Tear down all borders! Aufruf zum 5. festival contre le racisme in Mainz
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Tear down all borders! Aufruf zum 5. festival contre le racisme in Mainz

Festival gegen Rassismus in Mainz vom 2. bis 8. Juni 2008: Das festival ist eine dezentrale bundesweite Kampagne vom freien zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) sowie dem Bundesverband Ausländischer Studierender (BAS). Bereits zum fünften Mal in Folge veranstalten Studierende an vielen Hochschulen eine Aktionswoche zu Themen wie Rassismus, Xenophobie, Migration oder AusländerInnenstudium. Inspiriert ist die Kampagne vom französischen Studierendenverband UNEF, der das festival bereits im Jahr 1995 durchgeführt hat.

Am 21. Dezember 2007 wurde der so genannte Schengen-Raum um neun Staaten erweitert. Dies bedeutet den Wegfall von Passkontrollen an den Grenzen weiterer neun EU-Mitgliedsstaaten. Die Bundesregierung bemühte sogleich den historischen Charakter dieser "Grenzöffnung". Die Bundeskanzlerin zitierte in Ihrer Zittauer Festansprache aus der "Berliner Erklärung" anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge: "Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union sind zu unserem Glück vereint."

"Unser Glück" - das ist das Stichwort: Die Europäische Union ist ein exklusiver Raum für diejenigen, die dazugehören. Alle anderen müssen draußen bleiben. Doch auch im Inneren brodelt es: Anlässlich des Landtagswahlkampfes in Hessen bemühte Ministerpräsident Koch ein weiteres Ausgrenzungsschema: Es würde angeblich zu viele kriminelle jugendliche AusländerInnen geben. Und schließlich hieß es: "Wer sich als Ausländer nicht an unsere Regeln hält, ist hier fehl am Platze." Kein Wunder, dass Koch hierfür Applaus vom extrem rechten Rand erntete: Die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit wetterte: "In Deutschland sei kein Platz mehr für chronisch kriminelle Ausländer." Die neonazistische Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gratulierte mit als erste: "NPD-Vorsitzender gratuliert Koch - Kriminelle Ausländer und Asylbetrüger raus!"

Das "Wir": Nationale Identitäten

Sowohl in der "Berliner Erklärung" als auch in den unsäglichen Ausführungen des Hessischen Ministerpräsidenten taucht dieses ominöse "uns" auf. Es scheint in Deutschland und auch in der Europäischen Union etwas zu geben, dass alle Menschen eint. Der Begriff, der dieses Phänomen auf den Punkt bringt, wird "nationale Identität" genannt - ein Konstrukt, welches in seiner aktuellen Form mit dem Aufblühen der bürgerlichen Nationalstaaten in Europa nach der französischen Revolution entstand.

Konstruiert ist diese Identität, weil die Nation eine "vorgestellte politische Gemeinschaft - vorgestellt als begrenzt und souverän" ist, erklärt der amerikanische Politikwissenschaftler Benedict Anderson. "Vorgestellt ist sie deswegen, wie die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert", führt Anderson weiter aus. Mit dieser Imagination gehen sowohl Exklusion, also der Ausschluss von Gruppen aus der vorgestellten Gemeinschaft, als auch die Inklusion von Menschen in diese kollektive Identität einher.

Das Schema - "Wir hier, die anderen dort" - findet seine schärfsten Ausprägungen in den Grenzen der Nationalstaaten und völkisch-rassistischen Theorien, wie dem ethnisch reinen Volksstaat, welchen extrem rechte Kräfte immer wieder einfordern. Andere Ausprägungen findet diese Idee eines geeinten Volkskörpers in Diskursbegriffen wie "Parallelgesellschaft" oder "Leitkultur", kurzum in jedem Konstrukt von Einheit zwischen den BürgerInnen einer Gesellschaft.

Diese Ideologie führt allein zu einer Ausgrenzung der meisten Menschen und macht aus rein zufällig in einem Nationalstaat geborenen Menschen einen exklusiven Club - ein überkommenes Gesellschaftsmodell!

Grenzen: Unüberwindbare Hindernisse

Während die Europäische Union sich selbst feiert und die Grenzen im Innern scheinbar fallen, wird an den Außengrenzen weiter aufgerüstet. Die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union konterkariert den Begriff der Menschenrechte: Die Anerkennungsquote von AsylbewerberInnen beläuft sich in Deutschland auf acht Promille. Jedes Jahr feiern die EU-InnenministerInnen neue Tiefststände bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Möglich wird dies unter anderem durch eine konsequente Verweigerung von Asylverfahren. Seit 2006 koordiniert die EU-Agentur "Frontex" so genannte Out-of-Area-Einsätze gegen Flüchtlinge, die im Mittelmeer oder Atlantik per Boot auf dem Weg nach Europa sind. Bereits in internationalen Gewässern werden die Flüchtlinge festgesetzt und zurückgeschickt. Solange diese nämlich kein europäisches Hoheitsgebiet betreten, können sie keinen Antrag auf politisches Asyl stellen. Der Leiter von Frontex stellt klar: "Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten." Im Jahr 2006 wurden in der gesamten Europäischen Union weniger als 200.000 Anträge auf politisches Asyl gestellt - damit hat sich die Zahl der AsylbewerberInnen innerhalb von fünf Jahren um mehr als die Hälfte reduziert.

Die wenigen, die es beispielsweise in die Bundesrepublik schaffen, unterliegen hier nicht weniger menschenverachtenden Bestimmungen: Beispielsweise dürfen AsylbewerberInnen in der Regel nicht ihren Landkreis verlassen. In mehreren Fällen führte dies dazu, dass Flüchtlinge kein Studium aufnehmen konnten. Dabei regelt dies jedes Bundesland oder gar jede Hochschule, wie es ihr gerade passt - Willkür in Reinkultur.

Mit der erneuten Novellierung des Zuwanderungsrechtes wurden zudem die AusländerInnenbehörden zusätzlich zur Polizeibehörde umfunktioniert: Im Falle von Verstößen gegen rechtliche Bestimmungen oder bloßem Verdacht kann jetzt die AusländerInnenbehörde selbst Festnahmen durchführen. Diese immer restriktivere Gestaltung der Flüchtlingspolitik ist abzulehnen!

Ein bisschen dabei statt mittendrin: ausländische Studierende

Die Situation von ausländischen Studierenden ist unverändert schlecht. Die Liste der Beispiele für diskriminierende Regelungen ist lang. Der Hürdenlauf beginnt bereits mit der Einreise: Das Visum für die Schengen-Mitgliedsstaaten, welches die meisten ausländischen Studierenden von außerhalb der EU mitbringen, berechtigt nicht etwa zum Studium an allen europäischen Hochschulen, sondern nur zum Besuch einer bestimmten vorher festgelegten Hochschule. Die Einteilung von ausländischen Studierenden in EU- und Nicht-EU-AusländerInnen ist ebenso abzulehnen!

Ausländische Studierende müssen weiterhin einen Finanzierungsnachweis erbringen und sind in der Regel vom BAföG-Bezug ausgeschlossen. Während die aktuelle BAföG-Erhöhung für deutsche Studierende selbstverständlich nur positiv zu bewerten ist, bringt sie für ausländische Studierende einen weiteren Nachteil: Sie müssen nunmehr ein monatliches Einkommen in Höhe des neuen BAföG-Höchstsatzes nachweisen. Eine beliebte Möglichkeit ist die Vorabüberweisung des Betrages (demnächst rund 7.700 Euro) auf ein deutsches "Sperrkonto".

Die in China eingeführte "Akademische Prüfstelle" (APS), welche für einen horrenden Geldbetrag eine gesonderte verpflichtende Echtheitsprüfung der Hochschulzugangsberechtigung vornimmt, existiert jetzt auch in der Mongolei und im Vietnam. Kostenpunkt dieser Sonderprüfung: schlappe 250 Euro - angesichts der Höhe der Durchschnittseinkommen in diesen Staaten schlichtweg eine Unmöglichkeit!

Neben der zentralisierten ASSIST-Bewerbung wird ab dem Wintersemester 2008/2009 flächendeckend ein spezieller Studierfähigkeitstest mit dem Namen "TestAS" eingeführt. Neben den Gebühren für Sprachkurse, die ASSIST-Bewerbung ist TestAS selbstverständlich auch kostenpflichtig. So entstehen allein an den Hochschulen für Bewerbung, Sprachkurse, Prüfungen und mit dem neuen "Eignungstest" schnell Kosten in Höhe von 1.000 Euro.

Auch die Verlängerung von Visa zum Studium wird restriktiver gehandhabt. In der Regel wird ein Visum zum Zweck des Studiums nur noch für ein bis zwei Jahre gewährt: Die AusländerInnenbehörde prüft häufiger als bisher die erbrachten Leistungen. Genügen diese nicht, droht die Verweigerung der Visumsverlängerung.

Diese künstlichen Hindernisse zeugen weder von einer offenen Gesellschaft oder gar von gelebter "Gastfreundschaft", sondern sind nichts anderes als institutionalisierte Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft. In den verschiedenen hier skizzierten Bestimmungen spiegeln sich bekannte Ressentiments wieder: In Asien fälschen StudienbewerberInnen ihre Zeugnisse - deshalb die Prüfung durch die "Akademische Prüfstelle". Die Hochschulzugangsberechtigung aus anderen Ländern wird als unzureichend angesehen, Studierende aus dem Ausland werden so für dumm erklärt - deshalb die besondere Eignungsprüfung "TestAS". Auch die zunehmende Tendenz der Verlagerung des Spracherwerbs in die "Herkunftsländer" ist als zusätzliches Hindernis zu kritisieren.

Horizonte öffnen - in den Köpfen und in der Praxis

Ein überwiegender Teil der hiesigen europäischen Gesellschaft(en) sieht den ideologischen Überbau einer Nation, die nationale Identität, als naturgegeben an. Diese Selbsteingrenzung wird auf staatlicher Ebene mittels Grenzziehungen und einer "Aufrüstung nach Außen", der am Anfang erwähnten Exklusion, vollzogen. So wird ein weltweiter Wissensaustausch, der angesichts globaler Herausforderungen unbedingt notwendig ist, unabhängig von der Herkunft eines Menschen und seinem sozialen Status nahezu verunmöglicht.

An Stelle nationaler Borniertheit, die einer kleinen Gruppe von Menschen auf Kosten aller anderen etwas nützen mag, sollte eine freie, offene und kosmopolitische Gesellschaft stehen. Tear down all borders!

Festivalprogramm unter

http://www.contre-le-racisme.de/mainz/ndex.html