Pläne zur Verlängerung der Altfallregelung auf der Innenministerkonferenz: Beim Bleiberecht regiert die Politik der Kälte

In dem Positionspapier „Hartherzige Vorschläge zum Bleiberecht“ analysieren PRO ASYL und Flüchtlingsräte die Schwachstellen und Defizite der kursierenden Vorschläge zur Verlängerung der Altfallregelung aus den Landesinnenministerien:

Flüchtlingsorganisationen zu den Vorschlägen einiger Landesinnenminister im Vorfeld der Innenministerkonferenz

Das politische Versprechen, die Kettenduldungen abzuschaffen, wurde bis heute
nicht eingelöst. Am 17.11.2006 hat die Konferenz der Landesinnenminister eine
Bleiberechtsregelung verabschiedet. Ihr folgte eine gesetzliche Altfallregelung, die im
Rahmen des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom Gesetzgeber beschlossen wurde
und am 28.8.2007 in Kraft trat. Beide Regelungen haben nicht dazu geführt, dass der
überwiegende Teil der langjährig Geduldeten einen Aufenthaltsstatus erhielt, der sie
vor Abschiebung schützt. Restriktiv gefasste Ausschlussgründe und die Festlegung
auf einen Einreisestichtag ließen viele Geduldete von vornherein ohne Chance auf
ein dauerhaftes Bleiberecht. 

Selbst die Gruppe der zunächst Begünstigten könnte mehrheitlich Ende 2009 in die
Kettenduldung zurückfallen und damit Gefahr laufen, alsbald abgeschoben zu
werden. Von den 60.000 erteilten Aufenthaltstiteln wurden die Hälfte nur auf Probe
erteilt. Bis zum 31. Dezember 2009 müssen die Betroffenen einen Arbeitsplatz
nachweisen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt zum überwiegenden Teil und aus
eigener Kraft verdienen. Das wird der Mehrheit von ihnen nicht möglich sein. Wird
auf politischer Ebene keine Neufassung der Altfallregelung beschlossen, müssen sie
mit der Zurückstufung in die Duldung rechnen. 

Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt,
zeitgerecht eine „angemessene Regelung“ zu finden. Ob die Konferenz der
Landesinnenminister (IMK) oder der Bundesgesetzgeber über eine solche Regelung
entscheiden soll, wurde offen gelassen. Derzeit deuten die Äußerungen der Politik
darauf hin, dass auf der kommenden Sitzung der Innenministerkonferenz Anfang
Dezember 2009 eine Regelung getroffen werden könnte.

Zu den Vorschlägen der Innenminister zur Altfallregelung

Es kursieren einige Vorschläge von Landesinnenministern, wie mit dem Auslaufen
der Altfallregelung am 31.12.2009 umgegangen werden soll. Von verschiedener
Seite sind Vorstöße gemacht worden, die auf eine Verlängerung der Altfallregelung
abzielen. Die Vorschläge sollen nachfolgend kommentiert werden.

1. Verlängerung der Altfallregelung nach dem Niedersächsischen Modell / Vorschlag der unionsgeführten Bundesländer
Der niedersächsische Innenminister will eine Verlängerung der gesetzlichen
Altfallregelung für nur ein Jahr und nur für einen Personenkreis akzeptieren, der
berechtigte Aussicht hat, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit eigenständig
zu sichern, und sich in der Vergangenheit, wenn auch erfolglos, um Arbeit bemüht
hat. 
Weiterhin ist zu hören, dass aus den übrigen unionsgeführten Ländern eine
Regelung zur Verlängerung um zwei Jahre diskutiert wird, die ansonsten dem
Niedersächsischen Modell ähnelt. Insbesondere ist auch das Bemühen um Arbeit
und eine günstige Prognose zur Arbeitsmarktintegration vorgesehen.
Diese Vorschläge bleiben weit hinter den Forderungen von Wohlfahrtsverbänden,
Kirchen und Menschenrechtsorganisationen zurück.
Mit unbestimmten Rechtsbegriffen („berechtigte Aussicht“, „um Arbeit bemüht“) wird
den Ausländerbehörden ein weites Ermessen darüber eingeräumt, wer noch eine
Chance erhalten soll, im nächsten Jahr ein Aufenthaltsrecht durch Nachweis einer
Erwerbstätigkeit zu erlangen. Völlig unberücksichtigt bleibt dabei, welche Angebote
und Anstrengungen die Arbeitsverwaltung unternommen hat, um Flüchtlinge bei der
Suche nach Arbeit zu unterstützen. Wenn von der ARGE keine
Vermittlungsbemühungen (Bewerbungskurs, Anpassungsqualifizierungen,
Ausbildung, passende Jobangebote) ausgegangen sind, darf die Verlängerung nicht
mit dem Hinweis abgelehnt werden, der Betreffende habe sich nicht bemüht. 
Hinzu kommt, dass man die Aufenthaltserlaubnis weiterhin nur auf Probe erteilen will
– allerdings unter diesen neuen Anforderungen. Es ist unverhältnismäßig, eine bloß
ein- bzw. zweijährige Verlängerung noch unter verschärfte Bedingungen zu stellen.
Angesichts der derzeitigen Wirtschaftskrise ist es für die meisten Betroffenen
schwierig, eine berechtigte Aussicht auf eine Arbeitsmarktintegration im nächsten
Jahr zu begründen.
Die Arbeitsmarktintegration ist für die Betroffenen aber auch unabhängig von der
Wirtschaftskrise schwer, weil sie über Jahre vom Arbeitsmarkt ferngehalten wurden.
Sie durften entweder gar nicht arbeiten oder erhielten nur unter der Bedingung einen
Job, dass sich kein Deutscher und kein Migrant mit Vorrechten, etwa aus einem
Staat der EU, finden ließ. In Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit bedeutete diese so
genannte „Vorrangregelung“ faktisch ein Arbeitsverbot, da sich für die raren Stellen
immer vorrangig zu berücksichtigende Arbeitssuchende fanden. Ebenso führte die
zwangsweise Unterbringung in Lagern, wie sie in einigen Bundesländern betrieben
wird, häufig zu einem Ausschluss von normalen Arbeitsmöglichkeiten. Die
Residenzpflicht, die einen Umzug in Regionen mit besseren Jobangeboten
unmöglich macht, tat ihr übriges.
Die zurückliegende Politik der gezielten Desintegration wirkt für die betroffenen
Menschen bis heute fort. Wie sollen sie von jetzt auf gleich einen Job finden,
nachdem sie über Jahre weder an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen noch
praktische Berufserfahrung sammeln konnten?
Die EU hat Flüchtlinge mit prekärem Aufenthaltsstatus mittlerweile als eine Gruppe
anerkannt, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt ist, und finanziert deswegen ein
Programm zur Förderung ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt. In Deutschland gibt
es zahlreiche Projekte und Initiativen, die Flüchtlinge bei der Jobsuche unterstützen.
Auch diese sinnvollen Programme könnten zunichte gemacht werden, wenn die
bestehende Regelung nicht verändert wird. Werden die Betroffenen ab 2010 wieder
in die Kettenduldung getrieben, tritt für sie erneut die Angst vor der Abschiebung in
den Vordergrund. So werden die Bemühungen um die Arbeitsmarktintegration dieser
Personengruppe zunichte gemacht.
 
2. Verlängerung der Altfallregelung der SPD Innenminister/-senatoren
Die SPD Innenminister und -senatoren schlagen eine Verlängerung der
Altfallregelung vor, wenn die Antragsteller
• bis zum 31. Dezember 2009 Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe
gem. § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG waren, 
• den Nachweis erbringen können, dass sie sich ernsthaft und nachhaltig um
die Sicherung des Lebensunterhaltes für die eigene Person, gegebenenfalls
auch für die Familie, durch eigenes Erwerbseinkommen bemüht haben; hierzu
zählt auch die Bewerbung um einen Arbeitsplatz, 
• sich ehrenamtlich gesellschaftlich engagieren. 
Wer die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bekommen wird, soll sie auch
zukünftig unter denselben Voraussetzungen verlängern können.
Dieser Vorschlag geht für die Gruppe derjenigen, die nur eine Aufenthaltserlaubnis
auf Probe erhalten haben, in die richtige Richtung. Für sie soll das Erfordernis der
eigenständigen überwiegenden Lebensunterhaltssicherung fallen gelassen werden.
Damit wird anerkannt, dass der Ausschluss vom Erwerbsleben nicht das Versagen
des Einzelnen, sondern Ergebnis der Wirtschaftslage und der jahrelangen
Desintegrationspolitik ist. 
Das Zusatz-Erfordernis des ehrenamtlichen gesellschaftlichen Engagements ist
hingegen abzulehnen. Der Sachzusammenhang zwischen einem Bleiberecht und
dem Ehrenamt ist nicht ersichtlich. Eine existentielle Frage, nämlich das Recht eines
legalen Aufenthaltsrechts und einer Zukunftsperspektive, wird hier mit Aktivitäten
verknüpft, die Teil des Privatlebens sind. In anderen Politikbereichen wird
selbstloses, unentgeltliches Handeln nicht verlangt – man denke nur an Manager und
Banker. Jetzt von den Schwächsten in unserer Gesellschaft auch noch
Wohlverhalten in ihrer privaten Lebensgestaltung zu verlangen, ist kein
nachvollziehbarer Ansatz im Umgang mit hier integrierten Menschen.
Unangemessen ist das Kriterium auch deswegen, weil viele Betroffene objektiv gar
nicht in der Lage waren, ein Ehrenamt zu bekleiden – wenn sie zum Beispiel über
Jahre in Lagern leben mussten und so von gesellschaftlicher Teilhabe
ausgeschlossen worden sind.

3. Warum die bisherigen Vorschläge der Landesinnenminister nicht ausreichen?
Ebenso wie das Modell aus Niedersachsen/Unions-Modell hält das SPD-
Innenminister-Modell an den restriktiven Voraussetzungen der Altfallregelung fest,
durch die 60.000 langjährig Geduldete vom Bleiberecht ausgeschlossen werden.

Geburtsfehler Einreisestichtag soll bleiben
Die Altfallregelung hat den Geburtsfehler, dass über einen Einreisestichtag bereits
die Zahl der potenziell Begünstigten halbiert wurde. Wer am 1. Juli 2007 seit sechs
Jahren (Familien) oder seit acht Jahren (Alleinstehende) im Land war, für den gilt die
Regelung. Dies waren aber nur 50 Prozent der damals rund 200.000 Geduldeten.
Mittlerweile leben weitere 60.000 Geduldete seit über sechs Jahren in Deutschland,
die den Stichtag für die Bleiberechtsregelung aus dem Jahr 2007 verpasst haben.
Das Problem, das angeblich gelöst werden sollte, ist nicht gelöst, solange die
restriktive Asyl- und Einwanderungspolitik hierzulande immer weitere
Kettenduldungen hervorbringt.

Festhalten an Ausschlussgründen
Die Altfallregelung enthält zudem eine lange Liste an Ausschlussgründen.
Ausgeschlossen vom Bleiberecht sind Personen, die „behördliche Maßnahmen zur
Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben“. Ebenfalls
ausgeschlossen werden Personen, die „die Ausländerbehörde vorsätzlich über
aufenthaltsrechtlich relevante Umstände getäuscht haben“.
Insbesondere der Vorwurf der Passlosigkeit erweist sich in der Praxis als ein
zentrales Problem der Altfallregelung. Ob sich die Betroffenen ausreichend um die
Passbeschaffung bei der Botschaft ihres Herkunftsland bemüht haben, ist zwischen
Ausländerbehörde und Betroffenen oftmals höchst umstritten. 
Der Streit geht in der Regel zu Lasten der Betroffenen aus, da diese den erhobenen
Vorwurf, sie hätten sich nicht hinreichend bemüht, zumeist nicht entkräften können.
Dagegen sieht die Behörde allein die Tatsache, dass der Pass nicht vorliegt, als
Beleg für die mangelnden Bemühungen an.
Ebenso umstritten ist in vielen Fällen, ob Ausreisepflichtige über ihre
Staatsangehörigkeit getäuscht haben. In den Fällen staatenloser Libanesen ist
oftmals unklar, ob die Betroffenen um eine bestehende türkische Staatsangehörigkeit
wussten. Den Abkömmlingen in zweiter und dritter Generation ist dies jedenfalls nicht
zu unterstellen. Sie aufgrund des Verhaltens ihrer Eltern zu sanktionieren, ist nicht
gerecht.

Aber selbst in den Fällen, in denen in die Betroffenen ihren Mitwirkungspflichten nicht
nachgekommen sind, sind Ausschlüsse vom Bleiberecht überzogen. Weder in
anderen EU-Ländern (z.B. Spanien) noch in anderen Rechtsgebieten werden frühere
etwaige Verfehlungen derartig lang und nachtragend Betroffenen zur Last gelegt.
Dieser Ansatz sollte zugunsten eines Weges aufgegeben werden, der die faktische
Verwurzelung der Menschen in die hiesige Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt. 

Der Ausschlussgrund wegen strafrechtlicher Verurteilungen von mindestens 50
Tagessätzen und bei ausländerrechtlichen Straftaten von 90 Tagessätzen hat sich in
der Praxis als nicht sachgerecht erwiesen. Hierunter können bereits wiederholt
begangene Kleinstdelikte fallen. Die Grenze von 90 Tagessätzen ist schnell erreicht. 

Ein Beispiel: Asylsuchende werden oft von den Behörden gedrängt, aus ihren
Herkunftsländern Dokumente zu besorgen – selbst aus Ländern, bei denen es
bekanntermaßen kaum möglich ist, offizielle Urkunden zu erhalten (z.B. Somalia).
Kommt der Flüchtling dem Druck nach und lässt sich z.B. eine Geburtsurkunde aus
Somalia schicken, die sich später als gefälscht herausstellt, wird er regelmäßig
wegen Urkundenfälschung verurteilt. Zumeist wird dann die Grenze von 90
Tagessätzen überschritten.
Nicht akzeptabel ist zudem, dass die Verfehlung eines Familienmitglieds zum
Ausschluss der gesamten Familie vom Bleiberecht führt. Diese Form der Sippenhaft
ist unmenschlich und stößt auf gravierende verfassungsrechtliche Bedenken. 

Unterbrechungen des Besitzes einer Duldung / Aufenthaltsgestattung / Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Vielfach haben die Betroffenen in ihrem „ausländerrechtlichen Verlauf“ Lücken. Dies
führt zum Ausschluss von der Altfallregelung. Einige Betroffene, insbesondere gut
integrierte junge Menschen, hatten während ihres langjährigen Aufenthalts in
Deutschland für eine kurze Zeit eine nicht-humanitäre Aufenthaltserlaubnis zur
Ausbildung bzw. zum Studium oder aufgrund einer Eheschließung. Da sie dann nicht
durchgängig geduldet waren, wurde ihr Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung abgelehnt. Dies stellt einen eklatanten
Wertungswiderspruch dar und kann durch eine Änderung der Anforderungen an ein
Bleiberecht dergestalt aufgehoben werden, dass lediglich an Voraufenthaltszeiten
angeknüpft wird.

Kein Bleiberecht für Alte und Kranke 
Der an Krebs erkrankte Flüchtling, der hier jahrelang gearbeitet hat und nun aufgrund
seiner Erkrankung seine Arbeit nicht mehr ausüben kann, wird ohne Erbarmen
ausgeschlossen. Wenn Eltern und Kinder ein Bleiberecht erhalten, bezieht sich
dieses Bleiberecht nicht auf die kranke Großmutter, die ggf. allein abgeschoben wird.
Auch traumatisierte Flüchtlinge haben keine Chance, wenn sie ihren Lebensunterhalt
nicht decken können.
 
4. Unabhängiges Aufenthaltsrecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende? Vorschläge aus Niedersachsen

Der Niedersächsische Innenminister schlägt – neben der oben dargestellten
Verlängerung der Altfallregelung - ein unabhängiges Bleiberecht für gut integrierte
Jugendliche und Heranwachsende vor: Geduldete Flüchtlinge zwischen 15 und 20
Jahren sollen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten, wenn
• ein gewöhnlicher Aufenthalt von acht Jahren in Deutschland vorliegt,
• ein erfolgreicher Schulbesuch von sechs Jahren Dauer oder ein
Schulabschluss nachgewiesen wird,
• eine günstige Sozialprognose abgegeben werden kann.

Eine solche Regelung würde kaum einen weiteren jugendlichen Flüchtling
begünstigen, weil der hier genannte Personenkreis bereits unter die jetzige
Bleiberechtsregelung fällt (Stichdatum 01.07.2001 für Familien). Es handelt sich also
um einen Vorschlag mit dem Ziel, künftig das Phänomen Kettenduldung bei
Jugendlichen und Heranwachsenden einzudämmen. Grundsätzlich sind solche
Denkansätze zu begrüßen.

Allerdings müsste der Vorschlag aus Niedersachen so weiterentwickelt werden, dass
er nicht zu einem Auseinanderreißen von Familien führt. Denn eine
aufenthaltsrechtliche Regelung für Eltern fehlt. Zwar weist der Innenminister darauf
hin, dass die Eltern minderjähriger Kinder – anders als in der verunglückten
Regelung des § 104b AufenthG – ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht, zumindest aber
eine Duldung geltend machen können. Dies gilt aber nur bezüglich minderjähriger
Kinder. Und selbst bei 17-jährigen Kindern ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
an die Eltern in der Praxis eher nicht zu erwarten. 
Sobald die Kinder volljährig sind, steht das Aufenthaltsrecht oder die Duldung der
Eltern erneut zur Disposition. Denn ein vom Aufenthaltsstatus der Kinder abgeleitetes
Aufenthaltsrecht der Eltern gilt nur, so lange die Kinder minderjährig sind. Ein
Aufenthaltsrecht der Eltern ergibt sich insofern gerade nicht "aus der Anwendung der
bestehenden allgemeinen Regeln des Aufenthaltsrechts", wie das niedersächsische
Innenministerium behauptet, sondern müsste gesetzlich verankert werden.
Kritikwürdig an dem Vorschlag ist außerdem die vorgeschriebene lange
Aufenthaltsdauer von acht Jahren. Der sechsjährige Schulbesuch stellt bereits eine
sehr lange Wartezeit dar, bis der Aufenthalt des betroffenen Kindes oder
Jugendlichen in einen rechtmäßigen Status überführt werden kann. Kinder, die hier
zur Schule gehen und sozialisiert werden, sind sehr viel schneller integriert als erst
nach Ablauf von acht Jahren. Selbst unter der aktuellen Altfallregelung wurde für
Familien auf eine Aufenthaltszeit von sechs Jahren abgestellt. Acht Jahre stellen eine
überzogen lange Frist dar.
Die Sozialprognose ist im Kontext einer solchen aufenthaltsrechtlichen Regelung
verfehlt. Es handelt sich um einen Begriff, der vor allem aus dem Strafvollzug
bekannt ist und als Voraussetzung für eine vorzeitige Haftentlassung zum Einsatz
kommt. Für die hier aufgewachsenen Jugendlichen kann es nur als Affront gelten,
wenn sie wie Straftäter nach einer günstigen Sozialprognose beurteilt werden.
Abschließend kann noch angeführt werden, dass Mitarbeiter von Ausländerbehörden
für derartige Beurteilungen nicht ausgebildet sind und deswegen regelmäßig
externen Sachverstand heranziehen müssten, was zu mehr und vor allem unsinniger
Bürokratie führen würde.
 
5. Typische Einzelfälle: Gut integriert und doch kein Bleiberecht

 
Als Familie neun Jahre in Deutschland -  Kein Bleiberecht

Frau K. floh im Jahr 2000 mit ihrer Familie nach Deutschland. Als Roma war die
Familie im Kosovo nicht mehr sicher. Seit nunmehr neun Jahren lebt Frau K. in
Deutschland und hat sieben Kinder groß gezogen. Aufgrund ihrer Diabetes und einer
Herzschwäche benötigt sie ständige medizinische Hilfe und muss schwere
Medikamente nehmen. Einer Beschäftigung kann die Schwerkranke nicht
nachgehen, zumal sie auf die Betreuung einer Pflegekraft angewiesen ist. Ihr 60-
jähriger Ehemann hat kaum eine Chance, einen Arbeitsplatz zu finden. Von der
Bleiberechtsregelung waren Herr und Frau K. aber von vornherein ausgeschlossen.
Da ihre Kinder bereits erwachsen sind, gilt für sie der Einreisestichtag 01.07.1999.
Sie haben die Regelung um ein Jahr verpasst.
PRO ASYL und Flüchtlingsräte zur IMK Dezember 2009  7

Die Jugend in Deutschland verbracht -  Kein Bleiberecht
Als 16-Jähriger entfloh Herr B. dem Bürgerkrieg in Sierra Leone. Sein Asylantrag
wurde abgelehnt. Seit zehn Jahren wird Herr B. in Deutschland nur geduldet.
Trotzdem hat sich der heute 26-Jährige schnell eingelebt, Freundschaften
geschlossen und Deutsch gelernt. Er hatte auch eine Arbeitsstelle gefunden.
Trotzdem bekommt Herr B. kein Bleiberecht. Obwohl er Dokumente der Botschaft
hat, stellt sich die Ausländerbehörde auf den Standpunkt, seine Identität sei nicht
geklärt. 

16 Jahre in Deutschland -  Kein Bleiberecht
Familie S. aus dem Kosovo lebt seit 16 Jahren in Deutschland. Im Asylverfahren
abgelehnt, wurde die 7-köpfige Familie jahrelang nur geduldet. Inzwischen haben die
verheirateten volljährigen Söhne der Familie einen sicheren Aufenthaltsstatus - nicht
so jedoch der Rest der Familie. Dabei war die Familie stets um Integration bemüht.
Mehrfach wurde der Antrag des Familienvaters auf eine Arbeitserlaubnis abgelehnt.
Im Sommer 2007 gelang es durch persönlichen Einsatz eines Arbeitgebers endlich,
die Ausländerbehörde zur Erteilung der Arbeitserlaubnis zu bewegen. Inzwischen hat
Herr S. sogar zwei Jobs, um das Einkommen seiner Familie sicherzustellen. Die 17-
jährige Tochter der Familie absolviert seit September 2007 eine Ausbildung zur
Restaurantfachfrau und hat aufgrund ihrer hervorragenden Leistungen bereits heute
die Zusicherung ihres Arbeitgebers, nach Abschluss der Ausbildung übernommen zu
werden. Ihre vier Jahre alte Schwester ist in Deutschland geboren und besucht den
örtlichen Kindergarten. Da die größte Hürde – die Lebensunterhaltssicherung –
genommen war, hofften die Eltern S. auf ein Bleiberecht für sich und ihre Töchter.
Doch der Antrag wurde abgelehnt. Die Begründung: Der 16-jährige Aufenthalt in
Deutschland sei nicht ununterbrochen gewesen. Tatsächlich war die Familie aus
Angst vor Abschiebung im Jahr 2002 für einige Monate nach Skandinavien
geflüchtet. Von dort wurden sie zuständigkeitshalber wieder nach Deutschland
geschickt.

In Deutschland aufgewachsen -  Kein Bleiberecht
Mit 13 floh die Jugendliche Nissrin Ali mit ihren Eltern aus Syrien nach Deutschland.
Der Asylantrag der staatenlosen Kurden wurde abgelehnt. Die Familie lebt seit 6
Jahren geduldet in einem Lager. Nicht lang genug, um unter die
Bleiberechtsregelung zu fallen. 

Trotz der schwierigen Bedingungen hat Nissrin Ali von Anfang an alles
unternommen, um Fuß zu fassen. In kürzester Zeit hat sie Deutsch gelernt und
Freunde gefunden. Auch den Hauptschulabschluss hat sie geschafft. Nissrin Ali hatte
auch schon eine Ausbildungsstelle gefunden, durfte sie jedoch nicht antreten. Ihre
Eltern würden sehr gerne ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Sie unterliegen
aber, ebenso wie Nissrin und ihre Geschwister, einem Arbeitsverbot. Für ihr
gesellschaftspolitisches Engagement gegen die Lagerunterbringung von Flüchtlingen
und für ein humanes Bleiberecht wurde Nissrin Ali von der STIFTUNG PRO ASYL
mit dem Menschenrechtspreis 2009 ausgezeichnet.

Einreisestichtag knapp verpasst – Kein Bleiberecht
Maria A. ist 22 Jahre alt, kommt aus Afghanistan. Sie lebt seit 8 Jahren in
Deutschland und hat einen Realschulabschluss. Ihre Familie musste Afghanistan
verlassen, weil ihnen dort Verfolgung drohte. Marias Vater lebt bereits seit 19 Jahren
im Exil in Deutschland.
Ihre Eltern besitzen eine zweijährig befristete Aufenthaltserlaubnis. Maria selbst hat
aber trotz vieler Anträge noch immer nur eine Duldung erhalten. Ihr Antrag nach der
Altfallregelung wurde abgelehnt, weil sie den Einreisestichtag um zwei Monate
verpasst hat.
Sie hofft, da sie jetzt einen Ausbildungsplatz zur Kauffrau im Einzelhandel hat, dass
sie eine Aufenthaltserlaubnis bekommen kann.
Sie hatte vorher vielfach versucht, eine Arbeit oder einen Ausbildungsplatz zu
bekommen, dies ist aber oft gescheitert, weil die Beantragung einer Arbeitserlaubnis
zu lange Zeit brauchte und der Arbeitsplatz dann weg war.
Die vielen Rückschläge haben Maria. A. mutlos gemacht. Sie hat große Angst,
abgeschoben zu werden. Ihr Wunsch ist, hier sicher leben und arbeiten zu können.
 
6. Forderungen 

PRO ASYL und die Landesflüchtlingsräte fordern:

 

 Einen sofortigen Abschiebungsstopp für alle potentiell von einer Korrektur der Altfallregelung Begünstigen

 und

 Eine Überarbeitung der Altfallregelung unter Beachtung folgender Kriterien:

• Geduldete, sonstige Ausreisepflichtige sowie Asylbewerber, die sich seit mindestens fünf Jahren in Deutschland aufhalten, sollen im Rahmen einer Bleiberechtsregelung ein Aufenthaltsrecht erhalten. 

• Bei Familien, deren Kinder bei der Einreise minderjährig waren oder in Deutschland geboren wurden, sollen drei Jahre Aufenthalt in Deutschland ausreichen. Diese kürzeren Fristen sollen auch für ältere, schwer kranke und behinderte Menschen gelten. 

• Unbegleiteten Minderjährigen soll ein Aufenthaltsrecht gewährt werden, wenn sie sich seit zwei Jahren in Deutschland aufhalten. 

• Traumatisierte Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bleiberechtsregelung in Deutschland aufhalten, sollen sofort ein Aufenthaltsrecht erhalten. Dies ist in vielen Fällen die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Heilungsprozess einsetzen kann, und schützt die Betroffenen vor einer Retraumatisierung oder einer schmerzhaften Verlängerung ihres Leidens durch permanente Angst vor der Abschiebung. 

• Menschen, die als Opfer rassistischer Angriffe in Deutschland traumatisiert oder erheblich verletzt sind, sollen ein Aufenthaltsrecht erhalten. Dies kann den physischen und psychischen Heilungsprozess der Betroffenen unterstützen. Gleichzeitig positioniert sich der Staat gegen die anhaltenden rassistischen Attacken und signalisiert Tätern und Sympathisanten, dass er nicht bereit ist, der dahinterstehenden menschenverachtenden Logik der Einschüchterung und Vertreibung von „Fremden“ zu folgen. 

• Die Erteilung eines Bleiberechts darf nicht vom Vorliegen von Arbeit bzw. der Lebensunterhaltssicherung abhängig gemacht werden. Programme zur Förderung der Arbeitsmarktintegration und die Abschaffung von Arbeitsverboten stellen sinnvolle Alternativen dar.

• Ein fehlender Pass sowie ein zeitweilig illegaler Aufenthalt darf kein Ausschlussgrund sein. 

• Die Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ in zurückliegenden Asylverfahren sollte nicht zum Ausschluss von der Bleiberechtsregelung führen.

• Kein Ausschluss vom Bleiberecht wegen geringfügiger Strafverurteilungen. Eine Sippenhaft gegenüber Familienangehörigen (wie in § 104a Abs. 4 AufenthG vorgesehen) ist strikt abzulehnen.

• Auf den Ausschlussgrund, der ausländerrechtlichen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen zu sein, ist zu verzichten. 

Das Bleiberecht sollte eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen und deswegen Folgendes beinhalten: 

• eine unbeschränkte Arbeits- und Ausbildungserlaubnis

• das Recht auf Familiennachzug 

• keinerlei Wohnsitz- oder Aufenthaltsbeschränkungen 

• Anspruch auf Kinder- und Elterngeld, BAföG und sonstige Familienleistungen 

• im Bedarfsfall Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. 

 

 

PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V.