"Auf der Mauer" - Gedenkveranstaltung für Juliano Mer Khamis & Ein Nachruf
Sonntag 17. April 2011, 12.00 Uhr, Mal Sehn Kino, Frankfurt: Wir zeigen den Dokumentarfilm „Arnas Kinder“ (2003): Juliano Mer Khamis dokumentiert die Kindertheatergruppe im Flüchtlingslager Jenin, die von seiner Mutter Arna Mer Khamis gegründet wurde. Anschließend: Filmgepräch mit Tsafrir Cohen, medico-Referent für Israel-Palästina und langjähriger Vertreter von medico international in Ramallah.
Um Kartenreservierung wird gebeten.
http://www.malsehnkino.de
In Erinnerung an Juliano Mer Khamis
- Juliano Mer Khamis während einer Diskussion nach dem Auftritt des Freedom Theatre in Frankfurt/Main im Jahr 2009. Foto: Bärbel Högner
FAZ-Anzeige am 08.04.2011:
Wir trauern um unseren Kollegen, Partner und Freund Juliano Mer Khamis, der mit der Sprache der Dichtung einen Weg in die Freiheit ebnen wollte. Als Sohn einer israelischen Jüdin und eines Palästinensers trug er die Grenze in sich und überschritt sie Tag für Tag, Stunde für Stunde, Herzschlag um Herzschlag.
Am 4. April 2011 wurde Juliano Mer Khamis vor seinem Theater in Jenin kaltblütig ermordet.
• Centraltheater+Spinnwerk Leipzig
• Deutsches Theater Berlin
• European Theatre Convention
• Goethe-Institut
• KinderKulturKarawane
• medico international
• Palestinian Medical Relief Society
• Ruchama Marton für die Physicians for Human Rights Israel
• Schaubühne Berlin
• Theater Freiburg
• Theater & Orchester Heidelberg
• The Freedom Theatre Jenin
• Zentrum Bundesrepublik Deutschland des Internationalen Theaterinstituts e.V.
Juliano Mer Khamis – Sein letzter Tag
Der Abschied entsprach seinem Leben. Der letzte Weg des Juliano Mer Khamis machte die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen zwischen Israelis und Palästinensern schmerzhaft bewusst, doch an jedem Ort, an dem sein Leichnam Station machte, konnten eben diese Grenzen, für einen kurzen Augenblick aufgehoben, ja gesprengt werden.
Es waren bedrückende Momente, als sich am Vormittag Tausende vor dem Al Midan Theatre in der israelischen Hafenstadt Haifa versammelten. Julianos Stadt. Die Menschen strömen hinein ins Dunkle des Bühnenraums, da ist der Sarg aufgebahrt, dann hinaus. Geblendet von der Frühlingssonne bilden sie Menschentrauben. Es sind israelische Palästinenser - manche nennen sie israelische Araber -, jüdische Israelis und mehrere Dutzend Palästinenser aus der Westbank, die eine Sondergenehmigung für den Tag erhalten hatten. Größen der Theater- und Filmbranche, Aktivisten, Nachbarn, die alte Garde der israelischen Kommunisten. Der einzigen Partei, die sich als Heimat beider Völker verstanden hatte und sich dies zum zentralen Slogan machte. In dieser verschlafenen nordisraelischen Stadt gibt es manche Straßen, in denen Juden und Palästinenser selbstverständlicher miteinander leben als anderswo. Und jetzt, eine kurze Momentaufnahme, scheinen diese überschaubaren Koexistenz-Kieze sich auf die zentrale Straße auszubreiten. Da hissen mehrere Aktivistinnen die palästinensische Fahne. Doch die Polizei greift nicht ein und kümmert sich lediglich um den Verkehr, und die Teilnehmer wispern unbeeindruckt weiter auf Hebräisch und auf Arabisch. Immer wieder brechen Menschen in Tränen aus, vor allem die Schauspielschüler und die Mitarbeiter des Freedom Theatre Jenin wissen nicht wohin mit ihrer Trauer, in dieser fremden Stadt ihrer Besatzer, die sie größtenteils zum ersten Mal sehen. Als Jenny, die Witwe kommt, in Schwarz, ihr von blonden Haaren umrahmtes Gesicht kreidebleich, hochschwanger, beherrscht sich kaum noch jemand.
Von Haifa fährt ein Korso nach Jalame, dem berüchtigten Checkpoint nahe Jenin, der Israel von den besetzten Gebieten trennt. Palästinenser aus der Westbank und Gaza erhalten kaum Genehmigungen Israel zu betreten, folglich können viele Wegbegleiter dem Begräbnis nicht beiwohnen. Auf der anderen Seite können jetzt Freunde aus Jenin und der restlichen Westbank um seinen Leichnam trauern. Ein Sonderkorridor wird für den Sarg eröffnet. Es sind israelischen Soldaten und Offiziere, nicht die gewohnten unverschämten Kräfte der privaten Sicherheitsfirmen, die uns empfangen. Mit Respekt. Wir können nicht mit auf die andere Seite, die Sicherheitsprozeduren wären zu umfangreich, wir kämmen nicht rechtzeitig zurück. Zu Hunderten stehen wir am Zaun, schauen auf die andere Seite, auf die Westbank. Das Gefühl der Ohnmacht steigt. Doch als der rote Leichenwagen Juliano und einige Begleiter auf die andere Seite bringt, gibt es stehende Ovationen. Juliano hat diese unüberwindbare Grenze überschritten.
Der rote Leichenwagen kommt zurück, und wir fahren weiter zum Kibbuz Ramot Menashe. Dort ist Arna, Julianos Mutter und Gründerin des Freedom Theatre begraben. Eine Grenzgängerin, Jüdin und Kommunistin, verheiratet mit einem Palästinenser. Da gab es kaum einen Friedhof, der sie aufgenommen hätte. Ein idyllischer Ort, besonders jetzt, während des kurzen Frühlings. Wildmohn, Margariten, Narzissen, sattes Grün der Wiesen wechselt sich ab mit blühendem Mischwald. Hier wird Juliano zu Grabe getragen. Es ist spät am Nachmittag, und die Menschen sind gefasst. Kaum einer bricht noch laut in Tränen aus. Es soll eine richtige Feier sein, keine Trauerfeier, wir sollen klatschen wie nach einem geglückten Theaterabend. Die Reden werden in Arabisch, dann Hebräisch gehalten. Ein jüdischer Aktivist und Holocaustüberlebender spricht, ein palästinensischer Theatermacher, ein israelischer Filmemacher, ein palästinensischer Widerstandskämpfer bzw. Ex-Terrorist. Es klingt selbstverständlich, eine Übersetzung ist irgendwie nicht nötig. Es war ein palästinensisches Ereignis, und es war ein jüdisch-israelisches Ereignis. Und beide Elemente gingen ineinander über, und es war ein Moment selbstverständlichen Zusammenseins. Es wurde Abend, und wir gingen auseinander, jeder an seinen Ort.
Tsafrir Cohen
Anhang: Der Text der Schüler des Freedom Theatres, den sie am Grab rezitierten:
“Juliano, your mother’s children have passed away, your mother Arna has passed away and so did you – but your children are going to stay, following your path on the way to the freedom battle, and we will go on with your revolution’s promise, the Jasmine revolution.
“The Revolutionary message will not pass away. It will come storming the yellow sands and the mountains covered by almond trees, blowing the jasmine revolution out of the freedom fighter’s hands, from here, from the Freedom Theatre’s stage, where men were and are made to be free and engaged in the cultural revolutionary battle for Freedom.
“In thousands of silences only one violin is playing, and in thousands of silences only one voice is rising up, it’s the freedom fighters’ voices, to which you taught how to carry the cultural gun on their shoulders.”
Juliano’s Children
Hier weitere Informationen zur Person Juliano Mer Khamis und zu seiner Arbeit im Freedom Theatre
TAZ-Interview mit Juliano Mer Khamis
Auftritt Freedom Theatre und Juliano in Frankfurt/M.
Bericht über das Freedom Theatre Jenin
medico international, 8.04.2011
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Ein Nachschrei für Juliano Mer Khamis, den Motor, die Seele, den Architekten des Theaters der Freiheit in Dschenin /West-Jordanland/Palästina
Was bleibt, ist -hoffentlich- sein Theater, sein junges Ensemble, das weiterspielt…
Du
Auf Dein Projekt,
Du hast es hier in Frankfurt
Du hast die Youngsters aus den Lagern,
Das war es, was sie treffen wollten:
denn deine Saat ist aufgegangen
Die Kugeln hat man schon vor langer Zeit
jetzt haben ihre Kugeln Dich getroffen
denn Deine Saat ist aufgegangen
und dabei an Dich denken
Dein Platz im Hintergrund bleibt leer
Dein HaBE
Hartmut Barth-Engelbart