Spanien: Alarmzustand ausgerufen zur gewaltsamen Niederschlagung eines Streiks

"Der nicht so flugsüchtige Leser der Zeitungen und Blogs bekam über Spanien zunächst nur eines mit: Der "wilde" Streik ist europaweit wiedergeboren. Jahrelang hatten sich auch die garstigeren Medien angewöhnt, in solchen Fällen das Adjektiv "spontan" vorzuschalten, bevor sie zu fluchen begannen. Ab Dezember 2010 ist das Wilde wieder über uns hereingebrochen.

Die Fluglotsen also haben seit Freitag - nach den meisten Meldungen - spontan gestreikt. Dass "spontan" nicht heißen kann, blindlings einzeln vorzupreschen, ohne auf alle anderen zu gucken, wird mindestens den gewerkschaftlich Organisierten klar sein. Natürlich liefen Handys und Twitter heiß.

Wie üblich zu einer Zeit, wo in der kürzesten Frist der größte Druck auszuüben war. In Spanien wären in der jetzt kommenden Woche zwei Feiertage angefallen. Zeit des Schwirrens - wie anderswo auch!

Alle deutschen Blätter geben sich mehr oder weniger entrüstet. Die Familien, die nicht von Mallorca wegkommen! Die Kleinkinder mit den verheulten Augen. Niemand säße jetzt gern mürrisch und fröstelnd in den zugigen Hallen des Airport Madrid. Nur genau die gleichen Bilder kennen wir vom letzten Streik der Lokomotivführer. Oder ganz anderen Arbeitsniederlegungen! Streiks müssen weh tun, wenn sie wirken sollen. Und wirken normalerweise um so schneller, je weher sie tun. Da lässt sich wenig ändern - und in kampferprobteren Gegenden wie Frankreich wird viel weniger gejammert.

Warum aber der überraschende Streik gerade jetzt? Die Vorgeschichte ist selbst über Internet nicht leicht herauszubekommen. Was sich herauskriegen ließ, deutet auf einen brutalen Erstangriff der Regierung hin. Unter dem Druck der Banken und in Angst vor der Pleite hat diese nämlich ohne Vorankündigung in der letzten Woche - was den Streikenden jetzt als besonders schamlos vorgeworfen wird - beschlossen, die 49 Prozent der Hauptflugplätze - insbesondere Madrid- zu verkaufen. An wen?

An unsere treue deutsche FRAPORT! Die  - genau wie die Bahn- an allem anderen interessiert ist als am Ausbau und an der Sicherung ihrer Linien innerhalb Deutschlands. FRAPORT soll sich noch zieren, aber möglicherweise nur, um die Preise zu drücken. Nach getanem Schacher soll FRAPORT dann zumindest die Verwaltung von Airport Madrid übernehmen.

Den Fluglotsen und vermutlich den übrigen Flughafenangestellten wurde lakonisch mitgeteilt, dass ihre Arbeitszeiten sich natürlich unter den neuen Umständen ändern würden. Ohne Details. Hat man ja nicht nötig als Regierung, die im Interesse der Banken auf noch zahlbare Zinsen achtet.

Schon vorher war - ohne Verhandlung - durch Regierungserlass der Lohn der Lotsen gesenkt worden, die Zahl der zu leistenden Lotsenstunden übers Jahr festgelegt und ausdrücklich beschlossen, dass Fehlzeiten wegen Krankheit nicht mehr angerechnet würden.

Durchgesetzt wurde von Minister Bianco unter vollem Rückhalt der Regierung gegen immer noch streikende Lotsen der Ausnahmezustand - in der angeblich mildesten Form: Alarmstufe. Selbst diese führte aber dazu, dass formell das Militär die Türme der Flughäfen besetzte, die Lotsen zum sofortigen Dienstantritt beorderte - bei Strafen nach Militärrecht bis zu fünfzehn Jahren. Die Staatsanwaltschaften wurden offenbar angewiesen, jetzt schon für vorangegangene Handlungen Verfahren zu eröffnen. Nach Meldung von  Angelika wurde ein Hotel in Madrid von den Staatsanwälten und der Guardia Civil übernommen, um Namenslisten zu erstellen.

Entgegen allen Meldungen der hiesigen Entrüstungshelfer haben sich zwar die meisten Lotsen auf die Türme begeben, dort aber die Arbeit nicht aufgenommen. Insofern zieht sich der Streik hin. Die Sicherheit der Flugbeobachtung wie auch die Ausgabe von Direktiven nimmt natürlich ab, je mehr der einzelne Lotse im Auge zu behalten hat. (Auch die Fluglotsen bei FRAPORT brachten beim letzten Streik entsprechende Forderungen zur Flugsicherung vor. Es gab da keineswegs nur den erwarteten Schrei nach mehr Geld. Selbstverständlich ohne Gehör beim Arbeitgeber. AIRPORT weiß, worauf es sein Augenmerk beim Geschäftsgebaren zu richten hat).

Dass der zuständige Minister an den einschlägigen Vokabeln nicht sparte, versteht sich. "Erpressungsversuch"- "Geiselnahme" flogen nur so durch die Pressekonferenzen. Alles unter dem Beifall vieler Kurzsichtiger, die es ganz doll finden, dass jetzt mal die Besserverdienenden den Kopf ins Rußrohr stecken. Die heute jubeln, werden morgen staunen, übermorgen fluchen, wenn sie erst merken, was FRAPORT in seiner kühlen Art ihnen für Bedingungen vorlegen wird. Und zwar allen - Fluggästen, Lotsen und der vielfältigen übrigen Schar der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Damit die Lotsen sich nie mehr mausig machen, hat der Minister gleich für Weihnachten das nächste Streikverbot verhängt. Zwar hat das freiheitlich gesonnene Spanien die Terrorgesetze Francos nicht völlig unverändert übernommen. Das Gesetz von 1981 wurde in der Verfassung verankert und fortentwickelt. So legt ein "organisches Gesetz" in Paragraph Artikel 162 immerhin fest, dass der Ausnahmezustand nach vierzehn Tagen sein Ende zu finden hat. Aber der Minister weiß Rat. Das Parlament wird gewiss verlängern.

Wie Carl Schmitt richtig votierte: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand bestimmt. (Um sofort den zuständigen Souverän zu protegieren). Daraus geht hervor, wer im heutigen Spanien keinen Anspruch auf Souveränität zu erheben hat: die gewöhnlichen Leute, die das Streikrecht nicht entbehren können. Und wer stattdessen den Souverän markiert: Die spanische Regierung. Und wer hinter ihr der wirkliche Souverän ist: die einheitlich agierende Bankenwelt mit ihren Bütteln, Gerichtsvollziehern und Schuldeneintreibern.

Spaniens Vorgehen stellt zwar den größten Skandal im Arbeitsrecht dar - "seit Francos Tod" - nicht aber den einzigen in Europa. Griechenland soll ebenfalls mit rechtlichen und militärischen Mitteln schon gegen Autobusfahrer und Fähren vorgegangen sein. Unter zustimmendem Schmatzen derjenigen Regierungen, die sich noch nicht für bedroht halten. Aber die Eintreibeabsichten der Banken berücksichtigen müssen.

Das Ganze also ein Wink mit dem Zaunpfahl für das ganze EU-Gebiet. Wir warten auf die Reaktionen der Gewerkschaften außerhalb der Bedrohung durch das spanische Militärgesetz.

Es steht zu hoffen, dass nicht alle sich durch die relativ hohen Löhne der spanischen Lotsen bluffen lassen! Und wenigstens laut protestieren, bevor es zu spät ist."

Fritz Güde

Quelle: http://www.trueten.de/