55 Organisationen warnen: Tiefpunkt bei europäischer Asylreform noch nicht erreicht!

Nachdem die Einigung der EU-Innenminister*innen am 8. Juni 2023 über massive Verschärfungen im EU-Asylrecht bereits starke Kritik hervorgerufen hat, warnen nun die Nobelpreisträgerorganisation IPPNW und 54 Menschenrechts- & Kinderrechtsorganisationen, Wohlfahrtsverbände und entwicklungspolitische Organisationen vor einer weiteren Untergrabung des Flüchtlingsschutzes.

Der im europäischen Rat vorgebrachte Vorschlag für eine „Verordnung für Ausnahmen im Falle von Krisen, Instrumentalisierung und höherer Gewalt" sieht eine Verzögerung von Registrierungen, die Verlängerung von Grenzverfahren sowie massive Absenkungen bei den Unterbringungs- und Aufnahmestandards, etwa durch brutale Pushbacks an den EU-Außengrenzen, vor. Das Bündnis ruft die Bundesregierung dazu auf, sich gegen diese Verordnung zu stellen und in den Verhandlungen im Rat eine klare rote Linie zu ziehen.

„Die Bundesregierung hat es sich mit dem Koalitionsvertrag zum Ziel gemacht, ‚die illegalen Zurückweisungen und das Leid an den Außengrenzen [zu] beenden'. Die nun diskutierte Verordnung wäre ein weiterer Schritt hin zu einem Europa, in dem grundlegende Werte wie Menschenwürde und Flüchtlingsschutz nicht zählen", heißt es in dem heute veröffentlichten Appell. Mit der unter der schwedischen EU-Präsidentschaft auf den Weg gebrachten Verordnung, an der aktuell unter der spanischen Präsidentschaft weitergearbeitet wird, drohe eine weitere Legitimierung der Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen.

"Von dieser Verordnung sind wieder einmal besonders schutzbedürftige Menschen nicht ausgenommen, sondern eher verstärkt betroffen. Auch Traumatisierte, Menschen mit Behinderungen, Familien und allein reisende Kinder können nach diesem Konzept zurückgeschoben werden oder nach Antragstellung bis zu fünf Monate lang inhaftiert werden", so IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. med. Carlotta Conrad. "Als Ärztinnen und Ärzte kritisieren wir diese Verordnung aufs Schärfste. Sie macht die frühzeitige Identifikation besonders schutzbedürftiger Menschen unmöglich und kann bei Anwendung jede Form medizinischer Versorgung und psychologischer Betreuung der Betroffenen untersagen. Dies widerspricht einer Wahrung der Menschenrechte auch für Menschen auf der Flucht oder in Asylverfahren."

„Dass die Vorschläge zur Instrumentalisierung nach ihrem zwischenzeitlichen Scheitern im letzten Dezember nun erneut diskutiert werden, ist brandgefährlich. Die Bundesregierung muss bei ihrer Position bleiben und diese Rückendeckung für massive Menschenrechtsverletzungen an den Außengrenzen strikt ablehnen! Würde sie ihren Koalitionsvertrag und die darin enthaltene Verpflichtung für Menschenrechte und Flüchtlingsschutz in Europa ernst nehmen, so müsste sie sich aber grundsätzlich gegen die Reform stellen", fordert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.

Die 55 Organisationen stellen gemeinsam fest: „Die ‚Verordnung für den Fall von Krise, Instrumentalisierung und höherer Gewalt' droht an den Außengrenzen den schon bestehenden Ausnahmezustand rechtlich zu zementieren. Das können und wollen wir nicht hinnehmen. Europäisches Recht muss wieder angewendet werden – die vorgelegte Verordnung verbiegt aber das Recht und ermöglicht es, das geltende Recht an den Außengrenzen zu brechen."

Weitere Informationen:
Das Statement in voller Länge: http://news.ippnw.de/commonFiles/Gemeinsames-Statement_GEAS_Nein-zur-Instrumentalisierung-durch-die-Hintertuer_4.07.2023.pdf

Pressemitteilung 5.7.2023