Wahre Bildung oder Ware Bildung? Eine Veranstaltung von StadtschülerInnenRat, Stadtelternbeirat und GEW

Am 15. Juni hatten die Veranstalter in die Aula der IGS Nordend geladen, um sich mit dem Konzept „Selbständige Schule“ auseinander zu setzen und eine gemeinsame Verständigung darüber herzustellen, wie Schule sein sollte. Circa 60 Menschen, auch aus dem Hochschulbereich, folgten dieser Einladung.

Der Abend läutete gewissermaßen die Woche des Bildungsstreiks ein, bei dem es um bessere Bildungschancen und ein Ende der Einsparungen und Verbetriebswirtschaftlichung im Bildungswesen ging.

Einleitend wies Marianne Friemelt (GPRLL-Vorsitzende) darauf hin, dass „Selbständige Schule“ geradezu als Allheilrezept für alle Probleme im Bildungsbereich gehandelt wird, gleichgültig ob es um Lehrergesundheit oder Flexibilität in der Gestaltung des Schultages geht oder darum, dass SchülerInnen die Verantwortung für ihr Lernen selbst übernehmen. Dabei bleiben die Protagonisten jedoch regelmäßig den Nachweis für die Wirksamkeit des Rezeptes schuldig, im Gegenteil: es wird suggeriert, dass ein Nachweis gar nicht erbracht werden müsse, da der Zug sowieso in diese Richtung fahre, ohne dass noch jemand etwas ändern könne.

Sven Bade vom Stadtelternbeirat führte aus, was Eltern sich von Schule wünschen: Die Kinder sollten während der ganzen Schulzeit das Interesse am Lernen behalten, sie sollten mit Neugier aktiv Neues erforschen können anstatt für Noten zu pauken. Dafür brauche es in Didaktik und Pädagogik gut ausgebildetes Personal, das die Zeit habe, auf individuelle Lernprozesse und Interessen von Kindern einzugehen. Das sei nur in kleinen Klassen vorstellbar, so dass eine wesentlich bessere Personalversorgung erforderlich sei, und zwar nicht nur mit PädagogInnen, sondern auch mit sozialpädagogischen Fachkräften und Psychologen. Als Rahmenbedingungen für das Lernen forderte er nicht nur eine bessere räumliche und sächliche Ausstattung in den Schulen, sondern auch bessere Mitgestaltungsmöglichkeiten für alle an Schule Beteiligten. Verwaltungsarbeiten dürften nicht im Vordergrund stehen, die Verwaltung müsse vielmehr die optimalen Bedingungen für die inhaltliche Arbeit bereitstellen.

Lea Glaser, die stellvertretende Vorsitzende des StadtschülerInnenRates schilderte ihre Wunschschule aus SchülerInnenperspektive: Auch sie forderte kleinere Klassen, in denen individuelleres, stärker differenziertes Lernen stattfinden könne. Wichtig für sie sei, dass Lernen in einer guten Atmosphäre, das heißt mit weniger hierarchischem Zwang von Lehrkräften gegenüber SchülerInnen stattfinden könne. Sowohl bei der Auswahl der Inhalte als auch beim Lerntempo wollten SchülerInnen mitbestimmen, nicht zuletzt aber wollten sie auch, dass ihre Stimme in der Schulkonferenz mehr gehört würde. Schule müsse soziale Gerechtigkeit schaffen, das heißt, die Lernbedingungen müssten so sein, dass man auch ohne Nachhilfe einen Abschluss erreichen könne. Zum Schluss verwahrte sie sich gegen das Lernen im Hinblick auf spätere ökonomische Zwänge: Schule solle die Neugier wecken und bedienen und nicht für die Wirtschaft zurichten.

Herbert Storn als Vertreter der Lehrkräfte nannte als Hauptforderung die öffentliche Finanzierung des Bildungswesens ohne Einflussnahme der Wirtschaft. An zahlreichen Beispielen belegte er, wie gewinnorientierte Unternehmen in die Bildungslandschaft eingreifen, um nicht nur ihren Profit zu steigern, sondern auch die Köpfe für ihre Zielsetzungen zu gewinnen. Schon jetzt fließe viel Geld, das für den Bildungsbereich zur Verfügung gestellt wurde, in private Taschen. Stellen für qualifiziertes Lehrpersonal würden zunehmend in Mittel umgewandelt, mit denen billige Hilfskräfte bezahlt würden. Schule brauche aber qualifizierte Lehrkräfte, die unabhängig seien, um kritisches Denken fördern zu können. Die Modularisierung, das häppchenweise Lernen und das damit verbundene „Teaching to the test“ sei kritischem Unterricht und dem Denken in Zusammenhängen diametral entgegen gesetzt. Der Forderung nach mehr Mitbestimmung für alle Beteiligten schloss er sich an und machte zum Schluss noch auf die Ausbildungsplatzmisere aufmerksam, die den Anpassungsdruck noch verstärke.

Im zweiten Teil des Abends war das Publikum aufgefordert, weitere Gedanken zu den Fragestellungen zusammen zu tragen: „Welche Forderungen erheben wir gegenüber der Landesregierung für bessere Bildung?“ und „Was können wir nicht brauchen?“

Die sehr engagierten Beiträge unterstrichen in vielerlei Hinsicht das bereits von den drei „Anwälten“ Gesagte, variierten es aber auch nochmals:
Die Forderungen an die Landesregierung setzten diverse Schwerpunkte:
„Selbständigkeit“ solle so interpretiert werden, dass Schulen nicht durch rein bürokratische Vorschriften an ihren Vorhaben gehindert werden dürften. Dazu gehöre Demokratisierung in jeder Beziehung: von den Verwaltungsstrukturen bis hin zu den Lerninhalten. Aber auch der Verzicht auf Stellenbesetzungen aus politischen Gründen gehöre dazu.
Der zweite Schwerpunkt drehte sich um die Würde des Kindes, die als Menschenrecht gelten müsse. Bildung müsse vom Menschen her gesehen werden. Dazu gehöre nicht nur, dass individuelle Lernwege zugelassen und gefördert würden, sondern auch die Förderung von kritischem Denken und Zulassen von Widersprüchen. Wichtig dafür sei, dass mehr Zeit zur Verfügung stehe für Teamteaching, den gegenseitigen Austausch unter den Lehrkräften, die Arbeit mit dem einzelnen Kind und vieles andere mehr.
Als drittes gelte es, die Arbeitsbedingungen von Lehrkräften so zu verändern, dass sie nicht gesundheitsgefährdend sind. Dazu gehöre eine bessere Ausstattung mit Personal, eine Reduzierung der Arbeitszeit, die bessere Ausstattung der Schulen, die Ausweitung der Ressourcen für die Lehrerbildung und nicht zuletzt auch die Entwicklung von Berufsperspektiven für Menschen, die den Lehrberuf nicht mehr ausüben können. Und der Lehrberuf müsse attraktiver werden, um mehr engagierte Menschen für diese wichtige Arbeit zu gewinnen.

Was man nicht brauche?
Darin waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig: Eine klare Absage erteilten sie einer Bildung, die unter ökonomischen Zwängen geschieht: unter dem Gesichtspunkt der Verwertbarkeit, orientiert auf Tests und zentrale Prüfungen, serviert in modularisierten Häppchen, gepaart mit der Illusion, betriebswirtschaftliche Messmethoden und Kennziffern auf das Messen von Bildungserfolgen übertragen zu können. Dazu gehörte auch die Ablehnung der Idee, Konkurrenz quasi als Vorübung für das spätere Berufsleben in die Schule zu tragen. Auch die Hetze, die permanente Zeitnot, der Druck durch bevorstehende Prüfungen wurde als kontraproduktiv zum erwünschten Bildungsprozess bezeichnet. Es sei irrsinnig, für Schulen eine Gewinn- und Verlustrechnung in Analogie zu Produktionsprozessen anzustreben. Genauso kontraproduktiv sei es, Schulleiter zu Managern umzuformen, denn dies stehe dem gewünschten Demokratisierungsprozess im Wege. Die Lehrkräfte mit Messverfahren aus der Betriebswirtschaft zu beschäftigen, halte sie von ihrer eigentlichen Aufgabe, dem Arbeiten mit Kindern, ab. Aber auch die Tendenz, öffentliche Gelder für Projekte und Aufgaben zu verwenden, die Bildungsdienstleistern die Taschen füllen, wurde scharf kritisiert, ebenso wie auch darauf hingewiesen wurde, dass die Abhängigkeit von Sponsoren einem freien. selbstbestimmten und kritischen Lernen im Wege steht. Auch wurde darauf hingewiesen, dass ein Belohnungs- und Bestrafungssystem für besonders „gute“ und besonders „schlechte“ Schulen die sozialen Klüfte, die unter Schulen bestehen, weiter aufreißt, da „gute“ oder „schlechte“ Lernerfolge viel mit dem sozialen Umfeld, in dem sich die Schule befindet, zu tun haben.

Alles in allem konnte festgestellt werden, dass der Verständigungsprozess von Lehrkräften, Eltern und SchülerInnen an diesem Abend ein großes Stück vorangekommen ist. Wenn es auch unterschiedliche Blickwinkel gibt, so sind die Gemeinsamkeiten der am Bildungsprozess Beteiligten unübersehbar und sollten in dieser Form auch gegenüber der Öffentlichkeit und der Regierung kommuniziert werden.

Marianne Friemelt

Geschäftsführerin
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Pressemitteilung vom 17.6.2009

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