Filmreihe: Film-Deutschland Ost – Außenseiter und Einzeltäter 1965 bis 1990

Filmreihe: Film-Deutschland Ost – Außenseiter und Einzeltäter 1965 bis 1990

Von Freitag, 11. bis Sonntag, 13. August 2023 im Festsaal im Studierendenhaus, Campus Bockenheim: acht Programme, davon zwei Spielfilme und voraussichtlich sechs gemischte Kurzfilmblöcke mit Animations-, Dokumentar- und Experimentalfilmen.

Das Ende der DDR und ihres filmischen Monopolbetriebs DEFA liegen inzwischen mehr als 30 Jahre zurück. Noch immer wird die ostdeutsche Kultur als geschlossenes System wahrgenommen, das, von kurzen liberalen Phasen abgesehen, die restriktiven Vorgaben der Sozialistischen Einheitsartei stur reproduzierte. Dieser Eindruck ist weitgehend zutreffend, gleichzeitig aber doch unvollständig. Denn leicht werden dabei Ausdifferenzierungen und Regelverstöße übersehen. Gerade weil bei Abweichungen jederzeit mit Repressionen gerechnet werden musste, die schlimmstenfalls zum Abbruch von Karrieren führten, sind die Leistungen der Unangepassten umso höher zu bewerten. Dieser Balanceakt fiel auf dem Gebiet des Films besonders riskant aus – war doch hier im Vergleich zu Literatur, Musik oder Bildender Kunst das Zensursystem viel tiefer gestaffelt. Das von Lenin als „wichtigste Kunst“ eingestufte Kino wurde von den Kontrollinstanzen in besonderem Maße beargwöhnt. Auf die Leinwände sollte nichts gelangen, was dem aktuell ausgerufenen Kurs in irgendeiner Weise zuwider laufen könnte. Jeder Film, „der nicht ausschließlich für den privaten Gebrauch“ hergestellt wurde, unterlag der Genehmigungspflicht, hieß es im in einem Gesetzblatt der DDR-Justiz. Wer dagegen verstieß oder dieses Gebot ignorierte, machte sich strafbar. Filmemachen wider die Regeln war also potentiell eine kriminelle Tätigkeit.

Über den von Günter Gaus in den Diskurs eingebrachten Begriff der DDR als „Nischengesellschaft“ ließe sich lange streiten. Im kulturellen Bereich gab es ohne Zweifel solche Nischen, in denen Grenzen des Machbaren ausgetestet und damit erweitert wurden; auch im Film. Trotz latenter Behinderung und konkreter Restriktionen gab es im Rahmen dieses Ausprobierens auch zahlreiche Grenzüberschreitungen, sind filmische Tabubrüche nachweisbar. Es traten Einzelpersonen und kleine Gruppen auf, die mit ihren Arbeiten die staatlichen Vorgaben unterliefen und diese damit ad absurdum führten. Vor allem an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg, im DEFA-Studio für Dokumentarfilme sowie in der autonomen DDR-Kunstszene entstanden unangepasste kurze und lange Filme, denen zwar der Austausch mit der westlichen Moderne fehlte, die aber aus heutiger Perspektive keinen Vergleich mit dieser zu scheuen brauchen.

Unsere geplante Filmreihe „Film-Deutschland Ost – Außenseiter und Einzeltäter 1965 bis 1990“ wird solche Vorstöße in Erinnerung bringen und durch die Wiederaufführung im Kino würdigen. Ein thematischer Schwerpunkt liegt dabei auf Jugendkulturen, widmet sich z.B. Heranwachsenden, die aus den bereitgestellten Rastern fallen oder mit der Justiz in Konflikt geraten. Dies ist kein Zufall – waren doch die Regisseur*Innen selbst auch noch junge Menschen, die versuchten, sich innerhalb des Systems zu orientieren. Diese Suche führte in mehreren Fällen zu ihrer eigenen Kriminalisierung.

Der Großteil des Programms besteht aus dokumentarischen Arbeiten. Dies hat einen einfachen, wenn auch paradoxen Grund. Spielfilme galten in der DDR als wirkungsmächtigste Form der Filmkultur. Nach dem 11. Plenum des ZK der SED (1965) war es nahezu unmöglich geworden, subversive Botschaften in fiktionalen Filmen unterzubringen und an der Zensur vorbei zu schmuggeln. Das Kontrollsystem war derart „erfolgreich“, dass fast keine Filme mehr nach ihrer Fertigstellung verboten werden mussten. Im als ohnehin unpopulär eingestuften DEFA-Dokumentarfilm war die Zensur oft etwas nachlässiger. Dennoch gab es auch hier Verbote.

In dem Programm überwiegen dokumentarische Kurzfilme, die meist als Vorfilme in den Kinos eingesetzt wurden. Wichtig bei der Auswahl waren uns ungewöhnliche formale und/oder thematische Ansätze. Eine ganz besondere Sprengkraft entfaltete sich allerdings erst dann, wenn mit den inhaltlichen Tabubrüchen auch eine Befreiung der filmischen Form verbunden war. Es reichte eben nicht, bislang heikle Themen ins Zentrum zu rücken. Erst durch adäquate ästhetische Lösungen wurde eine neue d.h. bleibende Qualität erreicht. Wenn zum Beispiel Thomas Heise in seinem einzigen DEFA-Film Imbiß Spezial (1989) die Abläufe in einer Bahnhofs-Schnellgaststätte beobachtet, sind es gerade der lakonische Stil und der beengte Raum, der diese 27 Minuten zum Fin-de-Siècle-Dokument von hohem Rang macht. Jeder Kommentar hätte die Wucht dieser Parabel zerstört.

Im Studio für Trickfilme in Dresden wurden hauptsächlich Kinderfilme produziert. Auch in diesem Windschatten konnten Freiräume erkämpft werden. So schaffte es die als Dramaturgin angestellte Marion Rasche, unangepasste Bildende Künstler wie Lutz Dammbeck, César Olhagaray oder Helge Leiberg ins Atelier einzuladen und damit den erstarrten Formenkanon der DDR-Animationskinos aufzubrechen. Hier ergibt sich eine spannende Schnittstelle zur künstlerischen Alternativkultur der DDR, die sich spätestens ab 1976 herausbildete. Auf 16mm und Super-8 experimentierten Maler, Dichter, Musiker und andere filmische Autodidakten mit einem Medium, zu dem es normalerweise für Quereinsteiger keinen Zugang gab. Dass diese Szene im letzten DDR-Jahrzehnt immer selbstbewusster auftrat, war auch ein Ergebnis der zunehmenden innenpolitischen Erosion.

Wir zeigen mindestens acht Programme, davon zwei Spielfilme und voraussichtlich sechs gemischte Kurzfilmblöcke mit Animations-, Dokumentar- und Experimentalfilmen, fast überwiegend in ihrem (inzwischen kaum noch sichtbaren) analogen Originalformat, darunter auch mit raren Super8-Kopien!

Alle Vorführungen werden von Einführungen und Diskussionen begleitet. Die Mehrzahl der ausgewählten Filme dürften überhaupt zum ersten Mal in Frankfurt am Main zu sehen sein.

Das Programm: https://www.filmkollektiv-frankfurt.de/veranstaltungen/film-deutschland-ost