Unerträgliche Zustände in der Massenunterkunft "Neckermann" in Fechenheim

diesen offenen Brief hat Welcome Frankfurt an zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Institutionen und die Presse versandt. Die Zustände in der Massenunterkunft "Neckermann" sind unerträglich. Wir fordern die Schließung der Unterkunft. Solange dies noch nicht der Fall ist, fordern wir den ungehinderten Zugang durch eine Beobachtungsgruppe aus verschiedenen Menschenrechtsorganisationen. Einige sind schon angesprochen und haben Bereitschaft signalisiert. Wir stehen weiter in Kontakt mit den Geflüchteten in der Unterkunft. Am Freitag, 05.02.16 um 17:00 findet eine Veranstaltung im DGB-Haus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69 statt. Dort können sich alle Verantwortlichen und Menschenrechtsorganisationen informieren und sich äußern. Interessenten für die Beobachtungsgruppe werden teilnehmen.

Offener Brief:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns mit diesem Brief an Sie und Ihre Organisation aus einer Notsituation heraus. Wir - die Initiative Welcome Frankfurt - stehen in engem Kontakt mit den geflüchteten Menschen, die zurzeit im alten Neckermann-Gebäude in Frankfurt Fechenheim untergebracht sind.

Der Hilfeschrei der dort zusammengepferchten Menschen ist für uns nicht mehr ertragbar. Diese Unterkunft ist darauf ausgerichtet in einer menschlichen Katastrophe zu enden. Alle Einzelheiten, die wir hier in diesem Brief nur zusammenfassen können, machen deutlich, dass es kaum möglich sein wird diese Situation in nächster Zukunft zu beheben.

Die Menschen stehen unter einem starken psychischen Druck:

Mehr als 1000 Menschen mit unterschiedlichen kulturellem und sozialem Hintergrund, mit unterschiedlichen Sprachen und ohne Angebote leben dort auf engstem Raum, darunter mehrere hundert Kinder ohne Angebote, ohne die Möglichkeit die Schule zu besuchen, ohne genügend Warmwasser, ohne ausreichend sanitäre Anlagen, ohne ausreichende Ernährung. Seit Tagen wird uns berichtet, dass die Menschen hungrig bleiben und sich von ihrem wenigen Taschengeld Essen kaufen müssen, das sie dann nicht einmal mit in die Unterkunft nehmen dürfen. Die Behandlung seitens der Security führt zu ständig neuen Spannungen bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die medizinische Versorgung ist unzureichend. Viele Kranke, sogar kranke Kinder werden nicht behandelt oder weitergeleitet. Vor diesem Hintergrund ist es klar, dass die psychische Last ein Klima der Resignation, der Gereiztheit und der Aggression hervorruft.

Wir vermuten, dass der Tatbestand der Kindeswohlgefährdung und der unterlassenen Hilfeleistung gegeben ist. Ein Flüchtling erzählte uns, dass er mit einem Kind, das starkes Fieber hatte sich an die Security wendete, weil der medizinische Dienst geschlossen hatte. Ein Schulterzucken war die Reaktion. Daraufhin sagte der Geflüchtete: „Soll er denn hier sterben, er braucht ärztliche Behandlung.“ Der Security-Mann entgegnete ihm: „Das ist mir doch egal.“ Die Security scheint ohne Schulung oder auch nur Sensibilisierung für die Arbeit mit Geflüchteten in diese Situation hineingesetzt worden zu sein.

Des Weiteren sehen wir es als eine skandalöse Tatsache an, dass die Schulpflicht für die Kinder in dieser Unterkunft einfach aufgehoben werden kann. Das befremdet uns zutiefst und wir können das nicht akzeptieren.

Wir können nicht mehr dabei zuschauen, wie sich die Situation in dieser Unterkunft zuspitzt. Uns wurde berichtet, dass ein Security-Mitarbeiter eine afghanische Frau tätlich angegriffen und ein Kind geschlagen haben soll. Daraufhin muss es anscheinend zu heftigen Unmutsreaktionen gekommen sein. Die Polizei musste die letzten Tage wiederholt kommen. Die schlechte Behandlung seitens der Security-Mitarbeiter ist von allen Leuten, die uns Berichte senden oder persönlich erzählen, durchgehend thematisiert worden.

Die Mängel der Unterbringung sind vielfältig: es fehlt an genügend sanitären Anlagen, Leute müssen für die Toiletten Schlange stehen, es gibt nur sehr selten und wenig Warmwasser, viele Menschen, besonders die Kinder, können sich nicht waschen, es gibt nicht genügend Essen und auch selten Obst und Gemüse, was wiederum die Kinder besonders trifft, Medikamente bzw. Rezepte werden nicht in ausreichendem Umfang ausgegeben, so dass viele Menschen körperlich leiden, es gibt nur sehr schwaches Internet, das oft die einzige Verbindung zur Familie und zu Informationen zum Asylrecht darstellt. Es gibt kaum soziale Aktivitäten, besonders für Kinder fehlt es an Angeboten.

Ich bin als Mensch hierher gekommen, jetzt bin ich nur noch eine Nummer“, sagt ein syrischer Geflüchteter, der mit seiner Familie seit letzter Woche in dieser Unterkunft lebt. Als wir ihn das letzte Mal gesehen haben, war er guter Dinge und jetzt sitzt er voller Anspannung vor uns und ist verzweifelt. Anfang Januar protestierten bereits 50 Geflüchtete vor der Unterkunft gegen die schlechten Verhältnisse. Am 19.01.16 sind mehrere Geflüchtete der Fabriksporthalle Fechenheim in Hungerstreik getreten, um gegen die Verlegung in die Neckermann-Unterkunft zu protestieren. Am 21.01.16 weigerten sich zahlreiche Menschen mehrere Stunden lang in die Busse zu steigen, die sie zum Neckermann-Gelände bringen sollten. Mehrere Vertreter der Stadt und gesellschaftlicher Einrichtungen versprachen ihnen, dass dort alles in Ordnung sei. Es stellt sich heraus, dass die Geflüchteten Recht hatten und ihr Protest mehr als richtig war.

Wir fordern eine unabhängige Beobachtungsgruppe aus Menschenrechtsgruppen und Initiativen, die ungehinderten Zugang zur Unterkunft haben soll und Kontakt mit den Geflüchteten aufnehmen kann. Unabhängig heißt, unabhängig von staatlichen Stellen und unabhängig von Trägern der Wohlfahrt. Sie soll eigenständig und unbeschränkten Kontakt zu den Geflüchteten aufnehmen können.

Wir bitten Sie ganz dringend alle Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen und mit uns die sofortige Schließung dieser Unterkunft zu fordern. Solange dies nicht der Fall ist, müssen sofort folgende Missstände behoben werden:

  • mangelhafte medizinische Versorgung

  • mangelnde sanitäre Einrichtungen

  • mangelndes Warmwasser

  • mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln und Essen

  • mangelnde soziale Angebote

  • kein Schulbesuch der Kinder

  • unfreundlicher und aggressiver Sicherheitsdienst

Wir bitten Sie, sich mit Protestnoten und Anfragen an die verantwortlichen Stellen und Organisationen zu wenden.

Wir stellen uns die Frage, ob es nicht eine humanitär vertretbare Unterbringung geben kann. Es gibt in Frankfurt am Main 42.000 Hotelbetten. Warum sollte es nicht möglich sein 2000 bis 3000 Betten für die Menschen zu finden, die ja - wie von den Verantwortlichen geäußert - nur bis zu Ihrer Registrierung in diesen Unterkünften bleiben müssten. Viele der Geflüchteten, mit denen wir in Kontakt sind, ob mit oder ohne Familie, empfinden es wie ein Mann aus Syrien der uns berichtete, dass er schon seit über einem Monat in Neckermann untergebracht ist und dass er sich nicht vorstellen kann mit seiner Frau und seinen zwei Kindern noch einen Monat, geschweige denn mehrere Monate dort zu bleiben ohne großen psychischen Schaden davonzutragen.

Die Verantwortlichen argumentieren, dass diese Art der Unterbringung bis zur Verteilung auf die Kommunen notwendig sei. Es ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch unnötig diesen Menschen, die vor Krieg und Zerstörung hierher geflohen sind, das anzutun. Es ist auch unvernünftig zu argumentieren, noch sei nichts Schlimmeres passiert.

Am Freitag, 05.02.16 um 17:00 findet eine Veranstaltung im DGB-Haus, Wilhelm-Leuschner-Str. 69 statt. Dort können sich alle Verantwortlichen und Menschenrechtsorganisationen informieren und sich äußern. Interessenten für die Beobachtungsgruppe werden teilnehmen.

Mit besorgten Grüßen,

Initiative Welcome Frankfurt

Dieser Brief ging an folgende Organisationen und Institutionen:

Amnesty International / Anwaltskammer Frankfurt / Ärzte ohne Grenzen / Ärztekammer Hessen / ASB / ASTA Uni Frankfurt / AWO Frankfurt / Bund Deutscher Pfadfinder_innen / Caritas Frankfurt / Demokratischer Anwaltsverein Hessen / DGB Jugend / DGB Bildungswerk Hessen / DGB Frankfurt / Diakonie Frankfurt / Deutsches Rotes Kreuz / Evangelische Kirchengemeinden und Jugendwerk / Flüchtlingsrat Hessen / Gesundheitsamt Frankfurt / GEW / NGG Rhein-Main / GFFB / Human Rights Watch / Humanistische Union / IG Metall / IGBAU / Institut für Menschenrechte / Internationale Liga für Menschenrechte / Islamische Gemeinden Frankfurt / Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main  /  Jugendliche ohne Grenzen / Jugend- und Sozialamt Frankfurt / Frankfurter Jugendring / Jugendrotkreuz / Katastrophenschutzbehörde Feuerwehr / Katholische Kirchengemeinden / Kinderschutzbund / Komitee für Grundrechte / Kritische Juristen Uni Frankfurt / Schauspiel Frankfurt / Medico international / Naturfreunde / Oxfam / Paritätischer Wohlfahrtsverband / Plan / Pro Asyl  / Project Shelter / Reporter ohne Grenzen / Stadtschulamt Frankfurt / Theater Willy Praml / UNHCR Deutschland / Unicef / Ver.di / Verein Demokratischer Ärztinnen und Ärzte /

 

Über Welcome Frankfurt:
Am Samstag, 5.9. gab es eine große Willkommens-Aktion für Flüchtlinge am Frankfurter Hauptbahnhof. Es war ein toller Ausdruck der Menschlichkeit und der Solidarität. Um die Hilfe für Flüchtlinge dauerhaft gewährleisten zu können und mehr Menschen einzubinden, gab es eine Flüchtlingshelfer-Versammlung. Es wurden Grundsätze verabschiedet, Arbeitsgruppen und eine Website gegründet: www.welcome-frankfurt.de

Die Versammlung versteht sich als Bündnis von Menschen, nicht von Organisationen. Wir freuen uns aber, wenn Organisationen die Arbeit unterstützen.

Folgende Grundsätze wurden für die Hilfe für Flüchtlinge verabschiedet:

1. Wir handeln nur im Interesse der Flüchtlinge

2. Wir arbeiten nur in diesem Sinne mit Behörden zusammen

3. Wir übernehmen keine hoheitlichen Aufgaben

4. Wir grenzen niemanden von der Hilfe aus

Welcome Frankfurt – http://www.welcome-frankfurt.de

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Tel: 0157-39021787 Fax: 069-92894112