Stellungnahme der Veranstalter

zum Beitrag der Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg der Jüdischen Allgmeinen vom 10.6.2022 „BDS als Brandbeschleuniger"

Da Frau Eskandari-Grünberg unsere Veranstaltung „Apartheid auch in Israel – nicht nur in den besetzten Gebieten? mit Prof. Zuckermann in einen Zusammenhang bringt „zu Anschlägen auf Synagogen und Terror gegen Juden" stellen wir fest:

1.       Der Magistrat der Stadt Frankfurt hat die Rechtmäßigkeit des kommunalen BDS-Beschluss zu keinem Zeitpunkt begründet. Der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Dr. Uwe Schulz stellte dazu fest „Die von der Stadt ausgeübte Praxis, die insbesondere von Herrn Bürgermeister Becker politisch vorangetrieben wird, stellt eine gezielte Missachtung unseres Grundgesetzes und der Justiz dar. Die Verwaltung, so auch der Magistrat, ist an Recht und Gesetz gebunden." Mit Ausnahme von der FDP haben alle Parteien im Stadtparlament dazu geschwiegen – auch die Vertreter:innen der „Grundrechtspartei" DIE GRÜNEN. In Frau Eskandari-Grünbergs Absichtserklärung - nach einem höchstrichterlichen Urteil - „zu schauen, wie an dem richtigen Beschluss festgehalten werden kann" (trotz Urteil) kommt nicht nur „gezielte Missachtung unseres Grundgesetzes und der Justiz" zum Ausdruck, sondern auch ein unfassbares Ausmaß an Ignoranz in (Grund)rechtsfragen.

2.        Zur Aussage, der „Amnesty-Bericht" denunziere fälschlicherweise Israel als Apartheidsstaat, stellen wir fest:

a.       Allein im letzten Jahr haben sechs renommierte internationale und regionale Institutionen den israelischen Herrschaftspraktiken Apartheid bescheinigt. Apartheid wird im Völkerrecht als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" eingeordnet. Angesichts dieser Indizienlage ist es unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigen, dieses Thema aus der öffentlichen Wahrnehmung auszugrenzen.

b.       Wer die relativ einfache Rechtsmaterie zur Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz nicht zu erfassen in der Lage ist, dem wird man zu dem wesentlich komplexeren völkerrechtlichen Thema Apartheid kaum ein Urteil zutrauen.

3.       Die Äußerungen von Frau Eskandari-Grünberg sind nicht nur unqualifiziert, sie sind auch hochgradig unwahrhaftig. Die neue Römerkoalition, der sie als Bürgermeisterin angehört, hat den Frankfurter BDS-Beschluss nach der Kommunalwahl im März 2021 klammheimlich außer Vollzug gesetzt. Nicht einmal die Jüdische Gemeinde wurde informiert. Noch im November 2021 ging diese in einem Brief an die Städelschule von der irrigen Annahme aus, der BDS-Beschluss werde in Frankfurt noch vollzogen. Schon im Juli 2021 fand unbeanstandet eine Veranstaltung von BDS-Mitgliedern in Räumen der Saalbau statt.  Frau Eskandari-Grünberg ist eine scheinradikale Bekämpferin des Antisemitismus, bei der Reden und Handeln auseinanderfallen.

4.       Wir sind nicht Mitglieder von BDS, fühlen uns aber dieser Bewegung in der Erkenntnis freundschaftlich verbunden: Israel wird sein Verhalten erst ändern, wenn es mit politischem und ökonomischem Druck konfrontiert wird. Zur Frage, ob BDS antisemitisch ist oder nicht, halten wir uns eher an ausgewiesene Experten wie Prof. Wolfgang Benz, Prof. Micha Brumlik und die mit BDS befassten deutschen Gerichte, die allesamt diese Frage verneinten.

Die hier angesprochenen Fragen werden ausführlicher erläutert in meinen „Anmerkungen zu den Angriffen auf unsere Veranstaltung" (siehe unten) sowie in einer ausführlicheren Dokumentation „Der kommunale BDS-Beschluss in Frankfurt: Chronik eines Verfassungsbruchs".

Helmut Suttor, Frankfurt (Mitveranstalter), 10.6.2022

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Anmerkungen zu den Angriffen auf unserer Veranstaltung

Apartheid auch in Israel – nicht nur in den besetzten Gebieten? mit Prof. Moshe Zuckermann (Tel Aviv)

Rede von Helmut Suttor (Mitveranstalter), gehalten vor dem Beitrag Prof. Zuckermanns

Guten Abend allerseits. Mein Name ist Helmut Suttor, ich bin Rentner und Mitglied einer informellen Gruppe die 2019 entstanden ist, im Zusammenhang mit den Angriffen Uwe Beckers auf eine Veranstaltung im Titania-Theater mit dem Titel „Meinungsfreiheit statt Zensur“. Veranstalter und Besucher wurden Tage vor Veranstaltungsbeginn von Becker auf der Homepage der Stadt Frankfurt als „Sympathisanten-Treffen antisemitischer Israelhasser“ tituliert. Dieses rechtswidrige Kommunikationsverhalten ist Becker offensichtlich zur zweiten Natur geworden. Es hat sich im Vorfeld unserer Veranstaltung heute wiederholt. Es wäre eigentlich die Aufgabe eines professionellen und sachkundigen Journalismus diesen Rechtsbruch zu thematisieren. Einen solchen Journalismus haben wir leider nicht.

Das Thema dieser Veranstaltung lautet „Apartheid auch in Israel – nicht nur in den besetzten Gebieten?“.

Zur Sache wird anschließend Moshe Zuckermann sprechen. Warum die Thematisierung der Sache keine Selbstverständlichkeit in dieser Stadt und in diesem Land ist, dazu einige Anmerkungen von mir.

Die Auseinandersetzungen im Vorfeld der heutigen Veranstaltung machten deutlich: Die Menschenrechtslage der Palästinenser zu thematisieren ist hierzulande auch dann noch ein Problem, wenn diese die Grenze zu „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ berührt oder überschritten hat. Als ein solches wird Apartheid im Völkerrecht bekanntlich eingeordnet.

Im Ablauf des vergangenen Jahres stuften sechs renommierte regionale und internationale Institutionen die israelischen Herrschaftspraktiken gegenüber den Palästinensern als Apartheid ein, teils für das Herrschaftsgebiet Israels insgesamt, teils beschränkt auf die besetzten Gebiete. Wir befassen uns heute mit dem fünften Bericht aus dieser Serie, dem von Amnesty International, veröffentlicht im Januar dieses Jahres. Im Februar kam der Bericht der Harvard Law School dazu.

Wir glauben nicht, dass es sich hierbei um eine antiisraelische oder antijüdische Verschwörung handelt. Vielmehr gehen wir davon aus, dass mindestens von einer triftigen Indizienlage für eine institutionalisierte Diskriminierung der Palästinenser im Herrschaftsbereich Israels auszugehen ist, die sich zu einem „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verdichtet hat.

Dann ist es aber unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu rechtfertigen, dieses Thema aus der öffentlichen Debatte auszublenden.

Die Interventionen des Hessischen Antisemitismusbeauftragten Uwe Becker, ebenso wie eine Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde zu unserer Veranstaltung besagen demgegenüber: Allein schon durch die Befassung mit Apartheid im Kontext israelischer Herrschaftspraktiken komme Antisemitismus und Judenfeindschaft zum Ausdruck. Bevor das erste Wort gefallen ist, fuchteln sie mit der Antisemitismuskeule herum.

Wer davon überzeugt ist, dass israelische Herrschaftspraktiken nichts mit Apartheid zu tun haben, sollte den Befunden der genannten Berichte argumentativ begegnen können.

Wer angesichts der angehäuften Indizienlage nicht über das Thema reden will, nährt die Vermutung, die Berichte und deren völkerrechtlichen Schlussfolgerungen beschreiben und bewerten die Menschenrechtslage der Palästinenser in angemessener Weise. Es geht dann wohl eher darum dies aus der öffentlichen Wahrnehmung auszublenden, als um sachlich begründeten Widerspruch.

Sowohl Herr Becker, als auch die Führungen der Jüdischen Gemeinde Frankfurts und des Zentralrats waren bisher nicht in der Lage sich die seit Jahren geklärte höchstrichterliche Rechtsprechung zu Art. 5 Grundgesetz, dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit anzueignen. Dies belegt ihr Eintreten für die Richtigkeit der sog. BDS-Beschlüsse, auch nach einem höchstrichterlichen Urteil, dass diese bundesweit als verfassungswidrig einstufte. BDS ist eine zivilgesellschaftliche, international agierende palästinensische Kampagne, die durch Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen Druck auf Israel ausüben möchte, um politische Verhaltensänderungen zu bewirken.

BDS ist auch eine Reaktion auf eine völlig unglaubwürdige staatliche Nahostpolitik. Diese sprach und spricht vom Nahost-Friedensprozess, während Israel gezielt und geplant die Annexion der Westbank vorantrieb. Diese Politik erschöpfte und erschöpft sich allenfalls darin, diesen Annexionsprozess mit zahnloser, ritualisierter Kritik zu begleiten.

Die BDS-Beschlüsse führten durch ihre Umsetzung auf kommunaler Ebene und die öffentliche Kommunikation einzelner Antisemitismusbeauftragter dazu, die Darstellung nahostpolitischer Themen aus palästinensischer Konfliktperspektive generell unter Antisemitismusverdacht zu stellen.

Der Münchner BDS-Beschluss, der Gegenstand des erwähnten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts war, ist hier besonders aufschlussreich. Er sanktioniert schon die Befassung mit Themen, mit denen sich auch BDS befasst. Nicht irgendeine BDS-Gruppe, sondern das Münchner Kulturreferat wies in einer Stellungnahme drei Wochen vor Beschlussfassung darauf hin, damit werde die öffentliche Erörterung nahostpolitischer Themen allgemein unter Antisemitismusverdacht gestellt, da

nahezu alle Themenfelder des Nahostkonflikts in einen Zusammenhang mit der BDS-Kampagne gebracht werden können“.

In diesem Sinne agiert Uwe Becker und die Führung der Jüdischen Gemeinde Frankfurts mit ihrer Kritik an der heutigen Veranstaltung. Für sie ist schon die Befassung mit Apartheid bezogen auf Israel Ausweis für Antisemitismus und Judenfeindschaft. Vor der Veranstaltung kann es ja nicht um konkrete antisemitische oder judenfeindliche Aussagen gehen.

Sie orientieren sich dabei – wohlgemerkt nach dem die BDS-Beschlüsse als verfassungswidrig eingeordnet wurden - noch nicht einmal am Frankfurter BDS-Beschluss. Soweit zu gehen, schon die Befassung mit Themen „mit denen sich auch BDS befasst“ unter Antisemitismusverdacht zu stellen, ist Alleinstellungsmerkmal des Münchner BDS-Beschlusses, der Grundrechte in grotesker Weise einschränkte. Unsere Veranstaltung ist die erste in Räumlichkeiten der Stadt Frankfurt nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hat u.a. klargestellt: Die Vermietung städtischer Räumlichkeiten an BDS-Mitglieder oder -Unterstützer könnte allenfalls durch ein sog. allgemeines Gesetz verfassungskonform geregelt werden, nicht aber durch einen kommunalen Verwaltungsakt.

Ein allgemeines Gesetz ist u.a. dadurch definiert meinungsneutral zu sein, darf sich deswegen nicht gegen eine bestimmte Meinung richten. Ein Gesetz gegen BDS wäre nicht meinungsneutral und damit verfassungswidrig.

Sowie sich Befürworter der BDS-Beschlüsse zum Urteil äußerten, unter anderen der Münchner Oberbürgermeister Reiter und der Vorsitzende des Zentralrats Schuster, haben sie diesen einfachen Sachverhalt nicht begriffen. Sie sahen den Gesetzgeber in der Pflicht ein Gesetz gegen BDS zu erlassen, obwohl nicht erst das Bundesverwaltungsgericht, sondern schon die Vorinstanzen und ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages klarstellte: Ein solches Gesetz kann es nicht geben, es wäre verfassungswidrig.

Ob diese trotzige über Jahre durchgehaltene Begriffsstutzigkeit in Grundrechtsfragen fehlender Einsicht geschuldet ist kann im Einzelfall dahingestellt bleiben. Für Amtsträger ist sie in jedem Fall unentschuldbar. Sie haben ihr Handeln vorab an Recht und Gesetz auszurichten.

Unabhängig davon dürfte eine Schlussfolgerung zwingend sein: Wer die relativ einfache Rechtsmaterie zur Meinungsfreiheit nach Art. 5 Grundgesetz nicht zu erfassen in der Lage ist, dem wird man zu dem wesentlich komplexeren völkerrechtlichen Thema Apartheid kaum ein Urteil zutrauen.

Für die Frankfurter Stadtpolitik ist offensichtlich: Sie handelte im Zusammenhang mit dem BDS-Beschluss nicht aus Mangel an besserer Einsicht, sondern trotz besserer Einsicht: Dies ergibt sich aus einer Feststellung des rechtspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion im Stadtparlament Dr. Uwe Schulz. In einem Brief an den Oberbürgermeister vom Januar 2021 schreibt er:

Die von der Stadt ausgeübte Praxis, die insbesondere von Herrn Bürgermeister Becker politisch vorangetrieben wird, stellt eine gezielte Missachtung unseres Grundgesetzes und der Justiz dar. Die Verwaltung, so auch der Magistrat, ist an Recht und Gesetz gebunden.“

Dr. Schulz spricht von einer gezielten, also bewussten, in Kenntnis seiner Verfassungswidrigkeit dennoch umgesetzten Verwaltungspraxis der Stadt Frankfurt. Dies geschah unter der politischen Verantwortung von Oberbürgermeister Feldmann, unter Federführung von Bürgermeister Becker und wurde mitverantwortet von der Rechts- wie auch der Kulturdezernentin.

Dieser Verfassungsbruch hatte das Ziel die Meinungsfreiheit der palästinensischen Minderheit in dieser Stadt und der sie unterstützenden Gruppen einzuschränken.

Der Magistrat der Stadt Frankfurt bewegt sich damit in einem bezeichnenden Widerspruch.

Er förderte einerseits Projekte zum Aufbau von Jugendarbeit in Moscheen mit dem Ziel muslimische Jugendliche an unser Leitbild von Demokratie und Rechtsstaat heran zu führen, sie dafür zu gewinnen

jegliche Form von Diskriminierung abzulehnen und sich am Grundsatz der Gleichberechtigung aller zu orientieren

so in einem Text des Frankfurter Stadtjugendrings, der an diesen Projekten mitarbeitete.

Andererseits wurde dieselbe Zielgruppe vom Magistrat und vorneweg vom Hessischen Antisemitismusbeauftragten mit verfassungswidrigen Methoden über Jahre hinweg bekämpft. In dieser Zielgruppe befinden sich Jugendliche, die von ihren Familien in Gaza und der Westbank Informationen erhalten, für deren Verarbeitung sie keinen oder nur einen sehr eingeschränkten öffentlichen Raum in Deutschland vorfinden.

Wenn es unter diesen Menschen, die ja überwiegend Bürger und Bürgerinnen unseres Landes sind, muslimischen Antisemitismus gibt, wird dieser durch die Politik der Stadt Frankfurt, durch Personen wie Uwe Becker gefördert oder bekämpft?

Das ist hier die Frage.

Für die Bekämpfung des Antisemitismus und anderer Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sollte ein Minimalkonsens gelten:

Die Bekämpfung des Antisemitismus darf nicht im Widerspruch zu den Kernnormen des Grundgesetzes stehen. Nicht nur weil das rechtswidrig ist, sondern auch weil dann schon im Ansatz die Voraussetzungen dafür fehlen, dieses Anliegen in der Gesellschaft mehrheitsfähig zu machen und nachhaltig zu verankern.

Antisemitismusbekämpfung und Nahostpolitik ist mit den Grundwerten unserer Verfassung in Einklang zu bringen. Das ist die Grundvoraussetzung für Glaubwürdigkeit, an der es gegenwärtig fehlt. Im Widerspruch zum Grundgesetz kann und darf es keine Verantwortung vor der deutschen Geschichte und gegenüber Israel geben.

Eine historische Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel als Ausfluss einer Staatsräson, die instrumentalisiert wird, um die Menschenrechtslage der Palästinenser aus dem öffentlichen Wahrnehmungshorizont auszublenden, steht im Widerspruch zu den Grundwerten unserer Verfassung.