutsch-türkisch-marrokanisch etc. Sprachmixen, Syntaxmixen gelingt.

Was bleibt bei Brumliks Thesen an Substantiellem?

Brumlik befürwortet einen Angebotsbauchladen von 36,7 frei wählbaren Immigrantensprachen (natürlich nicht die eigene) plus die üblichen obligatorischen Zivilisationssprachen (Deutsch, Englich, Französisch.... Bei Spanisch, Russisch, Polnisch,Portugiesisch, Italienisch könnten wieder zu viele MuttersprachlerInnen dabei sein).
Ach ja, sozialstaatlich ist es bei Brumlik auch noch und plural und "solidaritätsbedarf"s-deckend. . Schön! Das sichert dem Standort Deutsch-Europa langfristig billige Arbeitskraft, so weit alphabetisiert, dass sie in der Lage ist, einfache Anweisungen, Anlernbefehle und für das einfache Volk bestimmte ordnungstechnische Verbots- und Erlaubnismitteilungen zu lesen und zu verstehen und bei Missachtung auch strafmündig zu sein. Ob sie dann als konjunkturelle Schiebemasse, als überschüssige Reservearmee hier bleibt oder zurückkehrt ist bei der angepeilten Angleichung der europäischen Sozialstandards auf südspanisch/portugiesisch/westanatolischem Niveau völlig wurscht.

Wo Brumlik Schaum schlägt ist auch Seife im Wasser

Micha Brumlik ist bekannt dafür, daß er sich mit tabubrechenden Headlines im "eigenen Lager" und anschließender dünner Luft in Szene setzt und dabei ein gutes Gespür für Mainstream-Tendenzen hat. Es drängt sich der schon angedeutete Verdacht auf, dass er sich den hessischen Bündnisgrünen als kommender Kultusminister empfehlen will. Nach der Wolff im Schafspelz werden Leute wie er gebraucht. w.g. Kontinuität. In punkto wissenschaftlicher Unseriosität kann er vielen Kultusministern das Wasser reichen. In Skrupellosigkeit auch. Er ist ein prominenter mediengeiler Schocker und die SPD hat derzeit niemanden auf diesem Sektor zu bieten. Sein herausposaunter Angriff auf die "Gastarbeiterpädagogik" der siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist eine üble Denunziation der apostrophierten "Sozialromantik" der Alt-68er, jenes letzten Restes, bei dem sie noch etwas mit dem gemeinen Volk zu tun haben wollten.

Brumlik dient sich zum Xten Mal als völlig geläutert und konvertiert dem ehemaligen Aggressor als gut bezahlter Büttel an.

Der Schreiber dieses Briefes hat 1968 bis 1974 Pädagogik bei Heydorn und Koneffke, Soziologie bei Ernest Jouhy, Psychologie, Geschichte und Deutsch studiert, war als Tutor bei Heydorn tätig, entschied sich 1971 gegen eine "wissenschaftliche" Laufbahn, von 1971 bis 78 Grundschullehrer, dann de facto Berufsverbot, anschließend 17 Jahre in der "freien" Wirtschaft, Ex-Personalratsmitglied und Betriebratsvorsitzender, seit 1991 wieder Lehrer an Hanauer Grundschulen mit jeweils 75 bis über 85% SchülerInnen nichtdeutscher Muttersprache, ist Chorleiter und schreibt Kinderbücher und -Lieder zusammen mit seinen SchülerInnen. (und manchmal auch andere Texte). Hartmut Barth-Engelbart, Bachgasse 1, 63584 Gründau, Tel.: 06058-1460/ Fax: 06058-906614

Leserbrief

zu Brumliks Angriffen auf den Muttersprachlichen Unterricht, auf basale wissenschaftliche Erkenntnisse und gewerkschaftliche Grundpositionen in E&W 2/2000

Zehn Antithesen

Der MU wurde nicht erkämpft, um Arbeitsimmigranten rückkehrfähig zu machen.

Die Streichung des MU ist eine deutschtümelnde Ausschöpfung neuer „Sparpotenziale", die in Brumliks Thesen grünlich getüncht als Integrationsförderung verkauft wird.

Jede Hochsprache ist ein zur Herrschaftssprache gemachter Mischslang aus unterschiedlichsten Sprachen, die ihrerseits wieder Mischslangs waren......

Wer (als Kind) keine muttersprachlich-semantischen Strukturen entwickelt, kann auch keine differenzierte Semantik in einer Zweitsprache entwickeln, bleibt doppelter Analphabet.

Nicht die „kräftigsten und dynamischsten" wandern aus, sondern die relativ „kräftigsten und dynamischsten" unter den Ärmsten, die „kräftigsten und dynamischsten" können in ihren Ländern in aller Regel relativ gut durchkommen, es sei denn sie sind politisch zur Flucht gezwungen. Dass deutsche Anwerber sich keine zu alten und kranken Arbeitskräfte aussuchen, ist bei deutschen Selektionsfähigkeiten selbstverständlich.

Brumliks „Beweis-Türken" für die Überflüssigkeit des MU, die Schriftsteller Feridan Zaimoglu und Rafik Shami sind beste Zeugen für die Notwendigkeit des MU: nur auf dem Hintergrund eines differenzierten Muttersprach-Codes waren sie in der Lage, sich zu auch deutschsprachigen, deutschschreibenden Schriftstellern zu entwickeln.

Aus Brumliks „kostenfreiem Erwerb der herrschenden Verkehrssprache" wird ohne den MU eine Lebenschancen kostende zweifache Halbsprachlichkeit.

Diese Halbsprachlichkeit zementiert die Immigranten auf einem sprachlichen Niveau, das ausreicht für das „Verstehen" einfacher Anweisungen, Verbote, Regeln. Aber mehr sollen sie ja auch nicht können.

Es gibt nicht DIE Emigrationssoziologie, es gibt verschiedene soziologische Untersuchungen und es gibt „erkenntnisleitende Interessen"

Der MU ist keine „ethnisch beschränkte Zuschneidung des Sprachunterrichte", das behaupten manche Stammtisch-Bruderschaften und notorisch populistische Kultussparbürokraten. Als Erziehungswissenschaftler weiß Herr Brumlik das genau. Warum er das Gegenteil behauptet, ist mir kein Rätsel.

Warum die E&W einem Propagandisten kultusministerieller Kaputtsparpolitik 3 hervor-ragende Seiten und bestes Layout widmet, ist mir dagegen ein Rätsel. Die etwas schwach geratene Entgegnung Liebe-Harkorts versteckt die E&W in einer Bleiwüste und an schlechtere Stelle.

Meine Antithesen sind erläuterungsbedürftig. Es gäbe zu Herrn Brumliks wissenschaftlich unhaltbaren Mainstream-Ausführungen noch viel Notwendiges zu sagen. Nach Auskunft der Redaktion soll man/frau nicht mehr als 40 Zeilen à 30 Zeichen dazu schreiben.

Die Erläuterungen und die dazugehörige Polemik gegen einen eventuell kommenden „grünen" Kultusminister Brumlik sind in meiner 1. Stellungnahme enthalten, die der Redaktion zu lang und zu polemisch erschien. Jetzt hoffe ich auf den Abdruck dieser polemikfreien Inhaltsangabe ohne jeglichen wissenschaftlichen Begründungszusammenhang. Wenig förderlich zwar für den wissenschaftlichen und gewerkschaftlichen Diskurs, aber so sind sie halt die Sachzwänge.

Knapper ging‘s nun wirklich nicht

mit freundlichen Grüßen

Liebe KollegInnen,

ganz verkneifen kann ich mir’s nicht (und das braucht ihr nicht in’s Heft zu bringen), seit fast 30 Jahren bin ich gewerkschaftlich aktiv, ob als Mitglied des Landesvorstandes des AjLE der GEW, als Mitglied der Streikleitung der Lehrbeauftragten in Hessen 1972, als Personalratsmitglied im Studienseminar 12, als Betriebsratsvorsitzender und Mitglied des Beratungsvorstandes der ÖTV Hessen im privaten Transport- und Verkehrsgewerbe oder als Arbeitnehmervertreter in der Prüfungskommission der IHK Frankfurt... und dann soll ich mich bei einer nicht gerade peripheren gewerkschaftlichen Auseinandersetzung mit Arbeitgeberpositionen auf 40 Zeilen beschränken und mich in die Leserbriefspalten verkrümeln? Wenn’s der Stärkung unsrer Kampfkraft dient, dann gerne!

Ich hätte mir - nach dem zum gleichen Thema in die Hose gegangenen bzw. zum Propagandaforum für abgehalfterte EU-Politiker verkommenen Kongress der GEW Hessen - in der E&W eine wissenschaftlich fundierte Position als „advocatus diaboli" gewünscht, bei der man nicht erst so viel Schrott und Schutt abräumen muss um zur eigentlichen Sache zu kommen. Brumliks rundum Hauen und Stechen macht es schwer zu entscheiden, wo man ihm als erstes des Ministers neue Kleider herunterziehen soll. Da ist wirklich alles Jacke wie Hose, bei genauem Hinsehen fadenscheinig und durchsichtig. Eigentlich nichts dran. Aber es hinterlässt bei vielen, die sich in der Materie nicht auskennen, mächtigen Eindruck, ist topp zugeschnitten und lässt um so leichter daran glauben, als es den smalltalk in der Ministerrunde wie im Lehrerzimmer ebenso wie die Stammtischparolen mit intellektuellen Wendungen bereichert, mit SCHLAG-Worten munitioniert, gespendet durch einen leibhaftigen Wissenschaftler. Es bestärkt und legitimiert die eigene Affinität zu „jetzt reicht’s aber!", täglich gehört, manchmal auch selbst leise gedacht. Scheiße ist gesund, Millionen Fliegen können es beschwören. Endlich gehören wir zur Mehrheit. Ein unheimlich heimeliges Gefühl. Und gleich nach dem „Jetzt reichts aber!" grölt die Meute: „Jetzt geht’s lo-os!"

Mit freundlichen Grüßen.

P.S.: Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt der für die Beibehaltung bzw. den Ausbau des Muttersprachlichen Unterrichts spricht ist die Tatsache, dass mir von heut auf morgen immer wieder Kinder abgeschoben werden, Kurden, Albaner, Bosnier........... Heute wurde wieder eine Zehnjährige mit ihrer Familie in den Kosovo abgeschoben, pünktlich zusammen mit der Meldung, dass große Gebiete durch Urangeschosse der Nato verseucht sind. Ich kann gar nicht so viel schreiben wie ich kotzen muss.

Die meisten Kinder nehmen ihre Zwangs"rückführung" in unbeschreiblich grausame Verhältnisse sprachlos bis apathisch hin. Zu wünschen ist, dass sie nicht doppelt sprachlos bleiben - ohne ausreichende muttersprachliche Kenntnisse.

Nachtrag:
der Kerl bereitet mir schlaflose Nächte.

Im Bereich seiner Kriegspropaganda für den (Bundeswehr-)Einmarsch in Jugoslawien, für den Einsatz von (auch deutschen) Bodentruppen war es einfacher daegen zu argumentieren. Jetzt distanziert sich ja sogarvon dem Flächenbombardement in Afghanistan.

Seine Positionen als Bellizist lässt mich relativ kalt (obwohl er viele grüne, kirchliche, geisteswissenschaftliche Kräfte in den Kriegsbefürworterstrudel zieht).

Schlimmer ists mit der Sprachgeschichte, schlimmer deshalb, weil ich auf jede seiner demagogisch angerissenen Thesen, Behauptungen mit mindestens drei oder vier anderen, besseren Untersuchungen und deren Ergebnissen antworten müsste.

Können tät ichs, wenn ich die Zeit, die Energie dafür hätte und wie der Herr Brumlik für solches relativ freigestellt wäre.

Ich muss bei der Gegenargumentation auf angrenzende Gebiete ausweichen - also z.B. auf die Entwicklung von Musikalität, Rhythmusempfindung, Intelligenz in Beziehung zur Musikalität der Mutter/ des familiären Umfeldes (wobei da nicht gemeint ist, dass eine Mutter Geige spielen können und ein absolutes Gehör haben muss, um ein Kind musikalisch zu "machen").

Es ist auch hier eine Frage des erkenntnisleitenden Interesses, ob ich die Forschungsergebnisse finde oder nicht, publiziere oder nicht, ob ich sie finanziert kriege oder nicht.

Immigranten(kinder) haben keine Lobby, die einen Forschungsauftrag erteilen würde, die Feldversuche finden ehrenamtlich nebenbei in den Regelschulen statt, werden in der Literatur nicht genannt, sind nicht "wissenschaftlich". Ich müsste vielleicht zusammen mit anderen eine PR-trächtige Reihe von Erfahrungsberichten zum Thema veröffentlichen. Aber wer will die denn lesen? Und wer gibt mir die Energie und die Zeit, die ich in ein solches Unternehmen mit zweifelhaftem Ausgang investieren müsste?

Mir scheint die Arbeit mit den Kindern in der Schule an vielen (auf dem Boden bleibenden) Projekten sinn- und wirkungsvoller, wenn wir mit unserem Kinderchor bei und nach den Konzerten mit den ZuhörerINNEn ins Gespräch kommen.

Alle Brumlik-Thesen, die ich so mühsam akkribisch wissenschaftlich widerlege, wofür ich ebenso mühsam Öffentlichkeit schaffen muss (siehe die Weigerung der E&W Redaktion meine erste Stellungnahme abzudrucken), werden im nächsten Moment von Brumliks aller Sorten durch neue ersetzt, die genauso perfide und unseriös sind und die herrschende Politk legitimieren.

Ich habe nicht den Ehrgeiz und die Energiereserven., als Camus'scher Held in die Annalen einzugehen.

Sysiphus lässt grüßen. Oder heißt er Sisyphus?

Für wen schreibe ich eigentlich? Für meine Frau? Na klar, na immer. Für meine Kinder? Die sind aus diesem Alter raus. Für die Leute? Gestern vielleicht noch aber heute? Jetzt bin ich auf den Hund gekommen, der hört mich gern obwohl, vielleicht auch weil, das Viech versteht nicht einen einzgen Satz. Jetzt denk ich mir , am besten wärs ich schreibe was ich schreibe nur noch für mich und publizier es für die Katz.

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