Ausstellung: "25 Jahre nach Tschernobyl: Menschen – Orte – Solidarität"

21. bis 31. Mai 2011, St. Katharinenkirche, An der Hauptwache, Frankfurt am Main: Die Wanderausstellung wurde vom Internationalen Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) in Dortmund konzipiert und erstellt. Sie wird im Zeitraum Januar bis Juli 2011 in mehr als 35 Städten in Deutschland, Österreich und den Niederlanden gezeigt. Die Ausstellung präsentiert biografische Erinnerungen von Liquidatoren und Umsiedlern, die Geschichte und Gegenwart der ausgelöschten, evakuierten Orte und die engagierte Arbeit der europaweiten Solidaritätsbewegung.

In Frankfurt wird die Ausstellung getragen von der Stadtkirchenarbeit St. Katharinen, dem Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN und dem Zentrum Ökumene der EKHN:

Die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe sind gravierend. In Belarus, der Ukraine und Russland wurde eine Fläche von über 150 000 km2 auf lange Zeit radioaktiv belastet. Zum Zeitpunkt der Katastrophe lebten in diesen Regionen etwa 7,2 Millionen Menschen, davon 2,2 Millionen in Weißrussland und 2,4 Millionen in der Ukraine.

Für die Katastrophenbekämpfung wurden zudem über 600.000 gemeinhin als „Liquidatoren“ bezeichnete Menschen eingesetzt.

Zeitzeugen aus Weißrussland berichten vor Schulklassen und Gruppen von Ausstellungsbesuchern über ihre Erfahrungen.

IBB initiiert Projekt gegen das Vergessen und Verdrängen

Am 26. April 2011 wird sich die Reaktorexplosion im Atomkraftwerk Tschernobyl zum 25. Mal jähren. Der im April 1986 freigesetzte radioaktive Fall-out betraf alle europäischen Länder. Durch Tschernobyl wurde folglich die mit technologischen Katastrophen verbundene grenzüberschreitende Bedrohung erstmals Realität. Tschernobyl löste daher bei vielen Menschen einen „anthropologischen Schock“ (Ulrich Beck) aus und wurde zu einer gängigen Metapher für globale Umweltkatastrophen und andere große gesellschaftlichen
Erschütterungen. Die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe sind gravierend. In Belarus, der Ukraine und Russland wurde eine Fläche von über 150 000 km2 auf lange Zeit radioaktiv belastet. Zum Zeitpunkt der Katastrophe lebten in diesen Regionen etwa 7,2 Millionen Menschen, davon 2,2 Millionen in Belarus und 2,4 Millionen in der Ukraine. Für die Katastrophenbekämpfung wurden zudem über 600.000 gemeinhin als „Liquidatoren“ bezeichnete Menschen eingesetzt.

All diese Menschen sind langfristig erheblichen zusätzlichen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, die durch die Strahlenbelastung und ihre Begleitprobleme bedingt sind.

Die Idee: „Tschernobyl: Menschen – Orte – Solidarität“

Heute droht die mit Tschernobyl verbundene „letzte Warnung“ (Robert Gale) allerdings zunehmend in Vergessenheit zu geraten. Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund möchte daher mit der Stiftung Mercator und in Kooperation mit dem europäischen Verein EUSTORY sowie der Internationalen Bildungs- und Begegnungsstätte „Johannes Rau“ Minsk im Umfeld des 25. Jahrestags dazu beitragen, die mit Tschernobyl verbundenen drängenden Fragen im europäischen Gedächtnis zu verankern. Auf inhaltlich und methodisch vielfältigen Wegen sollen durch das Prisma Tschernobyl gesellschaftliche Lernprozesse im Umgang mit den globalen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft ermöglicht werden.

Im Mittelpunkt stehen folgende Fragen:

  • Welches Vermächtnis hinterlässt Tschernobyl? Wie muss Tschernobyl im Bewusstseins der Interdependenz in Europa bei Umwelt-, Klima- und Energiesicherheitsfragen bewertet werden?

  • Welche Gründe gibt es für das weitgehende kollektive Verdrängen und das Vergessen von Tschernobyl? Wie nehmen zum Beispiel junge Menschen heute Tschernobyl wahr?

  • Wie sieht die grenzüberschreitende Solidaritätsbewegung in Europa und anderswo aus? Was hat sie geleistet, was konnte sie bewirken?

  • Und schließlich: Wie leben die betroffenen Menschen in Belarus und der Ukraine heute mit der Katastrophe? Wie hat dieses Ereignis ihr Leben verändert?

Die Bedeutung der Reaktorkatastrophe wird dabei aus drei Blickwinkeln beleuchtet. Unter dem Motto „Menschen – Orte – Solidarität“ werden vergessene oder verdrängte Aspekte von Tschernobyl wieder wahrnehmbar und sichtbar gemacht. Ermöglicht wird dies durch Begegnungen und Diskussionen, in der individuellen Erinnerungsarbeit und durch die historiographische oder alltagsgeschichtliche Nachforschung. Um der grenzüberschreitenden Bedeutung von Tschernobyl gerecht zu werden, ist bei allen Maßnahmen und Veranstaltungen ein europäischer Bezugsrahmen gegeben.

Die Teilnehmer des Projekts kommen aus West-, Mittel- und Osteuropa.

Schwerpunkt Menschen: „Vergessene Retter Europas“

Feuerwehrmänner vor dem Denkmal in Tschernobyl.

Die Dimension einer Katastrophe wie die von Tschernobyl erschließt sich nicht nur in der Nennung von Zahlen, begreifbar wird das Unfassbare erst im individuellen Schicksal: Für Millionen von Menschen in Belarus, der Ukraine und Russland stellte der 26. April 1986 einen einschneidenden biographischen
Bruch dar, der ihre Lebensbedingungen auf dramatische Weise verändert
hat. Wenig bekannt ist das Schicksal der Liquidatoren, welche die akuten Evakuierungsmaßnahmen, Lösch- und Aufräumarbeiten durchführten. Sie wirkten auch an der Errichtung und Wartung des um den zerstörten Reaktor errichteten Schutzmantels („Sarkophag“) mit.

Was ist aus all den Helfern geworden, die unter Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens eine möglicherweise noch weit größere Katastrophe von Europa abgewendet haben? Das Projekt zielt auf die Aufarbeitung und Dokumentation einer vergessenen Gruppe von Menschen, die Helfer und Opfer zugleich waren und sind.

Verlassene Stadt Prypjat.

50 belarussische und ukrainische Menschen mit unterschiedlichen biographischen Hintergründen (Feuerwehrleute, Soldaten, Ärzte, Ingenieure, etc.) werden daher in Interviews und Zeitzeugengesprächen zu Wort kommen. Sie erhalten die Möglichkeit, von Januar bis April 2011 an 25 Orten, in Schulen oder Abendveranstaltungen, von ihrem Leben, ihren Erfahrungen und den konkreten Folgen von Tschernobyl zu berichten.

Der Fotograf Rüdiger Lubricht, der durch seine künstlerischen Arbeiten zu Tschernobyl – u.a. zur Geisterstadt Prypjat in unmittelbarer Nähe des Atomkraftwerks – bekannt geworden ist, gestaltet im Vorfeld des Jahrestags eine Fotoausstellung zu den Katastrophenhelfern. Die Ausstellung wird ab Januar 2011 unter dem Titel „Liquidatoren – die vergessenen Retter Europas“ zu sehen sein. Sie kann parallel zu den Veranstaltungen mit den Zeitzeugen an 25 Orten eingesetzt werden. Interessierte Organisationen und Institutionen können über das IBB Dortmund zwei Zeitzeugen einladen und die Ausstellung kostenlos für eine Woche buchen. Die Reisekosten und die organisatorische Begleitung übernimmt das IBB Dortmund.

Schwerpunkt Erinnerungsorte: „Tschernobyl war überall“

Das Atomkraftwerk Tschernobyl.

Tschernobyl ist ein kleiner Ort im Norden der Ukraine, der nur 15 Kilometer von der belarussischen Grenze entfernt liegt. Vor dem 26. April 1986 hatten wenige Europäer von ihm gehört. Drei Tage nach der Reaktorexplosion war der Standort des Kernkraftwerks in aller Munde. Im Rahmen des Akademieprogramms von EUSTORY fragen 25 Jahre später 50 junge Menschen aus ganz Europa, die zum Zeitpunkt des Unglücks noch nicht geboren waren, wie die Katastrophe damals in ihrem Heimatort wahrgenommen wurde.

Beginnend mit der lokalen Recherche werden die jungen Europäer zu Tschernobyl forschen und sich zwischen September 2010 und Februar 2011 in einem moderierten Internetseminar (E-learning) austauschen.

Sie werden zum Beispiel der Frage nachgehen, welchen Widerhall Tschernobyl damals in den Medien fand oder wie Tschernobyl heute in den Schulbüchern vorkommt. Auch der Frage, welche Bedeutung Tschernobyl jeweils für die Energiepolitik ihres Landes hat, wird bearbeitet.

Eine Studiengruppe aus 22 jungen Europäern wird darüber hinaus Gelegenheit haben, sich in Belarus mit Umsiedlern oder Liquidatoren zu treffen und europäische Hilfsprojekte kennenzulernen. Die gewonnenen authentischen Eindrücke werden ebenfalls in das virtuelle Diskussionsforum einfließen. Das Internetprojekt schließt mit einem einwöchigen Auswertungsseminar in Berlin ab. Durch dieses dreiteilige Jugendbildungsprogramm sollen junge Menschen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Tschernobyl angeregt und für die gegenwarts- und zukunftsrelevanten Fragestellungen (Klima, Energie, Umwelt) nachhaltig sensibilisiert werden.

Schwerpunkt Europäische Solidarität: „Grenzen überwinden“

Wenig bekannt ist die Tatsache, dass Tschernobyl eine beispiellose internationale Solidaritätsbewegung ins Leben gerufen hat. Zahllose Initiativen haben in den letzen zwei Jahrzehnten ein breites Spektrum an grenzüberschreitender Hilfe und Partnerschaft entwickelt: Von der Kindererholung, der medizinischen und technischen Unterstützung bis zu sozialen oder ökologischen Projekten. Allein in Deutschland haben sich in den 1990er Jahren über 1000 Initiativen gebildet, die durch Spenden und ehrenamtliche Arbeit in Belarus und der Ukraine zum großen Teil bis heute umfangreiche Hilfen leisten.

Erstes Treffen auf europäischer Ebene

Im Rahmen des Projekts „25 Jahre nach Tschernobyl“ wird erstmals eine persönliche Begegnung und Vernetzung der zahlreichen Tschernobylinitiativen auf europäischer Ebene ermöglicht. So werden bei der Internationalen Partnerschaftskonferenz in Minsk im April 2011 mindestens 60 Vertreter von europäischen Hilfsorganisationen eingeladen. Ziel ist es, aus den bisherigen Erfahrungen der Partner neue Perspektiven der Hilfe und der europäischen Zusammenarbeit zu gewinnen. Dabei wird die Gründung eines europäischen Netzwerks von zivilgesellschaftlichen Tschernobylinitiativen auch durch das Internetforum http://www.ost-west-initiativen.de des IBBs unterstützt. Hier können Hilfsorganisationen ihre Arbeit vorstellen, Kontakte knüpfen und in einem eigens eingerichteten „Tschernobyl-Forum“ aktuelle Fragen, Aktionen und Events diskutieren. Im Internetportal sind auch Erinnerungen und Interviews von Liquidatoren nachzulesen.

Mehr Informationen zu Ausstellung und Begleitprogramm in Frankfurt: